Am gestrigen Montag wurde Geschichte geschrieben. Der europäische Stoxx 600 stieg innerhalb von 10 Minuten über 11 Prozent an - bis der Handel kurzzeitig ausgesetzt wurde. In den nächsten zehn Minuten fiel er wieder knapp 10 Prozent. Vergleichbare Bewegungen wurden auch in den USA, Japan und der Schweiz verzeichnet.
Volatilität begleitet Anleger besonders in Phasen starker Marktturbulenzen. Doch gerade diese Schwankungen lassen sich nutzen – entweder als Renditequelle oder zur Absicherung bestehender Positionen. Insbesondere extrem seltene Ereignisse wie das gestrige bieten Chancen.
Das Angstbarometer
Fallende Kurse führen zu einem Anstieg der Volatilität, während steigende Kurse - bis auf die Ausnahme vom Montag - zu einer sinkenden Volatilität führen. Die bekannteste Messeinheit der Aktienmarktvolatilität ist der «VIX»-Index - auch Angstbarometer genannt. Der VIX drückt die erwartete Schwankungsbreite des S&P 500 für die nächsten 30 Handelstage aus. Berechnungsgrundlage sind die Optionspreise auf dem Leitindex.
Zwar gibt der VIX keine Auskunft über die Richtung der bevorstehenden Aktienkursentwicklung, er weist jedoch auf die zu erwartende tägliche Schwankungsbreite im S&P 500 hin. Je höher der VIX, desto grösser die Kursschwankungen - in beide Richtungen.
Genau das war am Montag zu beobachten. Nachdem der VIX bei 60 Zählern eröffnete - ein Level, das er nur viermal seit dem Jahr 1990 erreichte - stieg der S&P 500 innert 40 Minuten um 8,6 Prozent an und sank um 6 Prozent während der nachfolgenden 20 Minuten.
Auf Phasen mit erhöhter Volatilität folgen immer Phasen mit niedriger Volatilität. Am heutigen Dienstag notiert das Angstbarometer unter 40 Zählern - mehr als 30 Prozent tiefer.
Der Zeitverfall
Diese Volatilitätsschwankungen können kurz- oder langfristig ausgenutzt werden. Kurzfristig - das heisst für wenige Tage - eignen sich Futures oder spezialisierte ETFs auf den Volatilitätsindex. Diese Produkte unterliegen jedoch täglichen Renditeeinbussen aufgrund eines Zeitwertverlust - längerfristige Terminkontrakte sind teurer als kurzfristige, was zu Verlusten beim Rollen von Kontrakten führt.
Dieser Zeitwertverlust belastet die Rendite erheblich. Deshalb zeigen alle langfristigen Chartserien wie beispielsweise VIX-ETFs ausnahmslos nach unten. «ProShares VIX Short-Term Futures ETF (VIXY)» oder «iPath VIX Short-Term Futures ETN (VXX)» notieren heute 99,9 Prozent tiefer als bei der Lancierung. Die täglichen VIX-Schwankungen werden dennoch korrekt vom Produkt abgebildet.
Aufgrund dieser Eigenschaft lohnt es sich besonders, nach seltenen Events diese Produkte zu shorten. Die Normalisierung der Schwankungsbreite und der inhärente Zeitverfall sprechen mittelfristig für sinkende Kurse.
Die Implizierte Volatilität
Für längerfristig orientierte Anleger bieten sich Optionen auf Einzeltitel oder Aktienindizes an. Steigen die Schwankungen, steigt die im Optionspreis vorhandene implizierte Volatilität und Optionspreise werden teurer, selbst wenn sich der Basiswert kaum bewegt.
Mit dem Verkauf von Call- oder Put-Optionen können Anleger diesen Preisanstieg - teilweise unabhängig vom weiteren Kursverlauf des zugrundeliegenden Werts - zu ihrem Vorteil nutzen. Denn die abnehmende Schwankungsbreite, der Zeitverfall bei Optionen - also der Rückgang des Optionswerts mit Annäherung an das Verfallsdatum - und die Reduktion der implizierten Volatilitätspreiskomponente drücken den Optionspreis.
Beispiel: Der amerikanischen Detailhändler Walmart ist für ein defensives Geschäftsmodell bekannt und die Aktien weisen üblicherweise eine geringe Schwankungsbreite auf. Seit dem 2. April notieren die Aktien des Detailhändlers mit weniger als 5 Prozent im Minus - der S&P 500 verliert knapp 11 Prozent in der gleichen Zeitspanne.
Dennoch notiert die implizierte Volatilität von Walmart bei at-the-money Call-Optionen mit einem Verfall von 30 Tagen derzeit bei 43 Prozent. Vor dem Marktcrash lag die Preiskomponente bei durchschnittlich 25 Prozent.
Tippt ein Anleger mit dem Verkauf des Call- oder Put-Option auf die richtige Aktienkursentwicklung, verfällt die Option ohnehin wertlos und der Verkäufer behält die erhaltene Prämie vollständig. Liegt der Anleger hingegen daneben, entscheidet die Differenz zwischen dem Aktienkurs bei Verfall und dem gewählten Strike-Preis sowie die erhaltene Zeitprämie und der Rückgang der implizierten Volatilität über den Gewinn oder Verlust des Investments.
In manchen Fällen können die vereinnahmte Prämie und der Rückgang der Volatilität die Verluste durch den Kursverfall mehr als ausgleichen. Je extremer das VIX-Niveau, desto besser diese Chancen.