Premierminister Rishi Sunak hinkt in Umfragen weit hinter der Labour-Partei und deren Chef Keir Starmer hinterher. Dem Oppositionsführer sagen Meinungsforscher einen Vorsprung von rund 20 Prozentpunkten voraus. Damit hat der 61-Jährige grosse Chancen auf die Übernahme des Regierungssitzes in der Downing Street. Gross sind auch die Herausforderungen: Starmer hätte viele Baustellen vor sich und wegen knapper Kassen kaum Spielraum, um mit klassisch sozialdemokratischer Politik wie höheren Staatsausgaben gegenzusteuern.

Der seit 2020 amtierende Labour-Chef und ehemalige Staatsanwalt müsste die Konjunktur nachhaltig ankurbeln und für mehr Investitionen die Privatwirtschaft an Bord holen. Denn immer noch leiden viele Menschen unter den Folgen der lange hohen Inflation. Zudem schwächelt das Gesundheitssystem, und es werden zu wenig Wohnungen gebaut. Auch das Thema Einwanderung mit der umstrittenen Abschiebung von Migranten ohne Bleiberecht ins afrikanische Ruanda beschäftigt die Britinnen und Briten.

Ergebnis wohl am Freitagmorgen

Rund 50 Millionen Menschen ab 18 Jahren sind zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahllokale sind am Donnerstag von 7.00 bis 22.00 Uhr (23.00 Uhr MESZ) geöffnet. Direkt nach deren Schliessung veröffentlichen Fernsehsender Nachwahlbefragungen. Normalerweise dürfte das Ergebnis zum Wahlsieger zwischen etwa 5.00 und 7.00 Uhr (Ortszeit) am Freitag klar sein. Es gibt 650 Wahlkreise, und das britische Mehrheitswahlrecht läuft nach der Devise «The winner takes it all», so dass eine Partei für eine Mehrheit im Parlament 326 Sitze braucht.

Labour könnte dem Meinungsforschungsinstitut YouGov zufolge 425 Sitze gewinnen, während die Konservativen 108 Sitze erhalten würden. So wenig Mandate hätten die Tories in ihrer fast 200-jährigen Geschichte nicht gewonnen. Bei der Wahl 2019 errangen sie 365 Sitze und Labour 202. Unter anderem durch Rücktritte und Ausschlüsse hat sich die Mehrheit der Konservativen verringert: Derzeit haben sie 344 Sitze und Labour 205. Während Starmers Vorgänger Jeremy Corbyn 2019 als Labour-Chef noch das schlechteste Ergebnis seit 84 Jahren einfuhr, kann Starmer nun mit einem deutlichen Sieg rechnen, während Premier Sunak eine krachende Niederlage droht.

Der 44-Jährige ehemalige Investmentbanker und Finanzminister ist seit Oktober 2022 Regierungschef und war damals der fünfte Premier in acht Jahren. Nach der Amtszeit von Boris Johnson sowie von Liz Truss, die 49 Tage im Amt war, konnte Sunak die Machtkämpfe der Konservativen nicht befrieden und das Ruder herumreissen.

Sunak gilt vielen als abgehoben

Der Hindu mit indischen Wurzeln aus der südenglischen Hafenstadt Southampton ist mit der Tochter eines indischen Milliardärs verheiratet und einer der reichsten Politiker im Parlament. Er gilt einigen als zu abgehoben und zu weit weg von den Problemen der ärmeren Bevölkerung. Sunak sei eher ein Mann für Details, nicht für das grosse Ganze, sagt ein parteiinterner Kritiker. Der Premier bekam zuletzt Gegenwind für seine vorzeitige Abreise von den Gedenkfeiern in Frankreich zum 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie während des Zweiten Weltkriegs.

Starmer hingegen hat die Chance genutzt, sich dort mit Staats- und Regierungschefs länger auszutauschen. Seit dem Wahldebakel 2019 und der Übernahme des Parteivorsitzes hat der studierte Jurist aus der südenglischen Grafschaft Surrey versucht, vor allem Fehler zu vermeiden. Starmer hat Labour näher in die politische Mitte gerückt und seine Partei wegen knapper Kassen diszipliniert, nicht zu viele Ausgaben zu versprechen.

«Warten, bis die Tories implodieren»

Bei Labour wird hinter vorgehaltener Hand eingeräumt, dass man in den Umfragen davon profitiere, dass die Menschen der Ära der Konservativen ein Ende setzen wollten. Ein langgedienter Labour-Abgeordneter beschreibt den Wahlkampf von Starmer als risikoscheu. Es gehe sehr viel darum, «nichts zu tun und zu warten, bis die Tories implodieren», weil man keine neuen Ausgaben versprechen könne.

Sollte Sunak wie erwartet verlieren, wird er beim König offiziell seinen Rücktritt einreichen - wahrscheinlich noch am Freitag. Als Wahlsieger würde Starmer dann Charles III. treffen, der ihn mit der Bildung einer Regierung beauftragen würde. Der Labour-Chef würde sich dann als neuer Premierminister wohl zur Downing Street begeben, um sich erstmals als Regierungschef in einer Ansprache an das britische Volk zu wenden.

Starmer liess jüngst durchblicken, dass er im Falle einer Niederlage seiner Partei zurücktreten werde. Damit rechnet allerdings so gut wie niemand.

(Reuters)