Das Wachstum der Löhne in der Euro-Zone hat sich im Frühjahr abgeschwächt. Die Tariflöhne in der 20-Länder-Gemeinschaft nahmen im zweiten Quartal um 3,55 Prozent zu, wie die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Noch im ersten Quartal waren sie um 4,74 Prozent gestiegen. Das Wachstum der Löhne gilt als einer der stärksten Treiber der Inflation und wird von der EZB genau verfolgt. Das nachlassende Lohnwachstum dürfte daher die Argumente für eine weitere Zinssenkung stärken. Der nächste Zinsentscheid steht am 12. September an.

Ein Hindernis für eine weitere Zinssenkung im September scheint weggeräumt worden zu sein, erklärte Volkswirt Bert Colijn vom Bankhaus ING. «Nachdem die aktuellen Zahlen einen Rückgang des Lohnwachstums zeigen, verfestigen sich die Erwartungen einer Zinssenkung um 25 Basispunkte im September,» führte er aus.

Die EZB hatte im Juni erstmals seit 2019 die Schlüsselsätze wieder nach unten gesetzt - und zwar um einen viertel Prozentpunkt. Auf ihrer darauffolgenden Zinssitzung im Juli pausierte sie dann jedoch. Notenbank-Chefin Christine Lagarde liess die Tür für eine Entscheidung im September aber weit offen. Am Geldmarkt wird gemessen an den Kursen die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Zinssenkung im September aktuell mit 98 Prozent eingestuft. Zur Zeit liegt der am Finanzmarkt massgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, bei 3,75 Prozent.

Deutliche Abschwächung in Deutschland

Lagarde hatte im Juli darauf hingewiesen, dass die Tarifverdienste immer noch in einem erhöhten Tempo steigen. Im Laufe des nächsten Jahres sei aber mit einer Abschwächung des Lohnwachstums zu rechnen. Die EZB strebt 2,0 Prozent Inflation als Idealwert für den Euroraum an. Als vereinbar mit diesem Ziel gilt ein Lohnwachstum von rund drei Prozent. Die Zahlen zum zweiten Quartal liegen nicht mehr weit von diesem Wachstumsniveau entfernt.

Die Daten aus Deutschland, der grössten Volkswirtschaft im Euroraum, dürften wesentlich dazu beigetragen haben, dass sich das Wachstum der Löhne abgeflaut hat. In Deutschland waren laut Daten der Bundesbank im Frühjahrsquartal die Tarifverdienste nur noch 3,1 Prozent gestiegen nach einem Wachstum von 6,2 Prozent im ersten Quartal. Die Bundesbank führte dies vor allem darauf zurück, dass im Vorjahr gezahlte Inflationsausgleichsprämien weggefallen seien. Die Löhne waren im Euroraum zuletzt stark gestiegen, weil Gewerkschaften in den Tarífverhandlungen darauf abzielten, einen Ausgleich für die zurückliegende Hochinflationsphase zu erreichen. Aus den Unternehmen im Euroraum kamen aber laut EZB zuletzt Stimmen, die von einem allmählich nachlassenden Lohnwachstum ausgehen.

(Reuters)