In einer cash-Umfrage unter 17 Banken und Vermögensverwaltern zum Börsenjahr 2022 war Ende des letzten Jahres der Tenor klar: Es wird etwas ungemütlicher an den Märkten, aber grundsätzlich bleibt’s behaglich. Schliesslich legte der Swiss Market Index im Jahr 2021 rund 20 Prozent zu. Wieso sollte das, auch in etwas abgeschwächter Form, nicht so weitergehen? Eine grosse Bank (nein, nicht die Credit Suisse) als grösste Optimistin schätzte in dieser cash-Umfrage einen SMI-Punktestand von 13'700 für Ende 2022.
Der «Reality Check» zwölf Monate später: Der SMI notiert unter 11'000 Zählern, im Oktober geriet er fast unter die Marke von 10'000. Das zeigt: Auch die ganz grossen Player am Markt irren sich.
Das mag für die breite Masse von Privatanlegerinnen und Privatanlegern nur ein kleiner Trost sein. Denn an der tristen Bilanz im eigenen Portfolio ändert es nichts. Nicht bloss Aktien-Investierte traf es in diesem Jahr hart. Fragen Sie Ihre Pensionskasse, wieviel zum Beispiel das Minus bei Obligationen beträgt. Viele Portfolios konnten die Verluste im Jahr 2022 nur dank Immobilienanlagen einigermassen in Grenzen halten.
Es ist müssig darüber zu sinnieren, ob man den Zinshammer der Notenbanken nicht besser hätte einkalkulieren müssen. Die Kritik an den Währungshütern, dass sie die Wucht der Inflation unterschätzten oder gar negierten, war aber Ende 2021 schon laut, sehr laut. Andere negative Entwicklungen 2022 wie Russland mit dem dreckigen Krieg in der Ukraine und China mit den bizarren Covid-Massnahmen waren weniger vorhersehbar. Sie decken bloss einmal mehr auf, wie sehr Diktaturen in permanenter Paranoia handeln und nichts mehr fürchten als Demokratie und eine liberale Gesellschaftsordnung.
Ja, der Schock sitzt tief nach diesem desaströsen Anlagejahr und dem grössten Aktienabsturz seit 2008. Nun dominiert bei den Auguren Zurückhaltung und Ratlosigkeit. In solchen Situationen betrachten Prognostiker gern die Historie. Und die bringt den erwünschten Balsam auf die Wunden: Der Dow Jones Index hatte seit dem Jahr 2000 nur achtmal eine jährliche Minusperformance, nämlich von 2000 bis 2002, 2008, 2018 und 2022 - in den Jahren 2005 (0,61 Prozent) und 2015 (2 Prozent) war das Minus zumal kaum messbar. In der deutlichen Mehrheit lag der Dow Jones seit 2000 mit Jahresleistungen zwischen 3 Prozent (2004) und 26,5 Prozent (2013) jeweils im Plus.
Liess sich von dieser Börsen-Bilanz auch eine Mehrheit von 137 konsultierten Vermögensverwaltern und Banken in einer Bloomberg-Umfrage inspirieren? 71 Prozent dieser befragten Institute sehen die Börsen 2023 nämlich wieder steigen mit einer Performance von durchschnittlich 10 Prozent. Die Konsens-Überlegung dahinter: Die grossen westlichen Volkswirtschaften schlittern in der ersten Jahreshälfte zwar in eine kurze Rezession und die Unternehmensgewinne gehen zurück. Die Lage sollte sich im zweiten Halbjahr dann allerdings aufhellen, weil auch die Leitzinsen nicht mehr steigen oder gar wieder zurückgehen.
Die Pessimisten wenden allerdings ein, dass die positive Börsenperformance in den letzten 22 Jahren vor allem durch die Tiefzinspolitik der Notenbanken verursacht wurde. Laut diesen Schwarzmalern kriegen 2023 die Währungshüter in den USA und anderswo die Inflation nicht in Griff, unerwartete Zinserhöhungen und eine tiefe, anhaltende Rezession lassen die Börsen auch nächstes Jahr ins Minus schlittern. Ein Szenario wie nach der Jahrtausendwende mit drei Jahren Dow-Jones-Minusperformance ist für die Marktpessimisten realistisch.
Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. 2023 könnte auf ein Nullsummenspiel und ein Jahr der Konsolidierung an den Börsen hinauslaufen, mit allerdings viel Volatilität im Jahresverlauf. Diese Einschätzung macht, zugegebenermassen, kaum Appetit auf Aktien-Investments. Nicht investiert sein in Aktien ist allerdings auch in mageren Börsenzeiten kein guter Ratgeber. Das zeigt der Blick auf die Entwicklung der Märkte weit über die letzten 22 Jahre hinaus.
Ein Abseitsstehen an der Börse macht auch keinen Sinn mit Blick auf die Inflation, die wohl auch in den nächsten Jahren deutlich über den Zielmarken der Notenbanken liegen wird und Bargeld weiter entwerten lässt. Und es wird auch 2023 wieder Gewinner geben an den Börsen. Wenige Handelstage vor Jahresende verzeichnen immerhin 44 von 217 Aktien im Swiss Performance Index eine positive Performance im denkbar schlechten Börsenjahr 2022.
3 Kommentare
Morgan Stanley warnte am Montag aber vor einer Finanzkrise wie 2008/09! Wenn die Gewinne sinken, sinkt auch die Börse! Damals glaubte man es nicht so richtig. Heute ist man vorsichtiger geworden. Für eine Erholung wird nun bedeutend länger dauern. Nach meiner Einschätzung, dauert es bis 2027!
Sehe ich ähnlich. Ich werde nichts verkaufen und stelle mich auf bis zu 10 jahre ein bis zu einer erholung.
Nehmen wir also das Drehbuch ab 1945: Etwa zwanzig Jahre
lang hatten wir damals ein hohes nominales Wachstum. Was ist
daran schlecht?
"Für den Durchschnittsmenschen kann finanzielle
Repression ganz gut aussehen. Sagen wir, Ihr Lohn steigt
um 5%, und Ihr Hypothekarzins liegt bei 3%. Für die
Mehrheit der Bevölkerung ist das keine schlechte Welt,
selbst wenn ihre Löhne nur im Einklang mit der Inflation
steigen. Den Preis bezahlen die Sparer. Selbst wenn man nur den Zeitraum von 1945 bis 1957 nimmt, hat man mit
britischen Staatsanleihen 35% seiner Ersparnisse verloren."
Aber es war eine tolle Zeit für Aktien, nicht wahr?
'Auf jeden Fall, wenn Sie in dieser Zeit in Aktien investiert
waren, ging es Ihnen sehr gut. Deshalb mag ich auch heute
Aktien. Allerdings gibt es einen entscheidenden
Unterschied: Bei Kriegsende lag die Rendite zehnjähriger
Treasuries auf 2,5% und die Dividendenrendite für Aktien
auf 10%. Aktien begannen die Periode der finanziellen
Repression zu spottbilligen Bewertungen. Heute beginnt
der Aktienmarkt diese Periode mit einer bereits sehr hohen
Bewertung."
Russell Napier: «Wir treten in eine Zeit der
finanziellen Repression ein»