cash.ch: Herr Issaurat, wie sind Sie zur Leitung der Art Banking Services bei Société Générale Private Banking gekommen?

Laurent Issaurat: Ich begann meine Karriere vor über 30 Jahren, im Jahr 1993, als Geschäftsbanker und begleitete zunächst Finanzierungen für kleine und mittlere Unternehmen. Nach einigen Jahren wechselte ich in die Investmentbank-Abteilung und konzentrierte mich auf Leverage-Finance-Transaktionen, wobei ich Unternehmen und Investmentfonds bei fremdfinanzierten Übernahmen in Frankreich unterstützte. Später zog ich nach London und arbeitete im Bereich Leveraged Capital Markets bei Société Générale. Ich genoss die Kreditsyndizierung sehr und nach fünf Jahren sollte ich nach Frankreich zurückkehren. Allerdings nahm ich mir eine einjährige Auszeit, um bei Christie's Education und der Universität von Glasgow Kunstgeschichte zu studieren, mit einem Fokus auf moderne und zeitgenössische Kunst.

Wann kamen Sie auf die Idee, Banking und Kunst zu verbinden?

Nach meiner inspirierenden Zeit in London, wo ich weiterhin im Leveraged Finance tätig war und abends in die Kunstwelt eintauchte, sammelte ich wertvolle Erfahrungen und Selbstvertrauen. Ich nahm mir erneut eine Auszeit, um mich am Sotheby's Institute of Art auf das Kunstgeschäft zu konzentrieren und arbeitete auch mit dem Team für alte Meister und moderne impressionistische Privatverkäufe bei Christie's. Während dieser Zeit konnte ich ausserdem ein Buch über zeitgenössische französische Künstler schreiben. Ende 2015, Anfang 2016 kehrte ich nach Paris zurück. In meiner Position im Leveraged Finance begann ich ein Gespräch mit dem Top-Management der Bank, um das Zusammenspiel von Kunst und Banking zu erkunden.

Ging es um eine neue Art von Dienstleistung?

Ja, es ging darum, unseren Kunden neue Dienstleistungen anzubieten, die ein Interesse am Kunstsammeln haben. Über einen Zeitraum von etwa 18 Monaten betrieb ich Marktforschung und wir entwickelten und testeten ein Geschäftsmodell. Dabei unterstützte mich die Investmentbank, indem sie mir zeitweise die Möglichkeit gab für die Privatbank zu arbeiten. Ende 2017 testeten wir unser Geschäftsmodell mit einer Reihe von Kunden, Interessenten und Bankern in Frankreich und ganz Europa.

Wie waren die Rückmeldungen?

Die Rückmeldungen waren durchweg sehr positiv. Ende 2017 wechselte ich vollständig vom Investmentbanking ins Private Banking. Im Januar 2018 führten wir unsere Dienstleistungen offiziell in Frankreich, Luxemburg und später auch in unseren europäischen Niederlassungen ein.

Wie kann Kunst sinnvoll in die Vermögensbildung einbezogen werden?

Wir empfehlen nicht, spekulativ in Kunst zu investieren. Der Begriff 'finanzielle Herausforderung' ist von Person zu Person verschieden und hängt vor allem von der Grösse des Vermögens ab. Manche Menschen denken ab Beträgen von 5000 oder 10’000 Euro darüber nach, ein Kunstwerk zu kaufen, andere erst ab höheren Werten. In jedem Fall glauben wir, dass es für unsere Kunden entscheidend ist, gut beraten zu werden. Ein wichtiger Aspekt beim Kunstkauf ist die Vermeidung von Überzahlungen. Ein Beispiel: Eine Kundin erwarb 2021 ein Gemälde für 500’000 Euro auf Anraten eines Kunsthändlers, der von steigenden Werten sprach. Als sie es 2024, also in einem eher schwachen Markt, verkaufen wollte, hätte sie, wenn das Bild auf einer Auktion angeboten worden wäre, wahrscheinlich nicht mehr als 100’000 bis 150’000 Euro netto für den Verkauf erzielt. Wir sehen in diesem Wertverlust zwar einen Markteffekt - sowohl auf globaler Ebene als auch für den betroffenen Künstler -, aber unserer Meinung nach hätte diese Person damals von Anfang an wahrscheinlich nicht mehr als 200’000 bis 300’000 Euro für das Werk zahlen müssen.

Beziehungen sind zentral…

Ja, man braucht Verbindungen und Vertrauen. Kunsthändler und Galeristen liefern wichtige Informationen und Zugang zu Künstlern, jedoch stimmen ihre Interessen nicht immer mit denen der Käufer überein. Unabhängige Kunstberater sind daher entscheidend. Diese durchlaufen bei uns eine gründliche Due-Diligence-Prüfung und arbeiten ausschliesslich im Interesse unserer Kunden. Das schafft Vertrauen und Sicherheit. Beim Kunstkauf ist es wichtig, klug vorzugehen, und beim Verkauf gilt es, den Erlös zu maximieren. Manchmal muss man dafür den richtigen Markt finden, der nicht immer im eigenen Land liegt. Strategische Entscheidungen sind essenziell, um den Wert zu optimieren und die langfristige Vermögensbildung zu unterstützen.

Können Sie ein Beispiel geben?

Ein Beispiel ist eine Uhrenkollektion, die in Frankreich schwer zu verkaufen war. Auch in Grossbritannien, den USA und sogar in der Schweiz fanden wir keinen geeigneten Markt. Schliesslich wendeten wir uns nach Hongkong und Asien. Ein Auktionshaus schätzte den Wert der Kollektion auf 1 bis 1,5 Millionen Dollar und legte grossen Wert auf das Marketing, unterstützt von einer Kunstberatungsfirma. Statt der ursprünglich geplanten 30 bis 40 Seiten im Katalog erstellten wir einen 350-seitigen Katalog. Diese Marketingbemühungen führten zu einem Gesamterlös von über sechs Millionen Dollar. Das positive Ergebnis war eine riesige Überraschung für unseren Kunden. Anfangs war er fast deprimiert, da er kaum Interesse von französischen Händlern erhielt und dachte, seine Sammlung sei wertlos. Doch die Zusammenarbeit mit der Kunstberatungsfirma wandelte dies.

Was sollte man bei der eigenen Kunstkollektion unbedingt beachten?

Nach dem Kauf oder Verkauf von Kunstwerken ist die Verwaltung der Sammlung essenziell. Dazu gehört die Einrichtung eines Inventars, in dem jedes Stück mit Informationen wie Entstehungsdatum, Künstler, Medium, Grösse und Wert erfasst wird. Dies ergibt ein Gesamtbild der Sammlung, oft unterteilt in Kategorien wie Gemälde, Design, Uhren oder Sammlerautos. Es ist wichtig, diese Informationen regelmässig zu aktualisieren, da sich die Werte im Laufe der Zeit ändern können. Ein aktuelles Bild der Sammlung hilft dabei, Werte zu erkennen, die stagnieren oder sinken, und erfordert möglicherweise Handlungsbedarf.

Können Wertverluste deutlich sein?

Ja. Zum Beispiel haben klassische Möbel, die vor 20 Jahren sehr wertvoll waren, heute oft stark an Wert verloren aufgrund eines zurückgegangenen Marktes. Auch zweitklassige alte Meister, also nicht die Top-Namen wie Rubens oder Rembrandt, haben an Wert eingebüsst. Junge Generationen interessieren sich stärker für Nachkriegskunst und zeitgenössische Werke. Das demografische Interesse verändert Angebot und Nachfrage: Ältere Sammler verkaufen mehr Werke, während die Nachfrage sinkt, was den Wert reduziert.

Worauf sollte bei der Bestandsaufnahme zusätzlich geachtet werden?

Bei der Bestandsaufnahme sind vollständige Dokumente wie Rechnungen und Echtheitszertifikate wichtig, da sie den Anschaffungspreis und andere Informationen enthalten. Diese Unterlagen erleichtern spätere Verkäufe und Versicherungen. Fehlende Dokumente können problematisch sein, daher ist es ratsam, frühzeitig fehlende Papiere zu beschaffen, besonders wenn Galerien schliessen könnten. Ein vollständiges Inventar gibt einen Überblick über den Wert der Sammlung und hilft bei der Planung. Oft sind die Kinder nicht daran interessiert, die gesamte Sammlung zu erben, da sich Geschmäcker und Wohntrends ändern. Diese Gespräche regen Kunden dazu an, über den Verkauf einiger Objekte nachzudenken. Nach der Bestandsaufnahme folgt oft ein Gespräch über Finanz- und Kunstvermögensplanung. Fragen wie: ‹Wie übertrage ich mein Kunstvermögen effizient auf Kinder oder Enkel?› werden behandelt. Die Vorgehensweise variiert je nach Gerichtsbarkeit und Steuerrahmen in Frankreich, der Schweiz oder dem Vereinigten Königreich.

Wie kann eine Wertsteigerung aktiv angegangen werden?

Eine Wertsteigerung kann durch die Leihgabe von Kunstwerken an Institutionen und Museen erreicht werden. Diese Praxis erhöht nicht nur den historischen und sentimentalen Wert, sondern auch den monetären Wert der Sammlung. Kunst gewinnt an Wert, wenn sie einem breiten Publikum zugänglich gemacht wird. Zudem unterstützen wir die Verbindung von Kunst und Philanthropie. Ehepartner, Kinder oder Enkelkinder können gemeinschaftlich philanthropisch aktiv werden, indem sie beispielsweise Museen oder Kunstzentren fördern oder eigene Initiativen wie Künstlerresidenzen, Kunstpreise oder Forschungsstipendien gründen.

Wie wird Kunst zur Diversifikation der Vermögenswerte verwendet?

Laut dem Deloitte Art & Finance Report 2023 beträgt der Gesamtwert der weltweiten Sammlerstücke im Besitz von vermögenden Menschen etwa 2 bis 2,5 Billionen Dollar. Ein Grossteil dieses Wertes wird in den nächsten 20 Jahren an die nächste Generation weitergegeben. Der Bericht zeigt, dass im Durchschnitt etwa 5 Prozent des Vermögens dieser Personen in Kunst investiert sind. Wir geben zwar keine spezifischen Empfehlungen zur Kunstinvestition oder Diversifizierung, richten uns jedoch nach den individuellen Interessen und Zielen unserer Kunden. Unser Hauptgedanke ist, dass die primäre Daseinsberechtigung eines Kunstwerks darin besteht, Freude zu bereiten.

Was ist der Hintergrund dieser Haltung?

Kunstwerke bieten weder Zinsen noch Dividenden. Ihr Wert liegt im ästhetischen und intellektuellen Genuss, der nicht in Geld messbar ist. Kunden, die diesen immateriellen Ertrag nicht schätzen, raten wir von einem Kunstkauf ab. Stattdessen bieten wir Alternativen wie Private-Equity, strukturierte Produkte, Immobilien, private Deals, Aktien und Anleihen an. Kunst sollten Sie nur kaufen, wenn Sie echtes Interesse daran haben.

Wie hat sich der Kunstmarkt entwickelt und welche wesentlichen Veränderungen haben Sie beobachtet?

Der Kunstmarkt hat sich in den letzten Jahren nur geringfügig verändert. Der Gesamtumsatz, einschliesslich Auktionsverkäufen und Schätzungen für Privatverkäufe über Kunsthändler, bleibt relativ stabil bei 40 bis 65 Milliarden Dollar. Es gab einige Schwankungen, wie den Einbruch 2009 nach der Lehman-Krise und den Rückgang während der COVID-19-Krise, nach denen sich der Markt schnell erholte. Aktuell erleben wir wieder einen Rückgang, mit niedrigen Volumina in den Jahren 2023 und 2024. Auch die Preise sind leicht gefallen, jedoch nicht im gleichen Masse. Diese Schwankungen sind charakteristisch für den Kunstmarkt.

Warum hat man den Eindruck eines wachsenden Kunstmarktes?

Der Eindruck eines wachsenden Kunstmarktes entsteht durch kognitive Voreingenommenheit und Medienberichterstattung. Meistens hört man von Rekordpreisen, die durch die Kommunikationsstrategien der Auktionshäuser betont werden. Diese selektive Berichterstattung vermittelt den Eindruck, dass die Märkte boomen, obwohl das in den letzten 15 Jahren nicht der Fall war. Deshalb ist es wichtig, einen realistischen und vorsichtigen Ansatz bei Kunstinvestitionen zu verfolgen. Mit Null- oder negativem Cashflow und hohen Transaktionskosten ist eine Rendite schwer zu erzielen. Man braucht viel Glück oder tiefes Insiderwissen, um insbesondere bei zeitgenössischer Kunst erfolgreich zu sein.

Welchen Einfluss hat Künstliche Intelligenz (KI) auf die Kunstwelt? 

KI steht noch am Anfang, aber sie wird zunehmend zur Sammlung und Analyse von Marktinformationen genutzt. Aktuell verwenden wir Datenbanken mit Auktionsergebnissen und Künstlerinformationen, die oft noch roh sind. KI wird bald die Analyse dieser Daten verbessern, Markttrends erkennen und die Marktliquidität für bestimmte Künstler erhöhen.

Wie beeinflusst KI den kreativen Prozess in der Kunst?

KI kann beeindruckende Bilder erzeugen, aber oft fehlt diesen Werken der Kontext und die Intention des Künstlers. Ein Beispiel: Ein schwarzes Quadrat könnte entweder ein Werk von Malewitsch aus den 1910er-Jahren sein oder ein zeitgenössisches Stück. Der Kontext und die Intention machen den Unterschied aus. Ohne diese Informationen bleibt das Kunstwerk bedeutungslos.

Gibt es Parallelen zu anderen Bereichen der Kunst?

Ja, ähnlich wie bei Stammeskunst hat eine Skulptur nur dann Wert, wenn sie in einem rituellen Kontext verwendet wurde. Ohne diesen Kontext ist sie wertlos. Das gilt auch für KI-generierte Kunst. Ohne die zugrunde liegende Bedeutung bleiben die Werke leer. KI könnte sich weiterentwickeln und Kontext sowie Intention berücksichtigen. Bis dahin bleibt die Bedeutung solcher Kunstwerke begrenzt.

Wie prägt die Geopolitik derzeit die Kunstwelt? Beeinflusst die neue Spaltung zwischen Westen und Osten, insbesondere zwischen den USA und China, die Kunstwelt oder nicht?

Die Geopolitik beeinflusst die Kunstwelt erheblich. In den 80er und 90er Jahren öffnete sich China dem Westen, und westliche Sammler zeigten grosses Interesse an zeitgenössischer chinesischer Kunst. Heute erschwert die politische Lage den Austausch, da westliche Galerien mehr Schwierigkeiten haben, Kunstwerke in China auszustellen. Zensur und administrative Hürden führen dazu, dass weniger westliche Sammler chinesische Kunst kaufen. Diese geopolitischen Spannungen behindern den kulturellen Austausch und mindern die Sichtbarkeit der kreativen Energie in China. Hoffentlich ändern sich die Bedingungen und stärkere Verbindungen können wieder aufgebaut werden.

Welche Art von Kunst berührt Sie derzeit am meisten?

Ich liebe immer die Kunst, die ich gerade sehe, sei es bei der Arbeit mit einem Sammler oder beim Besuch einer Ausstellung. Obwohl ich ägyptische Skulpturen bewundere, begeistert mich zeitgenössische Kunst lebender Künstler besonders, da man direkt mit ihnen kommunizieren und ihre Werke verstehen kann. Zeitgenössische Kunst ist oft erschwinglich und eröffnet eine faszinierende Reise, die das Leben verändert.

Der Umgang mit zeitgenössischer Kunst ermöglicht es, andere Kunstliebhaber zu treffen, Institutionen zu unterstützen und die Welt zu bereisen. Es geht nicht nur um die Kunst selbst, sondern um die gesamte Erfahrung und das Wissen, das man dabei sammelt. Besonders interessiere ich mich für zeitgenössische französische Künstler, aber auch für Künstler aus der ganzen Welt, die alle Unterstützung verdienen.

Laurent Issaurat leitet die Art Banking-Aktivitäten von Société Générale Private Banking in Frankreich und auf internationaler Ebene. Er hat Kunstgeschichte (Christie's Education, University of Glasgow) und Art Business (Sotheby's Institute, University of Manchester) studiert und schreibt und spricht regelmässig über Art Wealth Management in professionellen und akademischen Zusammenhängen.

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