Als die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni 2022 an die Macht kam, bejubelten rechtsextreme Parteien in ganz Europa ihren Sieg. Sie erwarteten, dass die neue Regierungschefin in Rom eine nationalistische Agenda verfolgen und die Brüsseler Bürokratie bekämpfen würde. Doch statt sich mit der EU anzulegen, überraschte Meloni Freund und Feind gleichermassen: Sie arbeitete mit den anderen EU-Kollegen eng zusammen und präsentierte sich als Vermittlerin zwischen Mitte-Rechts-Kräften und ihrem eigenen erzkonservativen Lager. Ihr Einfluss könnte im Zuge der EU-Wahlen kommende Woche noch wachsen. Denn sie kann Königsmacherin werden, wenn sie eine zweite Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterstützen sollte.

Melonis Mitarbeit wird beim nötigen Vorschlag im Kreis der EU-27-Staats- und Regierungschefs und wahrscheinlich auch bei der Wahl der CDU-Politikerin im neuen Europäischen Parlament benötigt. Und Meloni könnte dann eine Gegenleistung verlangen: Sie dürfte etwa ein wichtiges Ressort für Italien in der nächsten Kommission beanspruchen und ihr Image als Macht-Maklerin in der EU stärken. «Meloni ist die beste Person, um als Brücke zwischen den verschiedenen Fraktionen der Rechten und der rechten Mitte in Europa zu fungieren», sagt Carlo Fidanza, Chef von Melonis Partei «Brüder Italiens» im Europäischen Parlament.

Trotz harscher Kritik von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen gerade an Melonis Innenpolitik mit versuchten Eingriffen in die Medien und das Wahlrecht hat Kommissionspräsidentin von der Leyen eine Wahl durch EKR-Stimmen nicht ausgeschlossen. «Ich habe sehr gut mit Giorgia Meloni zusammengearbeitet», betonte sie vielmehr etwa bei einer Debatte zur Europawahl in Brüssel - und adelte Meloni als «eindeutig pro-europäisch».

Immerhin ermöglichte die italienische Regierungschefin auch den Abschluss des europäischen Asyl-Pakets. Ausserdem reiste sie zusammen mit von der Leyen gleich dreimal nach Nordafrika und unterzeichnete Migrationsabkommen mit Ägypten und Tunesien. Diese haben dazu beigetragen, dass die Zahl der Neuankömmlinge in Italien in diesem Jahr bisher um 58 Prozent gesunken ist.

Auch in der Bundesregierung wird gelobt, dass sich die Meloni anders als andere Rechtspolitiker klar pro-ukrainisch positioniert hat und Russland unvermindert kritisiert. Sie gilt als «Orban-Flüstererin» und war wichtig, um den Widerstand des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban beim Finanzierungspaket für die Ukraine zu brechen. Ihre pro-europäische Haltung liege daran, dass Italien hoch verschuldet sei und ihr Vorgänger Mario Draghi erklärt habe, wie wichtig die EU-Partner für Italien seien, sagt ein hochrangiger EU-Politiker.

«Meloni war clever», sagt Daniele Albertazzi, Politik-Professor an der britischen Universität Surrey. «Was sie getan hat, ist zu sagen: 'Lasst uns auf der internationalen Bühne Mainstream und verantwortungsbewusst sein, denn ich brauche diese Leute'.»

Führungsrolle bei den Rechten?

Diese Brückenfunktion einzunehmen, wird aber nicht einfach sein. In Rom ist es Meloni zwar gelungen, in ihrer Regierungskoalition verschiedene Strömungen der facettenreichen italienischen Rechten zu vereinen. Im EU-Parlament wird dies dagegen schwierig sein. Die konservative EVP-Parteienfamilie, zu der CDU und CSU gehören, hat sanfte Avancen der Meloni-Partei für eine Aufnahme frühzeitig abgebügelt. Also bleibt die Rechtsaussen-Partei im Klub mit Rechtsausleger wie den Wahren Finnen, der nationalkonservativen PiS-Partei in Polen oder den Schwedendemokraten in der sogenannten EKR-Fraktion organisiert.

Ihre französische Konkurrentin auf dem extrem rechten Flügel, Marine Le Pen vom Rassemblement National (RN), gehört dagegen der ID-Fraktion an. Nachdem das RN für den Rausschmiss der AfD-Abgeordneten aus der Fraktion gesorgt hatte, schlug Le Pen Meloni vor, doch die Kräfte zu bündeln. Ob dies geschieht, ist fraglich. Denn zur ID gehört Melonis italienischer Verbündeter und Konkurrent Matteo Salvini von der einwanderungsfeindlichen Partei Lega. Le Pen und Salvini pflegen zudem enge Kontakte zur Russlands Präsident Wladimir Putin.

Die Rivalitäten unter den Nationalisten zeigen sich auch darin, dass die polnischen PiS-Abgeordnete von der Leyen wohl kaum unterstützen werden. Deren innenpolitisches Feindbild ist der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, der eine treibende Kraft hinter einer zweiten Amtszeit der Kommissionspräsidentin ist. «Von der Leyen und Donald Tusk sind Politiker aus einer vergangenen Ära, die keinen Einfluss mehr auf die europäische Politik haben sollten», sagte der PiS-Europaabgeordnete Zdzisław Krasnodębski zu Reuters - während Meloni mit beiden im EU-Rat eng zusammenarbeitet. 

(Reuters)