Es herrscht Ausnahmezustand in Wolfsburg, doch nach der Spätschicht ist in Brunos Tunnelschänke davon wenig zu spüren. Wie sonst auch an einem Dienstagabend gegen 22 Uhr kommen die Arbeiter vorbei, holen sich ein Bier für den Nachhauseweg oder setzen sich für einen Absacker an den Tresen, auf dem eine schwarze Katze im Zigarettenrauch liegt und döst. Es ist der Tag vor der Betriebsversammlung, bei der es um die drohenden Werksschliessungen und Entlassungen geht. Ihn selbst träfen die verschärften Sparpläne nicht, sagt ein Karosseriebauer, der seit 1986 für Volkswagen arbeitet, er habe bereits einen Vertrag zur Altersteilzeit unterschrieben. Zumal es ja nicht das erste Mal sei, dass Volkswagen Probleme habe. «Das kennen wir alles schon», sagt er zu seinem Kollegen, «weisst du noch, 1994?»

Damals hatte Volkswagen, gebeutelt von einer Absatzkrise, mit einer Vier-Tage-Woche ohne vollen Lohnausgleich Massenentlassungen verhindert. Zugleich wurde eine Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung unterschrieben, die nun gekündigt werden soll. IG-Metall-Chefin Christiane Benner sowie Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsratsmitglied Stephan Weil bringen eine Vier-Tage-Woche auch diesmal als mögliche Lösung ins Spiel. «Wir sollten nichts unversucht lassen, um die Beschäftigung zu erhalten», sagte Benner.

Volkswagen selbst äussert sich dazu nicht. Aus dem Unternehmen ist aber zu hören, dass eine kürzere Arbeitszeit anders als damals nicht reichen dürfte, um die Probleme zu lösen. Denn die gehen weit über vorübergehende Absatzflauten und zu hohe Lohnkosten hinaus. Sie sitzen viel tiefer.

Europäischer Automarkt schwächelt dauerhaft

Finanzchef Arno Antlitz verweist zum Beispiel auf eine dauerhafte Flaute auf dem europäischen Markt, auf dem derzeit immer noch ungefähr zwei Millionen Autos weniger verkauft würden als vor Ausbruch der Corona-Pandemie - für VW bedeute das, dass jährlich der Absatz von 500.000 Fahrzeugen oder zwei Werken fehle. Auch mittelfristig rechne er nicht mit signifikanten Zuwächsen, sagte er Anfang des Jahres.

Dazu kommt, dass der Wettbewerb härter wird: Tesla oder chinesische Autobauer sind dazugestossen und wollen ihr Stück vom Kuchen haben. Spätestens wenn chinesische Elektroautobauer wie BYD über eigene Fabriken in Europa verfügen, wird es eng. Antlitz sprach von ein bis zwei Jahren, die Volkswagen bis dahin noch habe. Ausgestattet mit neuem Selbstbewusstsein drängen die chinesischen Autobauer mit Hybridfahrzeugen auf den europäischen Markt - der US-Markt ist ihnen wegen des Handelsstreits zwischen den beiden Ländern versperrt. Bei Hybridfahrzeugen aber hinkt VW der Konkurrenz hinterher, der ehemalige Chef Herbert Diess hat nach dem Dieselskandal alle Karten auf Elektromobilität gesetzt.

Enttäuschung bei E-Autos

Doch dieser Markt entwickelt sich nicht so schnell wie erhofft. Das dämpft die Auslastung der Elektro-Werke Zwickau und Emden. Im August brachen die Neuzulassungen von Elektroautos in Deutschland um mehr als zwei Drittel ein. Die Bundesregierung will mit Erleichterungen für Elektro-Dienstwagen gegenhalten. Die IG Metall fordert mehr Unterstützung für private Autokäufer und einen günstigeren Ladestrom, damit sich der Kauf eines Elektroautos auch für diejenigen lohnt, die nicht über eine eigene Solaranlage verfügen.

Dass Elektroautos sich nicht so schnell durchsetzen wie anfangs vorhergesagt, liegt einer Studie zufolge auch am Autohandel. Das Beratungsunternehmen Uscale verweist darauf, dass dieser immer noch mit der Technik fremdle und die Kunden nicht ausreichend informiert würden. Nach dem Blick auf die Internetseite seien nur 35 Prozent der potenziellen Käufer von einem Elektroauto überzeugt - bei Verbrennern sei dieser Wert doppelt so hoch. Die Beratung sei immer noch schlechter als die bei Verbrennern, sagte Uscale-Chef Axel Sprenger. «Das kostet Vertrauen in die neue Technik und drückt die Fahrzeugverkäufe.»

Probleme in der Entwicklung

Vor der Tunnelschänke trinkt ein VW-Mitarbeiter sein Bier, seinen Namen will er nicht nennen und auch nicht sagen, was er genau macht. «Es war klar, dass sowas kommen muss», sagt er zu den Sparplänen. Vor allem bei der Entwicklung hake es seiner Meinung nach, bislang seien noch alle Versuche gescheitert, das Problem in den Griff zu bekommen. VW selbst gibt zu, dass es zu lange dauert, bis ein neues Auto auf den Markt kommt. Diess wollte die Autos komplett selbst entwickeln, auch die Software. Eine Zusammenarbeit mit Partnern auf diesem Gebiet lehnte er ab. Er setzte eine eigene Software-Tochter auf, Cariad, die das nötige Betriebssystem für die Autos liefern soll. Doch das Projekt kam nur schleppend voran. Die Zusammenarbeit mit den Premium-Marken Audi und Porsche hakte, die immer neue Anforderungen stellten. «Bisher haben die Markenegoismen noch immer dafür gesorgt, dass wir mit dem Thema an die Wand gefahren sind», sagte Cavallo bei der Betriebsversammlung.

Diess' Nachfolger Blume fährt einen anderen Kurs, setzt auf Kooperationen mit anderen Unternehmen. Die Lösung für die Softwareprobleme soll eine Fünf-Milliarden-Euro-Investition in den US-Elektroautobauer Rivian sein - die Summe ist nach Gewerkschaftsangaben genauso gross wie die nun nötigen zusätzlichen Sparanstrengungen. Antlitz hofft damit, die Investitionskosten in den Griff zu bekommen und langfristig zu sparen. Rivian verfügt bereits über eine moderne Software für Elektroautos, die so schneller in die VW-Fahrzeuge kommen könnte. Cavallo zweifelt daran. «Können wir sicher sein, dass das nicht das nächste Milliardengrab ist?», fragte sie.

«Es kommt kein Scheck mehr aus China»

In China heisst ein wichtiger Partner Xpeng. So soll in der Volksrepublik wieder Boden gut gemacht werden. In der Corona-Pandemie eroberten chinesische Elektroautobauer den Markt und stiessen den langjährigen Platzhirsch VW vom Thron. Jahrelang steuerte das China-Geschäft ungefähr zwei Fünftel zum Konzerngewinn bei, zuletzt ist dieser Anteil jedoch eingebrochen. «Es kommt kein Scheck mehr aus China», sagte Blume nach Angaben von Teilnehmern auf der Betriebsversammlung.

Zumal die Volksrepublik als Exportmarkt für die deutschen Werke wegfällt. VW produziert die Autos für den chinesischen Markt vor Ort, auch als Reaktion auf geopolitische Risiken und eine mögliche Abschottung der Volksrepublik. Doch auch verstärkte Ausfuhren aus Deutschland in die USA seien keine Alternative, heisst es aus dem Unternehmen: Der «Inflation Reduction Act» mache insbesondere Exporte von Elektroautos in die USA unattraktiv. Alle anderen Märkte spielen bislang kaum eine Rolle. «Das Exportgeschäft gibt es so nicht mehr», sagt ein Insider.

Macht der Gewerkschaften

Auf Volkswagen kommen damit turbulente Zeiten zu. Cavallo hat bereits deutlich gemacht, dass es mit ihr keine Werksschliessungen geben werde. Der Ton ist damit rauer als Ende 2023, als sich Management und Betriebsrat hinter verschlossenen Türen auf ein Sparprogramm mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro bis 2026 geeinigt haben. Dass der Betriebsrat und die Gewerkschaft eine so starke Stellung im Unternehmen haben, ist auf die Geschichte von Volkswagen und das VW-Gesetz zurückzuführen, das weitgehende Mitspracherechte einräumt. Die 49-Jährige ist seit Mai 2021 an der Spitze des VW-Betriebsrats.

In der Tunnelschänke sagt ein Fabrikarbeiter, der seit vier Jahrzehnten für VW arbeitet und selbst im Betriebsrat sass, es sei der erste richtige Konflikt, den sie austragen müsse. «Cavallo kann sich nun beweisen.» Vor der Tür nimmt sich ein Kollege ein Bier mit. Die Mitarbeiter müssten ausbaden, was das Management und die Politik verbockt hätten, meint er. Und hat eine Lösung: «Dann machen wir halt wieder die Vier-Tage-Woche.» Ob damit die VW-Probleme gelöst werden können, bleibt offen.

(Reuters)