Die Schweizerische Nationalbank (SNB) schliesst Negativzinsen bekanntlich nicht aus ihrem geldpolitischen Werkzeugkasten aus. Noch im Januar sagte Präsident Martin Schlegel, die SNB wolle Preisstabilität in der Schweiz sicherstellen, dafür setze sie den Zinssatz und den Wechselkurs ein. Und wenn nötig, werde der Leitzins wieder unter null Prozent fallen. Dann zogen die Renditen der Bundesobligationen zwischenzeitlich wieder an, und Negativzinsen schienen wieder weniger wahrscheinlich.

Inzwischen hat US-Präsident Donald Trump erste Pflöcke seiner zweiten Amtszeit eingeschlagen und mit seiner Zollpolitik auch die Frage nach dem weiteren geldpolitischen Kurs der SNB provoziert: Kehren die Negativzinsen zurück, ähnlich wie in den 2010er-Jahren, als die SNB die Rate lange auf minus 0,75 Prozent hielt?

Eine Antwort hat Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank: «Die SNB wird auf Null und im Zweifelsfalle in den negativen Bereich gehen.» Die gesamtwirtschaftlichen Schäden könnten den Nutzen von Negativzinsen allerdings deutlich übersteigen. «Genau aus diesem Grund spricht die SNB auch davon, dass sie Negativzinsen nicht mag, diese aber im Zweifelsfall zur Erreichung des Ziels der Preisstabilität dennoch zum Einsatz kämen.»

Schon vor der nächsten turnusmässigen Zinsentscheidung am 19. Juni könnte die Notenbank an der Zinsschraube drehen, warnt auch Adrian Prettejohn, Ökonom bei Capital Economics. «Die Risiken bestehen darin, dass die SNB früher handelt - also den Leitzins ausserplanmässig senkt - und/oder um einen grösseren Betrag herabsetzt und den Leitzins in den negativen Bereich bringt», so Prettejohn zu Reuters. «Das Risiko einer Deflation ist gestiegen, und das erklärt, weshalb die Wahrscheinlichkeit, dass wir wieder negative Leitzinsen sehen, ebenfalls deutlich gestiegen ist», sagt GianLuigi Mandruzzato, Ökonom bei der Bank EFG International.

Vorerst werde die SNB aber abwarten, so Gitzel von der VP Bank, Schlüsselgrösse bleibe für sie die Inflation. Diese liegt zurzeit bei 0,3 Prozent. Gemäss der Nationalbankprognose vom März wird sie mittelfristig wieder ansteigen, aber im Zielbank zwischen 0 und 2 Prozent bleiben. Dies allein legt keinen akuten Handlungsbedarf nahe. Doch in die Geldpolitik spielen noch andere Überlegungen hinein, beispielsweise zum Franken und zur Konjunktur.

Die Schweiz - eine Währungsmanipulatorin?

Eine andere Schlüsselgrösse ist die Landeswährung: Der Franken werde seinem Ruf als sicherer Hafen einmal mehr gerecht, obwohl die Schweiz zu den Ländern mit den höchsten US-Strafzöllen gehöre, schreibt Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank (SGKB), in seinem Marktkommentar vom Montag. Seit letzter Woche, als US-Präsident Donald Trump die Zölle verkündete, hat der Franken bis am Montag im Tagesverlauf gegenüber dem Dollar von 88,20 auf 85,50 aufgewertet. Und gegenüber dem Euro hat die Schweizer Währung von 95,54 zeitweise bis auf 93,16 Rappen angezogen. Angesichts der aktuell hohen Unsicherheiten dürfte die hiesige Valuta wahrscheinlich auch weiterhin gefragt sein.

Stucki sagt: «Wenn die SNB sich gegen eine Aufwertung des Frankens stellen will, sind Devisenmarktinterventionen das einzige Instrument, das ihr zur Verfügung steht.» Tiefere Zinsen lösen laut dem SGKB-Anlagechef das Problem nicht, dass Schweizer Exportunternehmen durch eine Frankenaufwertung belastet werden, nachdem sie schon mit den Zöllen zurechtkommen müssen. «Die Unternehmen haben kein Finanzierungsproblem, das mit tieferen Zinsen gelöst werden kann», so Stucki. Die Kosten für Kredite seien bereits tief und die Entlastung durch noch tiefere Zinskosten sei marginal.

Dass die Nationalbank nach Devisenmarktinterventionen, gerade wenn sie in grösserem Stil eingesetzt werden, wegen angeblicher Währungsmanipulation wohl auf den Radar der US-Regierung geraten wird, ist Stucki bewusst. Er sieht die SNB insgesamt in einer schwierigen Lage, die Fingerspitzengefühl verlange: Tiefere Zinsen seien nicht die Lösung, während Eingriffe am Devisenmarkt heikel, aber das wirksamste Mittel seien. 

Vorwürfe, die Schweiz und ihre Zentralbank würden Währungsmanipulation betreiben, wären nicht neu. Schon Ende 2020 stuften die USA die Schweiz als Währungsmanipulatorin ein. Dies, da sie drei Kriterien erfülle, die eine solche Einstufung rechtfertige: Warenhandel, Leistungsbilanz und Devisenmarktinterventionen der Notenbank. Diese wies die Vorwürfe der USA zurück; man wolle weder unfaire Wettbewerbsvorteile für die Schweiz erlangen noch die Zahlungsbilanz beeinflussen, sondern Preisstabilität gewährleisten. 

Zinssenkung wegen schwächerer Konjunktur

Eine andere Überlegung, die in die Geldpolitik hineinspielt, dreht sich um die Konjunktur. Ein schwacher oder schwächer werdender Wirtschaftsgang spricht im Allgemeinen für eine geldpolitische Lockerung. Und durch den US-Zollhammer ist es wahrscheinlicher geworden, dass sich die Konjunktur ungünstiger als erwartet entwickelt.

Die Expertengruppe des Bundes hat im März ein Negativszenario mit «weitreichenden, generalisierten Importzöllen» der USA durchgerechnet. Demnach dürfte die Schweizer Wirtschaft dieses Jahr 1,1 Prozent wachsen - und nicht 1,4 Prozent wie im Basisszenario vorausgesagt. Nächstes Jahr würde sich das Wachstum auf 0,8 Prozent abschwächen, es wäre dann halb so stark wie in der Basisprognose, die einen 1,6-prozentigen Zuwachs für 2026 in Aussicht gestellt hat. Entsprechend würde die Schweiz um eine Rezession herumkommen, sie würde die Folgen der Zölle dennoch auch konjunkturell deutlich spüren.

Die Zürcher Kantonalbank geht momentan davon aus, dass der Zinssenkungszyklus der SNB abgeschlossen ist. Die jüngste Zuspitzung im Handelskonflikt berge aber «das Risiko einer weiteren geldpolitischen Lockerung», falls die Zölle Bestand haben. Eine solche geldpolitische Lockung kann über den Devisenmarkt oder über Zinssenkungen geschehen.

«Leider hat die SNB mit ihren Zinssenkungen seit März 2024 ihr Pulver bereits bei guten Bedingungen verschossen - völlig unnötig», sagt Ökonom Adriel Jost zu cash.ch. Im März des vergangenen Jahres war die Zentralbank unter allen führenden Notenbanken vorgeprescht, hatte die Zinsen von 1,75 auf 1,5 Prozent gesenkt - und damit die meisten Experten überrascht. Weitere Zinsschritte nach unten folgten, sodass die Rate zurzeit bei 0,25 Prozent liegt. 

Daraus könnte sich nun eine diffizile Lage für die SNB ergeben: «Das heisst, im Falle eines Konjunktureinbruchs wird sie erneut zu ausserordentlichen Massnahmen greifen, nämlich zu Negativzinsen und Deviseninterventionen, obwohl diese mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sind», sagt Jost.

Ob alles so heiss gegessen wird, wie es gekocht wird? Vorerst sieht es effektiv nicht so aus, dass die USA von der vergangene Woche ausformulierten Zollpolitik abrücken werden. Die Handelsschranken würden nicht unmittelbar zurückgenommen, «sie werden definitiv für Tage und Wochen in Kraft bleiben», sagte US-Handelsminister Howard Lutnick am Wochenende.

Dennoch ist mittelfristig Bewegung denkbar: Die UBS schätzt, dass der rechtliche, wirtschaftliche und politische Druck zunimmt, und dass die US-Regierung Abkommen mit einzelnen Ländern abschliesst. Zudem erwarten die Ökonomen der grössten Schweizer Bank, dass die amerikanische Notenbank Fed den geldpolitischen Schlüsselsatz um 75 bis 100 Basispunkte senken wird, um die Wirtschaft zu stützen.

Reto Zanettin
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