Als der Immobilienmakler Marcus O’Brien im vergangenen Jahr den Verkauf einer 80 Millionen Pfund (94 Millionen Euro) teuren Villa im Londoner Stadtteil Kensington and Chelsea vermittelte, strich er mindestens 20 Prozent der rund 1,6 Millionen Pfund hohen Provision ein, die sein Arbeitgeber — der Luxus-Immobilienmakler UK Sotheby’s International Realty — dem Verkäufer in Rechnung gestellt hatte.

In den USA ist dies unter Immobilienmaklern eine gängige Praxis, doch auf dem Londoner Luxus-Immobilienmarkt — der seit dem 19. Jahrhundert von einer Handvoll Firmen dominiert wird, die die teuersten Immobilien der Stadt verkaufen — kam es einer Revolution gleich.

Die New Yorker Immobilienkultur «Eat-what-you-kill» (frei übersetzt so etwas wie «Behalte, was du verdienst») war angekommen.

«Es besteht kein Zweifel, dass Sotheby’s das ‘New Kid on the Block’ ist», sagte Charles McDowell, ein Makler, dessen gleichnamige Immobilienfirma seit Jahrzehnten vermögende Kunden beim Kauf von Immobilien in der britischen Hauptstadt berät.

Das Londoner Immobilienfranchise von Sotheby’s – das von George Azar, einem ehemaligen Jefferies-Geschäftsführer geleitet wird – hat die Regeln für die Vergütungsstrukturen geändert. Diese haben ihren Ursprung in den vornehmen Partnerschaftsmodellen, die traditionell von den städtischen Immobilienmaklern bevorzugt wurden.

Zudem hat das Unternehmen Top-Talente von seinen grössten Konkurrenten Knight Frank und Savills abgeworben: Mit höheren Gehältern, die stärker an die persönliche Leistung gekoppelt sind, hat Sotheby’s in etwa zwei Jahren mehr als 50 Verkaufsagenten eingestellt. Darunter auch Becky Fatemi, eine der laut dem jährlichen Branchenranking Spear’s 500 bestbewerteten Maklerinnen Londons. Mindestens zehn dieser Agenten wurden von Knight Frank abgeworben.

Im April letzten Jahres war Knight Frank das erste grosse Maklerunternehmen, das als Reaktion auf den Kampf um Talente seine Vergütungsstrukturen angepasste. Es begann, seinen Londoner Maklern einen direkten Anteil an der Provision für abgeschlossene Geschäfte anzubieten — anstatt eines Bonus, der sowohl an ihre Leistung als auch an die des Unternehmens selbst gekoppelt war.

Trotzdem verlor das Unternehmen Anfang dieses Jahres zwei weitere seiner langjährigen Makler an Sotheby’s. Dieser wiederum kündigte vier Neueinstellungen an, um die Präsenz des Franchise in den wohlhabenden südwestlichen Stadtteilen Barnes und Richmond auszubauen.

Die Makler — die zusammen rund 50 Jahre bei Knight Frank gearbeitet hatten — konnten zwischen einem verhandelbaren Gehalt und einer Mindestvergütung wählen. Letztere sei für die Top-Performer auf rund eine Million Pfund pro Jahr angehoben worden, sagten Personen mit Kenntnis des Vergütungsmodells von Sotheby’s.

Die besten Makler von Knight Frank verdienen ähnlich viel, egal ob sie bei Wohnimmobilien oder deutlich teureren Gewerbeimmobilien beraten — wie dem Verkauf von Wolkenkratzern, Einkaufszentren und Lagerhallen-Portfolios im Wert von mehreren Milliarden. Der Makler mit dem höchsten Gewinnanteil der Partnerschaft im Jahr 2024 verdiente laut Unternehmensangaben rund 1,6 Millionen Pfund. Aus den Geschäftsberichten geht jedoch nicht hervor, für welche Abteilung er arbeitete.

Die Makler von Sotheby’s erhalten pro Geschäft eine Netto-Provision von 20 Prozent. Sobald sie in einem Jahr Provisionen in Höhe von 500'000 Pfund erreicht haben, verdoppelt sich dieser Satz laut den Angaben auf 40 Prozent. Das Unternehmen beriet 2024 bei Immobilien-Geschäften im Wert von 1,2 Milliarden Pfund — darunter einige der grössten Transaktionen, und konnte in diesem Zeitraum seinen Umsatz gegenüber dem Vorjahr vervierfachen.

Ein Sprecher von Sotheby’s erklärte in einer E-Mail, dass sich das Unternehmen nicht zu individuellen Vergütungsbedingungen äussere. Man sei jedoch stolz, das beste Maklerpaket der Branche anzubieten.

Um Top-Talente während eines Markteinbruchs zu halten, der die Unternehmensgewinne schmälert, prüft Knight Frank, wie es seine Vergütungsstruktur weiterentwickeln kann. «Wir arbeiten hart daran, Knight Frank zum besten Arbeitgeber für Karrieren zu machen», sagte Tim Hyatt, Leiter des Wohnimmobilienbereichs.

Die Vergütungstaktik von Sotheby’s kam in London zum Tragen, als der durch höhere Zinsen und Steueränderungen bedingte Abschwung einige verzweifelte Verkäufer dazu veranlasste, Preisnachlässe von bis zu 30 Prozent anzubieten.

Die Wohnimmobilien-Deals über 5 Millionen Pfund brachen in den ersten drei Quartalen 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 23 Prozent ein und nur ein einziger Verkauf — vermittelt von Knight Frank und Beauchamp Estates — überschritt die 100-Millionen-Pfund-Marke.

Zu den Sotheby’s-Deals gehörten laut der Insider der Verkauf der von O’Brien vermittelten Villa im Westen Londons für 80 Millionen Pfund und ein Penthouse in Mayfair für 56 Millionen Pfund. O’Brien lehnte eine Stellungnahme ab.

Die Provisionen bei Sotheby’s werden je zur Hälfte zwischen dem Makler, der den Auftrag erhalten hat, und dem Makler, der den Käufer vermittelt hat, aufgeteilt. Und anders als bei traditionellen Maklern gibt es keine geografischen Beschränkungen für die Geschäftstätigkeit. Das habe den Wettbewerb unter den Maklern, die um Provisionen buhlen, angeheizt, sagten die Personen.

«Unser Fokus lag schon immer darauf, durch Integrität, Fachwissen und Vertrauen aussergewöhnliche Ergebnisse zu erzielen», schrieb Sotheby’s Azar in einer E-Mail. «Deshalb wähle ich die Makler, die zu unserem Unternehmen kommen, persönlich aus.»

Der ehemalige Banker, der in Dubai lebt und 2023 das Londoner Immobilien-Franchise von Sotheby’s übernommen hat, hat so viele Top-Makler in London angesprochen, dass es von einigen als Affront angesehen wird, wenn sie kein Angebot erhalten, heisst es.

Ein leitender Makler berichtete, dass er zu einem Treffen mit Azar sogar eingeflogen worden sei. Ein Stellenangebot habe er aber aufgrund seiner Skepsis hinsichtlich der langfristigen Aussichten des Geschäftsmodells abgelehnt. Die Person spekulierte, dass einige Makler für Sotheby’s arbeiten, um sich während der Marktflaute finanziell zu stärken, um dann zu traditionellen Maklern zurückzukehren, wenn die Konjunktur wieder boomt.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Makler in Krisenzeiten den Job wechseln, und die Aussicht auf Mindestlohnvereinbarungen für die ersten ein bis zwei Jahre in einer neuen Position ist verlockend. Das Ausmass von Sotheby’s’ Angriff auf die etablierten Firmen der Stadt ist jedoch ein heisses Thema in den privaten Mitgliederclubs von Mayfair — und nicht jeder ist von der New Yorker Maklerkultur überzeugt.

«Das Modell, das in Amerika funktioniert, muss hier nicht unbedingt funktionieren», sagte Trevor Abrahmsohn, Geschäftsführer der Luxus-Immobilienfirma Glentree. «Die Verzweiflung, etwas zu verkaufen, beeinflusst die Art und Weise, wie man mit Dingen umgeht, obwohl man in Wirklichkeit eine gewisse Gelassenheit braucht, um in diesem Markt langfristig erfolgreich zu sein.»

«Wenn jetzt die Lichter ausgehen würden, hätten sie sich einen Namen gemacht, aber das Modell ist nicht nachhaltig», so Abrahmsohn.

(Bloomberg)