cash.ch: Herr Ross, der Fonds, den Sie verwalten, hat seit der Auflage Jahr für Jahr im Schnitt 11,50 Prozent zugelegt. Wie zufrieden sind Sie damit?

David Ross: Wir sind insofern zufrieden, als wir in rückläufigen Märkten erfahrungsgemäss besser abschneiden als andere Fonds. Beispielsweise war im Jahr 2018 fast jeder negativ. Wir waren positiv. Im Jahr 2022, als viele Large-Cap-Wachstumsfonds 30 bis 40 Prozent verloren, waren wir nur um 14 Prozent im Minus. Und wissen Sie, diese Leistungskonstanz ist das, wonach wir wirklich suchen.

Ein Gegenbeispiel ist das Jahr 2021. Da hat Ihr Fonds 15 Prozentpunkte schwächer abgeschnitten als das Vergleichsprodukt aus der MSCI-Palette. Was war los?

2021 war ein Jahr, in dem sich der «Value»-Ansatz nach mehreren Jahren der Underperformance und in Erwartung der wirtschaftlichen Öffnung mit den Covid-Impfstoffen stark erholte. Im Allgemeinen blieben Growth-Manager aller Art in diesem Jahr hinter dem «Value»-Ansatz zurück. Darüber hinaus war ich der Meinung, dass die Märkte zu spekulativ geworden waren, und wir positionierten den Fonds konservativ, was sich 2022 auszahlte. Obwohl es das schlechteste Jahr in Bezug auf die relative Performance des Fonds war, erzielte der Fonds immer noch eine positive Rendite von mehr als 12 Prozent.

Was kann inskünftig schief gehen?

Die Staatshaushalte vieler Länder, insbesondere der USA, sind nicht nachhaltig finanziert. Defizite und Schulden sind zu gross. Wenn das nicht behoben wird, scheitert das System. Auch geopolitisch gibt es anhaltende Risiken, vor allem ein Zerbrechen der Welt in zwei Blöcke: die USA und China.

Die Rivalität zwischen den USA und China ist nicht neu. Was also verändert sich momentan?

Während die USA ihre Abhängigkeit von China in der Produktion verringern, werden sie zunehmend von Ländern wie Mexiko abhängig. Vor allem aus diesem Grund haben wir eine grosse Position in Mexiko. Wir sehen dieses Land als einen Nutzniesser, der China ersetzt. Dazu denke ich, dass Europa interessant ist. Es hat sozusagen in jedem Lager einen Fuss. Wie genau sich diese Geschichte fortsetzt, werden wir im Auge behalten müssen.

Manche Investoren haben in den vergangenen Monaten von Technologiewerten in defensivere Sektoren umgeschichtet. Ihr Fonds gewichtet Tech-Aktien nach wie vor hoch. Erklären Sie.

Mich interessiert, wo diese Aktien in drei Jahren stehen. Und da erwarte ich ein starkes Gewinnwachstum bei Amazon, Microsoft und Nvidia, aber auch bei TSMC. Es geht nicht nur um Künstliche Intelligenz (KI), sondern um Technologie - um eine Geschichte der Kerntechnologie, die in den nächsten zehn Jahren relevant bleiben wird. Im Moment ist KI sehr zyklisch. Doch auch sie wird irgendwann einmal einfach nur eine Technologie unter anderen sein. An diesem Punkt werden wir eine grössere Verschiebung weg von Hardware hin zu Software sehen.

Nehmen wir das Beispiel Nvidia. Bei den Zweitquartalszahlen wurden die hohen Erwartungen und die entsprechende Spannung offenbar: Schon kleine Abweichungen können die Aktie deutlich belasten. Wie gehen Sie damit um?

Solange die Gewinne fliessen, wird es der Aktie gut gehen, egal was der Markt macht. Die eigentlich wichtige Frage ist: Kommen wir an einen Punkt, an dem die Erträge zurückgehen oder ausbleiben?

Wie lautet Ihre Antwort?

Erinnern wir uns an die Technologieblase Anfang der Nullerjahre. Unternehmen wie Intel und Cisco liegen heute noch immer 50 bis 70 Prozent unter ihren Höchstständen von damals. Aber wissen Sie: Damals waren die Bewertungen sinnlos hoch, die Unternehmen über Risikokapital und deswegen nicht solide finanziert. Heute ist das anders. Bei Nvidia sehen wir eine robuste Ertragslage und viel fair geschätztes Aufwärtspotenzial. Anders gesagt:  Solange wir Gewinnwachstum sehen, wird es diesen Unternehmen gut gehen. Aber wahrscheinlich wird irgendwann - vielleicht 10 oder 15 Jahren - eine Phase anbrechen, in der Künstliche Intelligenz ausgereift ist. Dann ist Nvidia lediglich noch ein Wartungsprojekt. Und dann müssen Sie sich wirklich Sorgen machen. Aber erst dann.

Unter den Top-Positionen Ihres Fonds befindet sich mit Stryker ein Medtech-Unternehmen. Warum dieses Investment?

Diese Aktien haben wir in der Covid-Krise gekauft. Zu dieser Zeit glich sie einem Schwein in einer Python - und zwar wegen aufgeschobener Operationen: Stryker stellt künstliche Knie- und Hüftgelenke her. In der Pandemie wurden aber viele Operationen nicht durchgeführt. Strykers Verkäufe brachen ein, die Aktie litt. Doch wir sahen, dass ein Boom kommen würde, weil jene Operationen früher oder später gemacht werden sollten. Unsere Erwartung wurde bestätigt. Zudem hat das Unternehmen eine grossartige Pipeline mit Produkten zu robotergestützten chirurgischen Eingriffen an Hüfte und Knien. Das passt zur immer älter werdenden Weltbevölkerung. Ältere Menschen brauchen oft neue Hüften und sie brauchen oft neue Knie. Daher gibt es für Stryker einen wachsenden Markt.

Wie stark wird sich das in den Zahlen ausdrücken?

Wir rechnen mit einem Umsatzwachstum von zehn Prozent pro Jahr.

Sie glauben an eine goldene Zukunft der robotergestützten Chirurgie. Was macht sie zuversichtlich?

Sobald die Ärzte mit der Technologie vertraut sind, werden sie nichts anderes mehr wollen. Die Bedenken um Kosten, Umschulungen und Gefahren werden verschwinden. Die Erfahrung zeigt, dass es einen Moment braucht, bis eine neue Technologie akzeptiert ist - und dass die Menschen danach nicht mehr auf diese neue Technologie verzichten wollen.

Inwiefern sind Aktien von Unternehmen, die indirekt mit dem Technologiesektor verbunden sind, attraktiv - zum Beispiel Energieaktien?

Im Zusammenhang mit Rechenzentren und der Energiewende: Ja, diese Unternehmen sollte man sich genau anschauen. Eines davon ist WEG aus Brasilien. Es verdient Geld mit Stromnetzen. Die ganze Welt wird in Zukunft mehr Strom benötigen. Erneuerbare Energien werden eine wichtige Rolle dabei spielen, auch weil sie immer günstiger werden. Die schlechte Nachricht ist, dass wir sie nicht schnell genug einführen können, um den Elektrifizierungsbedarf zu decken.

Haben Sie schon in WEG investiert?

Wir haben WEG seit einem Jahr im Fonds. Wir interessieren uns auch für Siemens und Schneider, in die wir noch nicht investiert haben.

Schauen wir auf den Schweizer Markt. Roche hat sich angeschickt, im Markt für Adipositas-Medikamente mitzumischen - neben anderen führenden Pharmafirmen wie Eli Lilly und Novo Nordisk. Welche Chancen räumen Sie dem Schweizer Pharmakonzern ein?

Viele Pharmaunternehmen wollen im Markt mit Abnehmprodukten erfolgreich sein. Das Problem ist: Alle werden es zunächst schaffen, und dann bricht der Markt zusammen. So funktioniert der Wettbewerb, sobald der Markt gesättigt ist. Dann werden die Unternehmen die Preise senken müssen, wodurch die Margen enger werden. Vorerst aber wird es für alle eine Nische geben, niemand - auch nicht Eli Lilly und Novo Nordisk - werden den Markt im Alleingang räumen.

Was hindert sie daran?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Einige Krankenkassen in den USA werden zu Lilly sagen: Du bist zu teuer, Roche gibt uns einen 30-prozentigen Rabatt. Folglich wird sich für Roche eine Chance auftun, obwohl Lilly zurzeit die Nase vorne hat.

Nestlé hat sich zu einer Art Sorgenkind entwickelt. Während der Swiss Market Index seit Anfang Jahr rund zehn Prozent gewonnen hat, notiert die Aktie des Lebensmittelherstellers fast 14 Prozent tiefer. Wie blicken Sie auf die Nestlé-Aktie?

Nestlé ist eine gute Gesellschaft, der es meiner Meinung nach, schlecht geht. Sie bewegt sich in einem hart umkämpften globalen Markt, der während der Covid-Krise seine Blütezeit hatte. Man konnte die Preise erhöhen. Das ist heute nicht mehr möglich. Zudem: Nestlé hat ein GLP-1-Problem.

Wie bitte?

Ist das nicht offensichtlich? Wenn alle abnehmen wollen, wer soll dann noch Nestlé-Produkte wie «Kitkat» kaufen. Dieser Fettweg-Trend unterläuft einen wichtigen Teil des Nestlé-Geschäfts.

Immerhin: Nestlé forciert auch das Geschäft mit Gesundheitsprodukten. Wie aussichtsreich ist das?

Gesundheitsprodukte sind zwar ein notwendiger Dreh- und Angelpunkt, aber Nestlé muss unserer Meinung nach investieren, um die Breite und den Umfang des Produktangebots zu erreichen, damit dieses Segment zu einem bedeutenden Gewinnbringer wird. Dies wird wahrscheinlich die Gewinnmargen unter Druck setzen, da es nicht gross genug ist, um die stagnierenden Umsätze im übrigen Unternehmen auszugleichen.

Gegenwärtig läuft nicht nur ein Zinssenkungszyklus der Notenbanken weltweit, sondern es stehen auch US-Wahlen an. Pauschal gefragt: Was schliessen Sie daraus für die Aktienmärkte?

Die sinkenden Zinsen werden die Banken weltweit belasten. Ihre Rentabilität wird sinken. So haben sie weniger Geld, das sie ausleihen können. Das schwächt das Wirtschaftswachstum, die Konjunktur, die Unternehmen und damit den Aktienmarkt - ironischerweise, muss man sagen. Denn die Leute denken, dass tiefere Zinsen die Wirtschaft ankurbeln. Doch das trifft eben gerade nicht zu, weil die Übertragung tieferer Leitzinsen auf die Realwirtschaft durch das Bankensystem läuft. Was die Wahlen angeht, glaube ich, dass die Menschen übermässig besorgt sind. Denn was auch immer ein Präsident tun will, er braucht die Zustimmung beider Parlamentskammern. Deshalb kommt es in den USA nach Wahlen selten bis nie zu grossen Umbrüchen. Die recht hohe politische Stabilität ist ein Grund, weshalb die USA Investitionen anziehen - im Unterschied zu Grossbritannien, wo der Wechsel von einer Tory- zu einer Labour-Regierung eine kleine Weltreise ist.

David Ross ist Absolvent der Yale University und der Syracuse University, trägt den Titel CFA und absolvierte seine gesamte berufliche Laufbahn in den USA. Er sammelte mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Verwaltung von Aktien, vor allem bei US Trust, Citi Private Bank und später bei Chevy Chase Trust Investment Advisors als Direktor und Fondsmanager für den Bereich Schwellenländer. 2014 kam er als Fondsmanager des Echiquier World Equity Growth zu La Financière de l‘Echiquier (LFDE), wo er 2024, dem Jahr der Fusion von Tocqueville Finance und LFDE, die Leitung des Bereichs Weltweite Anlagen übernahm. Er ist seit 2021 Inhaber des «Certificate in ESG Investing» des CFA Institute.

Reto Zanettin
Reto ZanettinReto Zanettin ist seit April 2024 Redaktor bei cash.ch. Zuvor war er während fünf Jahren Inlandredaktor bei den «Schaffhauser Nachrichten» sowie in der Kommunikationsbranche tätig. 2007 schloss er das Studium an der Universität St. Gallen (HSG) als Master of Arts ab.Mehr erfahren