Was beschäftigt derzeit die Finanzmärkte?
Die meisten Themen an der Börse begleiten uns schon einige Zeit: Handelsstreit USA-China, Zinsentwicklung, Hongkong, Kryptowährungen, BREXIT, wirtschaftliche Frühindikatoren sowie internationale politische Konflikte. Neu entwickelt sich das drohende Amtsenthebungsverfahren, das sogenannte Impeachment, gegen den US-Präsidenten zu einem grossen Thema, insbesondere in den USA.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Die hohen Gewinne des laufenden Jahres wirken insofern hemmend, als dass die Marktteilnehmer diese tendenziell sichern wollen. Die Investoren dürften somit eher zu Gewinnmitnahmen neigen, als zu Neuengagements und neuen Risiken. Ich erwarte deshalb vorläufig eine seitwärts tendierende Börse.
Schweizer Immobilientitel haben sich dieses Jahr stark aufgewertet. Mit welcher Entwicklung rechnen Sie im kommenden Jahr?
Die starke Aufwertung ist primär dem nochmals gesunkenen Zinsniveau zuzuschreiben. Dies führte zu Bewertungsgewinnen auf bestehenden Liegenschaften und ermöglichte den Immobiliengesellschaften eine günstigere Refinanzierung. Das gewichtete Agio der grossen kotierten Schweizer Immobilientitel, das heisst die bezahlte Differenz (Aufgeld) zwischen Börsenkurs und Bilanzwert, betrug per Ende Oktober fast 37 Prozent und liegt damit auf dem Höchst der letzten 15 Jahre! Ich erwarte nach dieser Rally eine nachlassende Preisdynamik. Dies auch mit Blick auf höhere Leerstände und Verwässerungseffekte beim weiteren Ausbau der Portfolios. Als stabile Dividendenaktien dürften Immobilientitel dennoch einige Zeit dienen, wobei grössere Kursrückschläge bei veränderten Zinsaussichten oder unternehmensspezifischen Ereignissen nicht auszuschliessen sind.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Ohne neue Fakten zu den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen fehlt den Börsen der notwendige Sauerstoff für weitere Höhenflüge. Die heute bekannten Daten lassen aber auch einen deutlichen Börseneinbruch als wenig wahrscheinlich erscheinen. Bis neue Klarheiten vorliegen, dürfte der Seitwärtstrend anhalten. Je nachdem kann es dann nach oben oder unten gehen.
Nächstes Jahr finden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Wagen wir einen Blick in die Kristallkugel: Was würde eine weitere Amtszeit von Donald Trump für die Wirtschaft bedeuten?
Donald Trump wird im Falle einer Wiederwahl seine «America First»-Politik weiterführen. Weitere Handelsstreitigkeiten und die Abkehr von internationalen Abkommen können somit erwartet werden. In den USA dürfte dies insbesondere den kleineren und mittelgrossen Unternehmen mit lokalen Produktions- und Absatzmärkten helfen. Ob diese Politik jedoch auch den international ausgerichteten Grosskonzernen nützt, wage ich zu bezweifeln. So lange der US-Arbeitsmarkt intakt und die Finanzierungskonditionen locker bleiben, wird die US-Wirtschaft weiter gut laufen. Schwieriger sieht die Situation jedoch für die übrige Welt aus. Wenn die grösste Volkswirtschaft der Welt sich neue Vorteile verschafft, führt dies zu Nachteilen für die – meisten – anderen Länder. Die negativen Auswirkungen der «America First»-Politik sind schon heute spürbar und werden sich weiter verschärfen.
Im US-chinesischen Handelsstreit haben sich die beiden Parteien offenbar angenähert. Was würde eine teilweise Einigung zwischen den USA und China bedeuten?
Eine teilweise Einigung dürfte temporär die Investoren beruhigen und Druck von der US-Notenbank nehmen, die Zinsen weiter zu senken. Die grundlegenden Probleme des hohen Ungleichgewichts der amerikanisch-chinesischen Handelsbilanz werden jedoch kaum gelöst. Der Kampf um die Vorherrschaft im Technologiewettstreit und die zunehmende politische und wirtschaftliche Bedeutung Chinas in der Pazifikregion werden auch künftig für Konflikte sorgen.
Im Sommer hat China seine Technologiebörse Star lanciert. Wie hat sich der Börsenplatz seither entwickelt – wird er zum ernsthaften Konkurrenten der US-Technologiebörse Nasdaq?
Jüngst ist mit Haohai Biological Technology das 37. Unternehmen kotiert worden und weitere Börsengänge stehen an. Die Handelsvolumen an der chinesischen Technologierbörse sind heute noch vergleichsweise tief und die Kursbewegungen volatil. Dies dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass sich derzeit noch viele Kleininvestoren im Markt befinden und wenig institutionelles Geld. Letzteres auch deshalb, weil bisher ein dem «Nasdaq Composite» vergleichbarer Index fehlt. Der führende Indexanbieter MSCI hat jedoch angekündigt, Titel aus der chinesischen Technologiebörse in seine Indizes aufnehmen zu wollen. Dies dürfte institutionelle Kapitalflüsse vorantreiben. Die Technologiebörse Star ist aus chinesischer Sicht einerseits ein Testkonstrukt für ein einfacheres Zulassungsverfahren im Vergleich zu den bestehenden Inlandbörsen, anderseits aber auch eine Finanzierungsquelle für chinesische Technologieunternehmen. Letztere Funktion dürfte bei neuen Konflikten mit den USA eine zentrale Rolle spielen. Würde chinesischen Unternehmen der Zugang zur amerikanischen und internationalen Börse verwehrt, wäre Star eine der wenigen valablen Plattformen zur öffentlichen Kapitalbeschaffung. Dies würde die Bedeutung von Star sicherlich begünstigen. Bis Star jedoch mit Pendants wie der Nasdaq gleichziehen kann, wird es noch einige Zeit dauern.
Mit Anleihen Schweizer Unternehmen lässt sich in Zeiten von Negativzinsen nicht mehr viel Geld verdienen. Auf welchen Schweizerfranken-Bonds können Anleger bis zum Verfall noch positive Rendite erzielen?
Positive Verfallrendite im Franken gibt es praktisch nur noch bei sehr langen Laufzeiten, qualitativ schlechteren Schuldnern oder kleineren, illiquideren Emissionen, welche die Schwellenwerte für eine Aufnahme in die Standardindizes nicht erreichen. Eine Investition in solche Titel geht mit entsprechend höheren Risiken einher. Privatinvestoren sollten sich jedoch nicht auf die Verfallrendite versteifen, sondern die Rendite nach Steuern betrachten. Anleihen mit Kursen deutlich über 100 Prozent präsentieren sich in der Regel nach Berücksichtigung von Einkommenssteuern als Verlustgeschäft, auch wenn die Verfallrendite im positiven Terrain liegt. Das Halten diversifizierter Kontoguthaben erscheint hier oftmals opportuner, wobei Negativzinsen auf Kontoguthaben immer mehr auch im Privatkundengeschäft Realität werden.
Christof Strässle ist Gründungs- und Managing Partner der Strässle Schumacher AG in Luzern. Strässle Schumacher ist spezialisiert auf unabhängige Vermögensberatung und strategische Finanzplanung.
Das Interview erschien zuerst bei handelszeitung.ch mit dem Titel: «Ich erwarte eine nachlassende Preisdynamik der Immobilientitel»