Wenn die Europäer auf den Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident schauen, fürchten sie nicht nur einen möglichen transatlantischen Handelskrieg, sondern auch einen radikalen Wechsel Washingtons in der Ukraine-Politik. Immerhin waren die USA unter US-Präsident Joe Biden mit Abstand grösster militärischer Unterstützer der Ukraine. Und lange hatte Trump erklärt, dass er den Krieg innerhalb eines Tages stoppen würde. Noch am Donnerstag hatte sich SPD-Chef Lars Klingbeil besorgt gezeigt, dass der künftige US-Präsident sehr schnell über die Köpfe der Ukrainer und Europäer hinweg eine Verständigung mit Russlands Präsident Wladimir Putin suchen könnte.
Aber mittlerweile hat sich die Einschätzung in Regierungskreisen gedreht: Auch Kanzler Olaf Scholz gibt sich optimistisch, dass die US-Waffenhilfe für die Ukraine mit dem Amtsantritt von Trump nicht sofort abreisst. Trump und seine Berater rechnen jetzt mit einer Zeitspanne von mehreren Monaten, um den Konflikt zu lösen. Das hat verschiedene Gründe.
Wahlkampfgetöse bisher
Ein Grund für den Wandel scheint zu sein, dass Trump von Wahlkampf zu nahender Regierungsverantwortung überschwenkt. Auch zwei Vertraute des Republikaners, mit denen die Nachrichtenagentur Reuters gesprochen hat, gehen davon aus, dass Trumps grossspurige Ansagen vor allem dem Wahlkampf geschuldet waren. So hatte Trump zunächst wiederholt erklärt, er würde am ersten Tag im Amt einen Deal zwischen der Ukraine und Russland zustande bringen. Jetzt reklamiert er etwa auch den Waffenstillstand im Nahen Osten für sich, den die US-Regierung von Präsident Biden und Katar ausgehandelt haben. Ende Oktober erklärte Trump dann, er könne den Krieg in der Ukraine «sehr schnell» lösen. Nach seinem Wahlsieg am 5. November schraubte Trump seine Rhetorik schliesslich immer weiter zurück. Seither spricht er häufiger davon, dass er den Konflikt «lösen» werde. Einen klare Zeitplan bot er nicht mehr an.
Einfluss der Berater
Offenbar hat daran auch Trumps auserkorener Russland-Ukraine-Beauftragter Keith Kellogg deutlichen Anteil. Er scheint dem zukünftigen Präsidenten die Komplexität des Konflikts erklärt und vor einem schnellen Deal mit Putin gewarnt zu haben. Erst vergangene Woche hatte Kellogg dem Sender Fox News gesagt, dass er eine Lösung innerhalb der ersten 100 Tage von Trumps Amtszeit anstreben würde.
Andere US-Experten sind allerdings skeptischer. Das sei «viel, viel zu optimistisch», sagte John Herbst, ehemaliger US-Botschafter in der Ukraine und jetzt bei der Denkfabrik Atlantic Council in Washington. Damit das funktioniere, müsse Trump Putin erst von den Nachteilen überzeugen, falls Russland nicht einlenke, sagte Herbst. Bisher hat Russland allerdings nur gemischte Signale bezüglich eines möglichen Friedensabkommens gesendet. Den Vorschlag, direkte Gespräche mit Trump zu führen, hat Moskau zwar begrüsst. Gleichzeitig wurden aber einige der Ideen aus dem Trump-Lager als unpraktikabel abgelehnt. Putin unterstreicht zudem immer wieder, dass er an seinen Kriegszielen in der Ukraine festhalten wolle. Darauf weisen auch republikanische Kongress-Abgeordnete hin.
Was machen die Europäer?
In den vergangenen Wochen seit dem Wahlsieg hat Trump zudem mit einer Reihe europäischer Politiker und Politikerinnen gesprochen. Auch Kanzler Scholz hat zweimal mit Trump telefoniert und sich danach deutlich optimistischer gezeigt als zuvor. «Wir können darauf hoffen, dass eine gute Kooperation zwischen Europa und den USA auch in der Frage der Unterstützung der Ukraine für die Zukunft weiter gelingt», sagte er am Freitag. Einen abrupten Abbruch der amerikanischen Militärhilfe für die Ukraine erwartet Scholz also nicht mehr - zumal Teile des unter Biden beschlossenen 60-Milliarden-Dollar-US-Pakets noch gar nicht ausgeliefert wurden.
Einfluss könnte aber auch haben, dass sich Trump mit der rechtspopulistischen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni getroffen hat. Diese gehört - anders als andere Rechtsaussen-Parteien in der EU - zu den klaren Befürwortern einer Ukraine-Unterstützung und warnt vor den Folgen eines russischen Siegs in der Ukraine. Auch der Hinweis der Europäer auf die chinesisch-russische Allianz könnte angesichts der China-Skepsis vieler Trump-Vertrauten eine Rolle spielen.
Allerdings betonten EU-Diplomaten, dass man nicht auf Zusagen des als wankelmütig geltenden Trumps vertrauen könne. Immerhin unterstützen Trump-Berater wie der umstrittene Milliardär Elon Musk ganz offen extreme Rechte in Europa, von denen viele auch gute Beziehungen zu Moskau pflegen.
Scholz und Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson betonten am Freitag deshalb vorsorglich, dass ihre Länder die Ukraine-Militärhilfe auf jeden Fall fortsetzen wollten. Trump könnte in der Abwägung eher einen Konflikt mit den Europäern im Handelsbereich suchen als in der Ukraine-Politik.
(Reuters)