Sie sind nur etwa so gross wie eine Fünf-Cent-Münze und haben sich zu einem unverzichtbaren Werkzeug für viele Menschen mit Diabetes entwickelt: Blutzuckersensoren werden auf dem Oberarm angebracht und ermöglichen eine kontinuierliche Überwachung des Blutzuckerspiegels - ohne das sonst lästige Piksen in die Fingerspitze.

Doch inzwischen nutzen immer mehr Sportlerinnen und Sportler ohne die Zuckerkrankheit diese Technologie, um Training und Ernährung auf den Blutzuckerspiegel abzustimmen und somit die Leistung zu steigern. Wenn die Olympischen Sommerspiele Ende Juli in Paris beginnen, greift auch Marathonläufer Abdi Nageeye zu Blutzuckersensoren, um seine Medaillenchancen zu erhöhen.

Der niederländische Silbermedaillengewinner bei den letzten Olympischen Spielen in Tokio sieht den Blutzuckerspiegel als Indikator für die verfügbare Energie des Körpers. Er ist angetrieben von der Suche nach dem «mühelosen Lauf». Die Nutzung von Blutzuckersensoren - kurz CGM - hat es Nageeye nach eigenem Bekunden ermöglicht, sein Schlaf- und Essverhalten so anzupassen, dass er während des Trainings ein Minimum an Energie verbraucht. «Das ist dein Treibstoff. Wir müssen das überwachen», sagt Nageeye im Gespräch mit Reuters.

Sein Team wird seit April 2021 vom US-Pharmakonzern Abbott gesponsert. Dieser zählt zusammen mit dem Medizintechnikunternehmen Dexcom zu den weltweit führenden Anbietern von CGMs. 2020 brachte Abbott einen Blutzuckersensor eigens für Sportler ohne Diabetes in Europa auf den Markt. Seit 2021 sponsert das Unternehmen auch den kenianischen Marathonstar Eliud Kipchoge und dessen Team.

Die Spitzenathleten und ihre Betreuer nutzen die Systeme, um Kalorienaufnahme und Trainingsintensität zu verbessern. So auch die Schwimmerin Chelsea Hodges, die in Tokio Gold in der Staffel gewann. Die Australierin sagt, dass der Sensor ihr geholfen habe, Erschöpfungs- und Schwindelanfälle während des Ausdauertrainings zu beheben, indem sie ihre Kalorienaufnahme und Trainingszeiten anpasste.

Lukrativ für die Pharmaindustrie

Die Hersteller erhoffen sich davon eine zusätzliche lukrative Einnahmequelle neben dem eigentlichen Markt für Diabetespatienten. «Ich sehe einen Tag voraus, an dem CGMs sicherlich weit über Diabetes hinaus genutzt werden», sagt Jacob Leach, der im Vorstand das operative Geschäft von Dexcom verantwortet. Das Unternehmen will sich zwar weiter auf Diabetiker konzentrieren, arbeitet jedoch auch mit Forschern an der Nutzung der Sensoren zur Verbesserung der sportlichen Leistung.

Der Markt für CGMs ist bereits Milliarden Dollar schwer, getrieben durch die Nachfrage von Diabetikern. Traditionelle Blutzuckermessgeräte erfordern häufiges Stechen in den Finger: Doch mit den Sensoren, die bis zu zwei Wochen getragen werden können, haben Diabetes-Patienten ihre Glukosewerte auf dem Smartphone jederzeit im Blick. Der Umsatz von Abbotts FreeStyle-Libre-Reihe, den am häufigsten verwendeten CGMs, stieg 2023 um 23 Prozent auf 5,3 Milliarden Dollar. Dexcom verzeichnete 2023 ein Umsatzwachstum von 24 Prozent auf 3,6 Milliarden Dollar.

Das Marktforschungsunternehmen GlobalData prognostiziert, dass der Lifestyle-CGM-Markt jährlich um fast 15 Prozent wachsen und bis 2031 9,9 Milliarden Dollar erreichen könnte - auch angetrieben durch Nutzer von Abnehmmedikamenten wie Wegovy, die die Sensoren zur Unterstützung ihrer Diät nutzen.

Ernährungswissenschaftler sehen CGMs im Leistungssport als vielversprechendes Forschungsfeld. «Eine grosse Frage für Ausdauersportler war immer: Trainiere ich hart genug oder zu hart? Mit CGMs scheinen wir ein besseres Verständnis zu haben», sagt Filip Larsen, von der Schwedischen Hochschule für Sport- und Gesundheitswissenschaften.

Nutzen für Sportler ist noch umstritten

Laut Larsen gibt es allerdings noch kaum gesicherte Erkenntnisse darüber, wie Sportler mit Hilfe von CGMs ihre Trainingsabläufe verbessern könnten. «Die meisten Forscher können Ihnen keine genauen Antworten geben. In fünf Jahren werden wir zehnmal mehr wissen als jetzt.» Der Sport-Ernährungswissenschaftler Greg Cox von der australischen Bond Universität hat mit Schwimmern wie Hodges sowie Ruderern, Triathleten und Leichtathleten gearbeitet.

Die Ergebnisse einer Studie seines Teams, die testen sollte, wie sich eine unzureichende Kalorienaufnahme auf die Glukosewerte von Ausdauersportlern auswirkt, waren bisher nicht schlüssig. Er hält daher weitere Forschung zu CGMs für nötig.

Marktführer Abbott sieht in dem Verständnis von Blutzuckerschwankungen gar den Schlüssel zur Steuerung des eigenen Stoffwechsels für ein gesünderes Leben. «Obwohl Glukosespitzen bei gesunden Menschen normal sind, wissen wir auch, dass weniger häufige und grosse Spitzen und Abstürze im Glukosespiegel mit verbesserter Energie, Stimmung, Konzentration, Schlaf und reduzierten Heisshungerattacken einhergehen.»

Doch sowohl Cox als auch Larsen zeigen sich skeptisch hinsichtlich der Nutzung der Sensoren von Menschen ohne Diabetes aus Lifestyle-Gründen ohne professionelle Beratung: «Ich sehe in sozialen Medien normale, gesunde Menschen, die Angst bekommen, wenn sie eine Banane essen und ihr Blutzuckerspiegel für eine Stunde sehr hoch ansteigt. Dabei ist das eine ganz normale Reaktion», sagt Larsen.

(Reuters)