Reto Stiffler ist Krypto-Speziallist und Fonds-Berater bei Crypto Consulting in Zürich. Er ist Partner in der Firma und zusammen mit Désirée Velleuer Co-Gründer. Die Firma Cryto Consulting berät seit 2018 private und institutionelle Investoren bei der Anlage in Krypto-Währungen.
cash.ch: Der Bitcoin ist 2022 um fast 65 Prozent abgestürzt. FTX, Genesis und andere Plattformen gingen Pleite. Fallen die Krypto-Kurse bis auf null?
Reto Stiffler: Das Gegenteil wird wohl eintreten, da die schlechten Nachrichten eingepreist sind und viele Investoren ihre Krypto-Bestände deutlich reduziert haben. Der Pessimismus ist so gross, dass kleinste positive Nachrichten zu deutlich höheren Kursen führen können. Wir erwarten eine deutliche Gegenbewegung für 2023. Seit Anfang Jahr ist der Gesamtmarkt bereits um 17 Prozent gestiegen. Festzuhalten bleibt, dass im letzten Jahr die Probleme nicht erst mit der Pleite von FTX angefangen haben, sondern viel früher, als die Greyscale-Fonds unter die Räder kamen.
Was ist passiert?
Vieles kann auf den Grayscale Bitcoin Fonds zurückgeführt werden. Aufgrund des Abschlags zu Bitcoin haben viele Investoren eine risikoarme Arbitrage-Möglichkeit gesehen. Als der Abschlag immer grösser wurde und zwischenzeitlich auf über 50 Prozent anwuchs, hat dies eine Kettenreaktion an Liquidationen und Notverkäufen ausgelöst, welche den ganzen Kryptomarkt im 3. und 4. Quartal ins Chaos gestürzt hat.
Kann sich die Krypto-Industrie überhaupt davon erholen?
Letztes Jahr hat es praktisch jeden Marktteilnehmer erwischt. Wer nicht Geld auf einer Börsenplattform wie FTX oder Celsius verloren hat, hat deutliche Verluste mit den Crypto-Tokens eingefahren. Die Branche wird sich davon erholen. Wie in den letzten Bärenmärkten wurde bei allen Marktteilnehmern viel Lehrgeld bezahlt. Leider.
Krypto-Anlagen sind sehr risikoreich, das war bekannt. Der Zusammenbruch von FTX kam einem massiven Erdbeben gleich.
Ja, das ist so. Dem systematischen Risiko von Konkursen wurde in der Vergangenheit viel zu wenig Beachtung geschenkt. Entsprechend hatten viele Kunden ihre Vermögenswerte auf Plattformen hinterlegt, ohne zu wissen, welchen Risiken sie ausgesetzt sind. Wir haben auch daraus gelernt. Der Fonds hält seit Anfang Jahr alle Tokens bei Schweizer Banken und Brokern wie Sygnum Bank und Crypto Finance, welche von der Finma reguliert sind. Allgemein hat seither ein klares Umdenken stattgefunden und Krypto-Tokens werden in juristisch sicheren Ländern aufbewahrt.
Macht es Sinn, die Krypto-Tokens privat sogenannt «offline» in ein sogenanntes «cold wallet» zu legen und Krypto-Währungen selbst zu verwalten?
Das Problem ist, dass da auch einiges schief gehen kann und ein Anleger sich technisch gut auskennen muss. Für grössere Investoren macht es Sinn, die Tokens bei einem etablierten Schweizer Anbieter aufzubewahren. Privatanlegern raten wir, in einen diversifizierten Fonds zu investieren.
Es gibt Markt-Kommentatoren, die eine Pleite der grossen Kryptobörse Binance erwarten, was weitere Erschütterungen auslösen könnte?
Wir dachten, wie die meisten, dass FTX sicher sei. Wir gehen eher davon aus, dass Binance deutlich besser aufgestellt ist. Sollte es doch noch zu Problemen um Binance kommen, so erwarten wir nicht den gleichen Schock am Markt wie nach dem Zusammenbruch von FTX. Schocks passieren nach unerwarteten Ereignissen.
Damit die Kurse steigen, braucht es nachhaltige Katalysatoren.
Uns stimmt positiv, dass Grayscale sich normalisiert und der Abschlag von deren Fonds gegenüber dem Markt kleiner wird. Die Märkte sind zudem weiter überverkauft. Gerade die sinkenden Renditen haben die jüngste Erholung der Kryptowährungen unterstützt. Seit Anfang Jahr sind Bitcoin und Ether doppelt so stark gestiegen wie die Aktienmärkte.
Können Sie ein fundamental verlässliches Argument liefern, weshalb Anleger heute eine Kryptowährung kaufen sollen?
Wir investieren für den Fonds basierend auf fundamentalen Analysen, welche bei jedem Token zu einer positiven oder negativen Einschätzung führen. Heute sehen wir aus dieser Perspektive attraktive Möglichkeiten. Ethereum bietet eine Rendite, die wir als attraktiv einstufen.
Wie verdient ein Investor mit Ethereum eine Rendite?
Ethereum erzielt heute Gebührenerträge von rund 3 Millionen Dollar pro Tag. Die Plattform ist sehr profitabel. Um der Verwässerung entgegenzuwirken, werden 80 Prozent dieser erwirtschafteten Gebühren mittels burning vernichtet.
Was passiert mit den restlichen 20 Prozent?
Diese werden an diejenigen Token-Holders verteilt, die ihre Tokens hinterlegen. Bei diesem sogenannten 'Staking' kann im Moment eine reale 'Rendite' von 4 Prozent erzielt werden. Man kann festhalten, dass Ethereum das dominante Betriebssystem der Blockchain mit weiterhin beträchtlichem Potenzial ist.
Ist dieses Staking respektive diese Rendite dauerhaft?
Wir prognostizieren, dass die Gebühren in den nächsten zwei Jahren von derzeit 3 auf rund 5 Million Dollar steigen werden. Daraus ergibt sich entweder eine steigende Rendite oder ein steigender Ethereum-Kurs.
Auf dem Höhepunkt wurden pro Tag rund 100 Millionen Dollar Gebühren generiert. Erreicht Ethereum diese Werte wieder?
Diese hohen täglichen Erträge wurden in einem sehr aussergewöhnlichen Markt erzielt, als der Hype um die Kryptowährungen enorm war. Diese Marke liegt derzeit nicht in Reichweite. Langfristig ist eine hohe zweistellige Zahl durchaus möglich. Für eine konkrete Prognose ist es allerdings zu früh.
Bitcoin wirft im Vergleich zu Ethereum keine Rendite ab?
Bitcoin erzielt nur wenig Gebühren und diese gehen nicht an die Token Besitzer, sondern an die Miner. Wir bewerten deshalb Bitcoin eher wie Gold. Die Bewertung von Bitcoin ist entsprechend ungenauer.
Was heisst das?
Wir haben festgestellt, dass sich der Bitcoin-Kurs ähnlich wie Gold viel stärker an den realen Zinsen (Differenz zwischen aktuellem Zinssatz und Inflation) orientiert. Letztes Jahr sank die Geldmenge, was zu einem sehr starken realen Zinsanstieg geführt hat. Entsprechend war Bitcoin keine gute Wertanlage oder Absicherung gegen die steigende Teuerung.
Hat der Bitcoin noch eine Legitimation?
Bitcoin hat seine Berechtigung als Wertanlage, obwohl der Stromverbrauch von Bitcoin-Transaktionen ein Thema ist. Wir sind der Meinung, dass Bitcoin dank der zunehmenden Adaption wieder Kurspotenzial hat. Ein Kurs von 50'000 USD pro Bitcoin per Ende 2024 erachten wir als möglich.
Haben Tokens ohne Cash Flow eine Zukunft?
Beim Bitcoin trifft dies auf jeden Fall zu. Bei den Kryptowährungen, welche Erträge generieren, gibt es zwei Konzepte. Einerseits Kryptowährungen wie Ethereum, Synthetix oder Curve, welche eine reale Rendite abwerfen. Auf der anderen Seite stehen die Projekte wie Uniswap oder Aave, welche noch keine Ausschüttungen der Erträge vornehmen und das Geld vielmehr in das Projekt reinvestieren. Diese verfolgen ein ähnliches Konzept wie die Wachstumstitel an der Nasdaq, die ebenfalls auf Ausschüttungen verzichten, um das Wachstum zu finanzieren. Der Token-Holder hofft bei diesen, dass in der Zukunft umso höhere Ausschüttungen vorgenommen werden können.
Wie steht es um Solana und die kleineren Projekte, welche im Schlepptau von FTX sehr stark an Wert verloren haben?
Die bekannteren Plattformen wie Solana, Avalanche, Cardano oder auch Polkadot erzielen nur geringe reale Cash Flows und wir bleiben bei diesen vorsichtig. Ebenso stellt sich die Frage, ob Zahlungs-Token wie Ripple eine Zukunft haben, da Notenbanken ihre eigenen Token herausgeben werden und sogenannte Stablecoins schon heute grösstenteils für Zahlungen genutzt werden.
Sie bleiben also schwergewichtig in Bitcoin und Ethereum investiert?
Ethereum schätzen wir als sehr attraktives Projekt ein. Es ist eine Software, welche in Zukunft Automatisierung von Verträgen und das Internet der Dinge (IoT) ermöglichen wird. Dies wird mittelfristig zu höheren Erträgen führen. Allerdings benötigt die Software Entwicklung jeweils mehr Zeit als angenommen. Ebenso finden wir das dezentrale Finanzwesen (DEFI) interessant. Dort werden momentan ziemlich hohe Gebühren erwirtschaftet. Bitcoin als digitales Gold ist ebenso eine attraktive Anlage, obwohl wir denken, dass im nächsten Bullenmarkt andere Token besser abschneiden werden. Wir werden tendenziell aus Bitcoin umschichten.
Kryptowährungen sind extrem volatil. Das verunsichert viele Anleger. Welche Strategie empfehlen Sie?
Da wir basierend auf Fundamentalanalyse investieren, agieren wir eher langfristig und anti-zyklisch. In Bullenmärkten bauen wir Positionen tendenziell eher ab und in Bärenmärkten werden Positionen wieder aufgebaut. Es ist wichtig, erzielte Gewinne auch mal mitzunehmen. Damit konnten wir in den letzten drei Jahren mit dem Fonds eine deutlich bessere Rendite als der Gesamtmarkt erwirtschaften. Obwohl die Volatilität des Fonds tiefer als beim Gesamtmarkt liegt, bleibt sie hoch. Der Fonds darf daher nur an professionelle Investoren vertrieben werden.
2 Kommentare
Ja, der "Experte" Reto Stiffler geht davon aus, dass man die Krypotwährungen auch in Zukunft spekulieren und damit satte Gewinne erzielen kann. Logisch das er das sagt, er verdient sein Geld damit. In Tat und Wahrheit sieht die Zukunft der Kryptowährungen so aus, dass die Staaten diese Währungen kontrollieren werden durch Organisationen wie beispielsweise die FINMA. Es sind dann regulierte Währungen wie der Franken oder der Euro die dazu dienen, Waren und Dienstleistungen zu kaufen und zu verkaufen. Durch die Kontrolle wird aber die Spekulation weitgehend eingeschränkt und die Kryptowährungen werden relativ wertstabil bleiben. Grosse spekulative Gewinne wie in der Vergangenheit wird es nie mehr geben.....
Ich finde das Interview aus der Sicht eines Investors ganz gut. Vielleicht noch ein paar grundlegende Punkte, welche man beachten soll.
Es gibt Bitcoin (keine Firma) und Altcoins (alle anderen Projekte). Bevor ich in etwas investiere sollte klar sein, was es ist und was es kann. Warum wurde Bitcoin erschaffen und warum wurde Ethereum oder die ganzen anderen Projekte erschaffen? Zu Ethereum gibt es ein ganz interessantes Buch namens "The Cryptopians", welches erklärt wie Ethereum entstand und wer mit welchen Absichten beteiligt ist/war.
Bitcoin seinerseits bietet maximale Sicherheit, welche mit Energie und Zeit bezahlt wird. Dies fördert wiederum die Effizienz und nicht die Verschwendung. Bei Ethereum führt das hochgelobte Staking zu einer Zentralisierung und es werden nun aktiv Zahlungen gefiltert und zensiert (Tornado Cash). Ob nun all die anderen Projekte, welche das kaputte FIAT System in die Kryptowelt projizieren (DeFi) nachhaltig sind, könnte ein Traum bleiben. Klar, für einen Investor, welcher auf (FIAT?) Rendite abzielt, muss für einen maximalen Gewinn in Altcoins investieren.
Wer Sicherheit will, beschafft sich Bitcoin. Die Aussage von Herrn Marti betreffend der Komplexität der eigenen Schlüssel ist nicht ganz zutreffend. Es gibt heute gute hardware wallets und Anleitungen wie Bitcoins einfach und sicher aufbewahrt werden. Alternativ gibt es viele Möglichkeiten die 24 Wörter dauerhaft zu sichern. In Afrika geht das auch. Wer mit Bitcoins bezahlen will, der kann sich bereits jetzt eine Lightning App installieren und je nach Sicherheitsbedürfnis auch dort seine eigenen Schlüssel verwalten oder der Drittpartei (wie heute den Banken) vertrauen. Mit Taro wird Bitcoin noch weiter skalieren können und weitere spannende Innovationen bringen.
Bereits im 2016/17 gab es den ICO Hype mit all den coolen Projekten. Der Crash Ende 2017 hat wieder Ordnung in den Markt gebracht. Viele "schnell reich" Investoren haben den Markt verlassen und viele Projekte sind zurecht untergegangen. Einigen Personen hat dies die Augen geöffnet, während andere nun dem Kryptosektor abgeneigt sind. Diese Reinigung fehlt aktuell noch.
Wer erkennt, dass Sicherheit wichtiger ist als Rendite, der wird den Wert des Bitcoins erkennen. Bitcoin ist nicht einfach zu verstehen. Trotzdem kann man sehr viel lernen und entdeckt neue Winkel der Wirtschaft und der Finanzwelt.