Auch wenn für die Gesundheitsbehörden der Preis wahrscheinlich nie hoch genug sein kann, lässt Zucker die übrige Lebensmittelinflation moderat aussehen — und weit weniger klebrig.
Produzenten wie die Südzucker gehen davon aus, dass diese massiven Preiserhöhungen auch in den kommenden Monaten anhalten werden, und sie machen damit Kasse. In absoluten Zahlen ist Zucker nach wie vor billig, und die Kostensteigerungen spiegeln grösstenteils den Druck wider, der ausserhalb der Kontrolle der Hersteller liegt. Nichtsdestotrotz werden ihre hohen Gewinne die Debatte über die "Gierflation" inmitten einer Lebenshaltungskostenkrise weiter anheizen.
Die atemberaubende Wende zum Glück für Big Sugar folgt auf Jahre der Krise. Die europäische Zuckernachfrage ist aufgrund einer gesünderen Ernährungsweise strukturell rückläufig (auch wenn der Verbrauch nicht so schnell sinkt, wie Ärzte und Zahnärzte es sich wünschen würden). Darüber hinaus hat die Marktliberalisierung — die 2017 in der Abschaffung der Produktionsquoten gipfelte — zu einem weltweiten Überangebot und niedrigen Preisen geführt, die die europäischen Hersteller dazu zwangen, mehr als ein Dutzend Zuckerfabriken zu schliessen.
Anbau von Zuckerrüben rückläufig
Der Anbau von Zuckerrüben — aufgrund des kühleren Klimas der wichtigste Rohstoff für den Grossteil der europäischen Zuckerproduktion — ist stetig zurückgegangen, was Europa zu einem Nettoimporteur von Zucker gemacht hat. Heute gibt es auf dem Kontinent nur noch eine Handvoll grosser Produzenten, darunter die deutsche Südzucker, Nordzucker und Pfeifer & Langen, der französische Verarbeiter Tereos und Associated British Foods (Eigentümer von British Sugar).
"In Europa wird weniger Zucker produziert als früher, und wir haben diese grosse Preisdifferenz. Ich denke, das wird auf absehbare Zeit so bleiben", sagte der Chef von AB Foods, George Weston, im November vor Investoren.
Im Zuge eines globalen Bullenmarktes für Zucker haben mehrere Faktoren die europäische Zuckerinflation noch verschärft. Trockenheit, gefolgt von schlechtem Winterwetter, hat die Zuckererträge beeinträchtigt, und die französischen Landwirte haben aus Angst vor einem Verbot von Insektiziden zur Bekämpfung des Rübenvergilbungsvirus (zum Schutz der Honigbienen) weniger Rüben ausgesät. Gleichzeitig hielten höhere Preise für Mais, Getreide und Raps die Landwirte davon ab, Rüben anzubauen und gaben ihnen mehr Verhandlungsmacht (nach dem Motto: "zahlen Sie, oder wir bauen etwas anderes an"). Im März kündigte Tereos die Schliessung einer französischen Zuckerfabrik an.
Auch die Diesel- und Düngemittelkosten der Landwirte sind gestiegen. Und die Verarbeitung von Zucker ist sehr energieintensiv — die Rüben werden erhitzt, um die Süsse freizusetzen —, so dass die Raffinerien im letzten Jahr deutlich höhere Gasrechnungen hatten. Seitdem sind die Energiekosten zwar stark gesunken, aber die Auswirkung auf die Zuckerpreise könnte durch Hedging begrenzt sein.
Nachfrage ungebrochen
Bislang haben die hohen Preise weder zu einer Zerstörung der Nachfrage noch zu einer grossen Reaktion des Angebots geführt. Die Zuckerimporte aus der Ukraine stiegen sprunghaft an, nachdem die EU den zollfreien Zugang erlaubt hatte, aber letzte Woche hat Kiew weitere Lieferungen vorübergehend gestoppt. Polnische Landwirte pflanzen mehr Rüben an, aber das wird wahrscheinlich nicht ausreichen, um einen grossen preisdämpfenden Überschuss zu erzeugen.
Die globale Situation ist auch nicht gerade hilfreich. Schlechtes Wetter hat die indische Ernte beeinträchtigt, und während man grosse Hoffnungen in die brasilianische Zuckerproduktion setzt, bleibt der Transport eine Herausforderung. Ernteschäden durch die Rückkehr von El Niño könnten den Zuckermarkt noch weiter verknappen.
Die hohen Preise wurden zum Turbo für die Renatbilität europäischer Zuckerhersteller, abgesehen von einigen Ausnahmen. (Eine schlechte Rübenernte in Grossbritannien hat British Sugar gezwungen, sehr teuren Zucker von Konkurrenten zu kaufen).
Südzucker hat in seinem Zuckergeschäft in dem im Februar zu Ende gegangenen Geschäftsjahr einen operativen Gewinn von 230 Millionen Euro erzielt — das beste Ergebnis seit fast einem Jahrzehnt. Das Unternehmen erwartet, dass sich der Gewinn im Zuckergeschäft in diesem Geschäftsjahr in etwa verdoppeln wird.
Der nicht börsennotierte Konkurrent Nordzucker rechnet ebenfalls mit einem "noch positiveren" Geschäftsjahr als dem gerade abgelaufenen, in dem sich der operative Gewinn fast verdoppelt hat. Das Unternehmen rechnet mit einer "sehr positiven" Preisentwicklung für Zucker aufgrund des geringen europäischen Angebots und der "anhaltend sehr hohen Inflation". Beide Unternehmen befinden sich mehrheitlich im Besitz von Zuckerrüben-Landwirten.
Zuckerproduzenten profitieren
Die europäischen Zuckerproduzenten profitieren von einem Zuckerpreis, "der den Anstieg der Inputkosten deutlich übersteigt", sagte Alexander Neuberger, Analyst bei Metzler Capital Markets. Seiner Meinung nach hat eine "strukturelle Veränderung" des Marktes den Weg für "nachhaltig höhere Zuckerpreise im Vergleich zu den letzten Jahren" geebnet.
"Die europäischen Zuckerhersteller haben erkannt, dass es für sie gut ist, wenn der Markt defizitär ist", sagte Anton Brink, Analyst bei Antaurus Capital Management. "Sie können aus Kostensicht nicht mit den Brasilianern konkurrieren und sind daher darauf angewiesen, dass die EU Einfuhrzölle erhebt."
Zucker macht oft nur einen relativ kleinen Teil der Kosten von Lebensmittel- und Getränkeherstellern aus, aber die Einkäufer sind unzufrieden und warnen, dass kleinen Unternehmen eine Katastrophe drohen könnte, wenn die geringen Lieferungen zu einer völligen Verknappung führen. Sie fordern Europa dringend auf, die Schutzzölle auf Weisszuckerimporte auszusetzen. Der EU-Zoll von bis zu 419 Euro pro Tonne stelle "eine Preisschwelle dar, bis zu der die Zuckerindustrie ihre Angebotspreise treiben kann, ohne den Wettbewerb fürchten zu müssen", erklärte der Industrieverband der Zuckereinkäufer CIUS im April.
Die Aussetzung der Zölle könnte die Verbraucherpreise senken, würde aber die heimischen Rübenbauern treffen, die sich darüber beschweren, dass der europäische Zuckermarkt bereits stärker dereguliert sei als andere. Bei einer solch ungünstigen politischen Entscheidung ist es leicht zu verstehen, warum sich die Zuckerinflation als klebrig erweisen könnte.
(Bloomberg)
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Krisengewinner Warum bleiben die Preise so hoch? Ganz einfach: Die Konzerne hinter Pepsi, Pampers, Mars und Magnum erhöhen ihre Gewinne. Und die Verliererinnen sind wir, die Beschäftigten. Wie sich die Inflation als Erfolgsmodell entpuppt
Ausgabe 23/2023
Jan Ole Arps, Nelli Tügel
"Wie bitte, eine Kugel Eis zwei Euro?! Solche Schocks dürften in den Eisdielen häufiger eingetreten sein. Denn die Preise für Lebensmittel sind mindestens ebenso hoch geklettert wie die Temperaturen. Nun ist Eis streng genommen kein Lebensmittel, es ist ein Genussmittel, ebenso wie der Cappuccino, der in den Cafés inzwischen gerne mal 3,50 Euro kostet. Lebensmittel aber sind die Zutaten der Genussmittel: Milchprodukte sind im Schnitt über 30 Prozent teurer als im vergangenen Jahr. Und Zucker, unbestreitbar eine wichtige Zutat in jedem Eis, kostete im April 2023 ganze 70 Prozent mehr als 2022. Aber gab es nicht auch Lohnsteigerungen? Doch! Nur waren die nicht so hoch wie die Preissteigerungen. Die meisten Menschen können sich für ihr Geld weniger Eiskugeln kaufen als noch 2022.
Ist das einfach die Inflation? Der Krieg? Pandemie? Missernten wegen des Klimawandels? Nein, ist es eben nicht, auf jeden Fall nicht nur. Es mehren sich die Anzeichen, dass die Unternehmen die Zeit der Krise ausnutzen und die Preise erhöhen, um einfach mehr Profite zu machen."
"Für eine kleine offene Volkswirtschaft wie Zypern bietet die Einführung des Euro Schutz vor internationalen Finanzturbulenzen, die sich oft unverhältnismäßig stark auf kleinere Volkswirtschaften auswirken."
Jean-Claude Trichet
„Der erfolgreiche Beitritt Zyperns zum Euroraum“ . Rede auf der Konferenz „Willkommen Zyperns im Euroraum“, Nikosia, www.ecb.europa.eu. 18. Januar 2008.