In Europa und einigen Teilen der USA dienen Gaskraftwerke bislang vor allem dazu, Versorgungsschwankungen der Erneuerbaren Energien auszugleichen. Doch die langfristige Wirtschaftlichkeit von Gaskraftwerken ist immer ungewisser, wie aus Interviews mit mehr als einem Dutzend Kraftwerksentwicklern, Projektfinanzierern, Analysten und Beratern hervorgeht. Denn die Betreiber von gigantischen Batteriespeichern speisen Reservestrom bereits zu einem Preis in die Netze, der mit dem von Gaskraftwerken konkurrieren kann. Damit könnten Gaskraftwerke bei der Energiewende eine geringere Rolle spielen als grosse Energiekonzerne behaupten.

Weltweit wurden in der ersten Hälfte dieses Jahres 68 Gaskraftwerkprojekte auf Eis gelegt oder komplett gestrichen, wie aus Daten der US-Datenbank Global Energy Monitor hervorgeht, die Reuters vorliegen. «In den frühen 1990er Jahren liefen unsere Gaskraftwerke mit Grundlastbetrieb», erklärt Keith Clarke, Geschäftsführer des britischen Energieunternehmens Carlton Power. «Nun steuern wir auf einen Anteil von 40 Prozent dessen zu.» In den nächsten acht bis zehn Jahren werde dieser Anteil weiter auf elf bis 15 Prozent sinken. Das Unternehmen gab 2016 seine Pläne für ein gut 900 Millionen Euro teures Gaskraftwerk in Manchester auf, denn die künftigen Einnahmen und die Laufzeit der Anlage waren ungewiss. Nun will Carlton dort eine der weltweitgrössten Batterien errichten.

Rechenmodelle auf dem Prüfstand

Entwickler neuer Gaskraftwerke können sich nach Angaben von Analysten nicht mehr auf die bisher gängigen Berechnungen stützen. Diese gehen von einer 20-jährigen Laufzeit bei voller Auslastung aus. Nun müssen die Experten kalkulieren, wie viel Gas während Nachfragespitzen benötigt wird, um die Schwankungen der Erneuerbaren Energien auszugleichen - ein schwieriges Unterfangen. «Das wird immer komplexer», sagt Nigel Scott von der Sumitomo Mitsui Banking Corporation.

Die Banken konzentrieren sich auf die Finanzierung von Anlagen mit garantierten Erträgen, wie drei an der Finanzierung von Energieprojekten beteiligte Banker sagen. In Europa regeln manche Länder ihre Zahlungen an die Reservekraftwerke durch Kapazitätsmärkte. Dabei richtet sich die Vergütung nicht nach der tatsächlich verbrauchten Strommenge, sondern der vorgehaltenen Leistung, die kurzfristig ans Netz gehen kann. Dadurch erhalten Erzeuger ihr Geld unabhängig davon, ob Strom eingespeist wird oder nicht. Das verbessert die Wirtschaftlichkeit, garantiert aber keinen Gewinn auf lange Sicht. In Deutschland werden dagegen nur tatsächliche Energielieferungen vergütet. Deshalb fordern die grossen Stromversorger einen solchen Kapazitätsmarkt, wie aus einem Diskussionspapier des Stromlobbyverbands BDEW hervorgeht.

Umweltschützer kritisieren dieses System dagegen seit langem, weil es auf eine Subventionierung fossiler Brennstoffe hinauslaufe. Nach Ansicht von Befürwortern sind die Gaskraftwerke hingegen notwendig, um während des Ausbaus der erneuerbaren Energiequellen eine stabile Stromversorgung zu sichern, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint.

Batterien als Alternative

Doch die Fortschritte bei der Batterieentwicklung trüben zunehmend die Rentabilitätsaussichten von Gaskraftwerken. «Ich glaube nicht, dass wir heute eine Investitionsentscheidung treffen würden, wenn die Einnahmen nicht durch eine Art von Mechanismus gesichert wären», sagt Helen Sanders vom britischen Stromproduzenten SSE Thermal. Das finanzielle Risiko sei sehr hoch. Unterdessen haben sich die Kosten für Lithium-Ionen-Batterien nach Angaben des Forschungsdienstleisters BloombergNEF von 2016 bis 2022 mehr als halbiert. Gleichzeitig hat die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen ein Rekordniveau erreicht. Wind- und Solarenergie trugen 2022 fast ein Viertel zur Stromerzeugung in der EU bei - fast doppelt so viel wie 2016 und erstmals mehr als der von Gastkraftwerken erzeugte Strom.

«In den ersten Jahren wurden die Kapazitätsmärkte von fossilen Kraftwerken dominiert, die für eine flexible Stromversorgung sorgten», sagt Simon Virley, Leiter des Bereichs Energie bei der Unternehmensberatung KPMG. «Jetzt sorgen auch Batterien, Verbindungsleitungen und die Umstellung des Stromverbrauchs durch die Verbraucher für diese Flexibilität.» Die weltweiten Bemühungen zur Senkung der CO2-Emissionen könnten die Kosten für fossile Kraftwerke weiter in die Höhe treiben. In der EU sind zu Jahresbeginn Vorschriften in Kraft getreten, nach denen die Auszahlung von Subventionen an bestimmte Nachhaltigkeitskriterien gebunden sind. Für den Bau neuer Gaskraftwerke bedeutet das etwa, dass ein CO2-Speicher eingebaut werden muss. Alternativ muss ab 2035 eine Umstellung auf kohlenstoffarme Gase wie Wasserstoff möglich sein.

Während die Energiewende an Fahrt aufnimmt, könnten andere Entwicklungen den Bedarf an Reservekraftwerken verringern. Dazu zählt beispielsweise die zunehmende Beliebtheit von E-Autos. Denn ein typisches Elektrofahrzeug ist neunzig Prozent der Zeit geparkt. Es verfügt über eine Batterie, die genug Energie speichern kann, um ein modernes Haus durchschnittlich zwei Tage lang mit Strom zu versorgen, wie aus einem Bericht der Energiesoftware-Plattform Kaluza hervorgeht. Bis 2030 könnten in Europa vierzig Millionen E-Autos auf dem Markt sein. Sie könnten rund ein Drittel der Gasleistungskapazität ersetzen. «Es gibt viele Möglichkeiten, auf die das Netz zurückgreifen kann, wenn es sich von der konventionellen Energieerzeugung abwendet», sagt Carlton-Chef Clarke. 

(Reuters)