AfD und BSW stehen bei den Landtagswahlen im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg vor kräftigen Zugewinnen. Oft wird versucht, den Aufstieg der beiden populistischen Parteien mit den wirtschaftlichen Problemen zu verbinden. Doch das greift Ökonomen zufolge zu kurz. Sie liefern andere Erklärungen:

Geben Wirtschaftsthemen den Ausschlag?

Dass wirtschaftliche Themen wahlentscheidend sein können, wusste schon das Team von Bill Clinton. Der Demokrat zog 1992 mit dem Spruch «Auf die Wirtschaft kommt es an, Dummkopf» ins Weisse Haus ein. Bei den Wahlen in Ostdeutschland muss dieser Slogan aber geändert werden, sagen Ökonomen. «It's the demography, stupid», heisst es in einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Warum ist das so?

Mit Ausnahme einiger Städte wie Leipzig, Dresden oder dem Berliner Umland leidet der Osten unter Bevölkerungsschwund. Zwischen 1990 und 2022 brach die Einwohnerzahl um 15 Prozent auf 12,6 Millionen ein, während sie im Westen um zehn Prozent auf 68 Millionen zunahm. Die ostdeutschen Kreise schrumpften allein von 2012 bis 2022 im Mittel um 2,2 Prozent - die westdeutschen wuchsen um 4,5 Prozent, wie es in der IW-Studie heisst.

Der ökonomische Pessimismus ist in schrumpfenden Regionen zugleich besonders ausgeprägt: 80 Prozent der befragten Ostdeutschen unterschätzen dort der Studie zufolge die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Wohnregion. «Populistische Parteien machen sich diesen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit natürlich zunutze», sagt IW-Forscher Diermeier. «Wirtschaftlicher Pessimismus spiegelt sich in einer stärkeren Neigung zu politischen Rändern wider – sprich AfD und BSW.»

Wie sieht es mit der Alterung aus?

Diese schreitet im Osten schneller voran. 1990 war die Bevölkerung hier noch jünger als in der alten Bundesrepublik: Der Anteil der unter 20-Jährigen betrug 25 Prozent, im Westen 21 Prozent. «Im Zeitverlauf hat sich dieses Verhältnis umgekehrt», stellt das Statistische Bundesamt fest. 2022 war im Osten der Anteil der unter 20-Jährigen mit 18 Prozent geringer als im Westen mit 19 Prozent.

Zugleich ist der Anteil der ab 65-Jährigen mit 27 Prozent deutlich höher als im Westen (21 Prozent). 2023 betrug das Durchschnittsalter im Osten 47,3 Jahre, im Westen dagegen nur 44,2. «Dort, wo junge, gut qualifizierte Menschen abwandern, Schulen und Krankenhäuser schliessen und Ärzte und Treffpunkte für soziale Kontakte fehlen, ist der Stimmanteil von AfD und BSW sehr viel höher», sagt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher.

Wie hat sich die Arbeitslosigkeit entwickelt?

Bundesweit liegt die Arbeitslosenquote aktuell bei 6,0 Prozent. Im Osten ist sie höher, aber nicht mehr weit weg vom bundesweiten Schnitt: Im Juli lag sie in Brandenburg mit 6,1 Prozent nur einen Tick höher, ebenso in Thüringen (6,3 Prozent) und Sachsen (6,6 Prozent) - aber jeweils niedriger als etwa in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland. «Die alte Geschichte, dass Ostdeutschland wirtschaftlich viel schlechter dasteht als der Westen, ist zu einem grossen Teil überholt», sagt der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding.

Und dennoch: Trotz des deutlichen Abbaus der Arbeitslosigkeit ist weniger als jeder dritte Ostdeutsche zufrieden mit der Entwicklung auf dem heimischen Arbeitsmarkt während der vergangenen zehn Jahre. Ein Drittel ist sogar explizit unzufrieden, so die IW-Umfrage.

Und wie sieht es mit den Löhnen aus?

Hier ist der Abstand grösser. In Westdeutschland beträgt der durchschnittliche Bruttolohn für einen Arbeitnehmer knapp 43'000 Euro im Jahr. In den drei genannten ostdeutschen Ländern liegt der Schnitt mit jeweils etwa 37'000 Euro deutlich darunter. «Die ostdeutschen Bundesländer haben sich in den letzten 25 Jahren wirtschaftlich hervorragend entwickelt und stehen heute sehr viel besser da, als erwartet werden konnte», betont DIW-Chef Fratzscher. «Die wirtschaftlichen Bedingungen, die Einkommen, die Qualität der Arbeitsplätze und die soziale Absicherung in den ostdeutschen Bundesländern haben sich denen in Westdeutschland angenähert und sind heute deutlich besser als in fast jeder anderen Region des früheren Ostblocks.»

Was ist mit der Wirtschaftskraft?

Auch hier sind die Unterschiede noch recht deutlich. Das Bruttoinlandsprodukt in Westdeutschland lag im vergangenen Jahr bei knapp 51'000 Euro je Einwohner. In Thüringen sind es nur gut 35'700 Euro, in Brandenburg 37'800 und in Sachsen 38'100.

Wieso ist die Demografie ein so starker Faktor?

Studien des DIW zufolge ist die grosse Frustration vieler und die Unterstützung der AfD in Ostdeutschland vor allem Zukunftssorgen und einer mangelnden sozialen Teilhabe geschuldet. «Die wichtigste Erklärung für die Stärke von AfD und BSW in Ostdeutschland ist die Demografie», erklärt DIW-Präsident Fratzscher. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt das Ifo-Institut. «Populistische Parteien finden vor allem in Regionen Zuspruch, in denen eine hohe Zahl älterer Wahlberechtigter lebt und in denen die Menschen mit wenig Zuversicht in die Zukunft schauen», sagte der stellvertretende Leiter der Ifo-Niederlassung Dresden, Joachim Ragnitz. Ein Zusammenhang zu Faktoren regionaler Wirtschaftskraft oder einer ungünstigen Arbeitsmarktsituation sei hingegen nicht festzustellen.

Was folgt daraus?

Das IW schreibt den Unternehmen vor Ort eine wichtige Rolle zu. Sie würden eine relativ hohe Glaubwürdigkeit geniessen, anders als etwa Politik und Medien. «Wirtschaftliche Erfolge sollten daher ebenso klar benannt werden wie die vorherrschenden Schwierigkeiten», sagt IW-Forscher Diermeier. Politik sollte darauf abzielen, gleichwertige Lebensverhältnisse zu ermöglichen. «Das kann in Stadtnähe zum Beispiel durch die Ansiedlung von Behörden oder Unternehmen geschehen», so der Experte. «Im ländlichen Raum muss hingegen eine infrastrukturelle Grundversorgung gewährleistet sein.» Nach den Worten von DIW-Präsident Fratzscher sollte die Politik die Zukunftssorgen ernster nehmen und in eine bessere Daseinsfürsorge investieren.

(Reuters)