Die Rendite der zweijährigen US-Staatsanleihe überstieg zu Wochenbeginn den 10-jährigen Satz um mehr als 110 Basispunkte. Dies ist ein Niveau, das laut Bloomberg-Daten zuletzt in den frühen 1980er Jahren erreicht wurde. Grund: Marktteilnehmer preisen bei den Anleihen eine weitere geldpolitische Straffung der US-Notenbank Fed ein.
Sind die Renditen für kurzlaufende Anleihen höher als die Renditen für langlaufende Anleihen, wird die Zinskurve als "invers" bezeichnet. Normalerweise ist es genau umgekehrt. Denn zehn Jahre oder noch weiter in die Zukunft zu schauen ist schwieriger als die kurzfristige wirtschaftliche Entwicklung vorherzusagen. Die Halter der Obligationen mit längeren Laufzeiten werden denn auch mit der höheren Rendite für ihr grössere Risiko entschädigt.
Bei einer inversen Zinskurve steht dieses Gefüge Kopf. Dann schätzen die Märkte die kurzfristigen Risiken höher als die langfristigen ein und steuern sichere Häfen an. Die kurzfristigen Risiken bestehen darin, dass weitere Zinserhöhungen in den USA eingepreist werden müssen, da das Tempo der Verlangsamung sowohl bei den Inflations- als auch bei den Beschäftigungsdaten die politischen Entscheidungsträger und die Märkte nicht zufrieden stellt.
Nach zehn Zinserhöhungen in Folge liess die Fed die Zinsen im vergangenen Monat zwar unverändert. Die Notenbank will damit schauen, wie sich die hohen Leitzinsen auf die Wirtschaft auswirken. Die seither veröffentlichten Wirtschaftsdaten, die über den Erwartungen lagen, deuten jedoch darauf hin, dass eine weitere Straffung wahrscheinlich ist.
Die Marktmeinung gegenüber der Fed-Geldpolitik ist glasklar
Gleichzeitig gehen viele Investoren davon aus, dass es die Fed mit ihrer Zinspolitik übertrieben hat und die Wirtschaft über kurz oder lang in die Rezession treibt. Das Leitzinsniveau muss nach dieser Auffassung zufolge in den kommenden Jahren wieder zurückgeführt werden - von derzeit über 5 Prozent in Richtung 3 Prozent. Daher schlagen sich aktuell weitere Ankündigungen von Leitzinsanhebungen nur noch am kurzen Ende der Zinskurve nieder.
Eine ähnliche Situation konnte am Markt bereits Anfang März beobachtet werden, als Fed-Chef Jerome Powell zusätzliche Leitzinsanhebungen in Richtung 6 Prozent in Aussicht gestellt hatte, ein solches Leitzinsniveau aber in der längeren Frist von den Märkten als nicht glaubwürdig angesehen wurde. Kurz darauf kam es dann zur Bankenkrise. Diese Entwicklung schien zunächst alle diejenigen zu bestätigen, die der Fed ein zu forsches Vorgehen unterstellt hatten. Mittlerweile ist der Effekt der Bankenkrise aber völlig verpufft.
Tritt eine inverse Zinskurve auf, schrillen also bei manchen die Alarmglocken. Die "sich kreuzenden" Kurven werden allgemein als sicheres Rezessionssignal interpretiert. "Die inverse Zinskurve ist historisch ein sehr zuverlässiges Rezessionssignal", sagt auch Raiffeisen-Anlagechef Matthias Geissbühler auf Anfrage von cash.ch.
Ins gleiche Horn stösst auch Bantleon-Chefökonom Daniel Hartmann: "Es ist ein klares Rezessionssignal, auch wenn keine kausale Beziehung zwischen einer inversen Zinskurve und der wirtschaftlichen Entwicklung gegeben ist. Der Markt hatte aber in der Vergangenheit immer ein gutes Gespür dafür, ob es die Fed in der Zinspolitik übertreibt."
Rezession auf Inversion als historische Regel
In den vergangenen 50 Jahren ist es nach einer Inversion der Zinskurve in den USA immer zu einer Rezession gekommen. Die Zeitverzögerung schwankte dabei zwischen einem halben Jahr und eineinhalb Jahren. Eine negative ökonomische Wirkung ist mit einer inversen Zinskurve verbunden.
Insbesondere auch für die Banken ist eine solche Konstellation ungünstig, da sie von der Fristentransformation leben: Kurzfristiges Geld wird aufgenommen, um es langfristig zu verleihen oder anzulegen. Die Banken stehen daher weiter unter Ertragsduck und werden nicht umhinkommen, ihre Einlagenzinssätze anzuheben, um einen Depositenabfluss zu vermeiden. "Eine erneute Rückkehr der Bankenkrise ist demzufolge nicht auszuschliessen", warnt Hartmann.
Die Vorlaufindikatoren - insbesondere im Industriebereich - befinden sich schon seit einigen Monaten im kontraktiven Bereich und auch die Dynamik auf der Dienstleistungsseite nimmt ab. "Aus unserer Sicht ist zumindest eine technische Rezession in den USA unvermeidlich. Wir erwarten sowohl für das vierte Quartal 2023 als auch das erste Quartal 2024 ein negatives BIP-Wachstum", sagt Geissbühler. Da auch die europäische Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte weiter schwächeln dürfte und die Nach-Corona-Erholung in China tiefer als erwartet ausfällt, wird die Weltwirtschaft kaum wachsen.
Hartmann ist eine Spur pessimistischer und geht davon aus, dass die USA und damit auch die Weltwirtschaft über kurz oder lang in eine Rezession rutschen werden. Der Zinsschock der Notenbanken werde mithin noch zum Tragen kommen. Und inzwischen gingen von der Makropolitik nur noch restriktive Impulse aus. Die Kreditvergabe ist wegen der Leitzinsanhebungen und des "Quantiative Tightening" - Bilanzabbau durch Anleiheverkäufe - rückläufig und die Fiskalpolitik restriktiv.
Was die Inversion für den Aktienmarkt bedeutet
Was bedeutet das für die Börsen? "Wir beobachten schon seit längerem eine deutliche Diskrepanz zwischen den Bond- und den Aktienmärkten", warnt Geissbühler. Während erstere wie beschrieben eine Rezession anzeigen, ist bei den Aktien basierend auf den Bewertungen sowie den Gewinnschätzungen eine "sanfte Landung" der Wirtschaft eingepreist. Entsprechend besteht laut dem Raiffeisen-Anlagechef an den Aktienmärkten Enttäuschungspotenzial.
Bantleon-Chefökonom Hartmann rechnet wegen der unrealistisch zu hohen Schätzungen für die Unternehmensgewinne mit einer kräftigen Abwärtskorrektur. "Entsprechend sehen wir ein Rückschlagspotenzial an den globalen Aktienmärkten über die nächsten zwölf Monate von 20 bis 30 Prozent", warnt Hartmann. Die meisten Börsenindizes würden dann nochmals die Tiefststände aus dem vergangenen Jahr testen oder diese sogar unterschreiten.
Innerhalb des Aktiensegments setzen Anlegerinnen und Anleger als Schutz auf bilanz- und dividendenstarke Titel aus defensiven Sektoren wie Gesundheit, Nahrungsmittel und Konsumgüter für den täglichen Gebrauch. cash.ch hat hier darüber berichtet, welche Dividendenaktien Chancen bieten. Und hier gaben Schweizer Fondsmanager ihre Aktientipps für das restliche Jahr 2023 preis.
3 Kommentare
Es wird höchste Zeit, dass sich etwas für die Menschen tut, anstatt immer nur die Wirtschaft zu begünstigen. Denn die Wirtschaft streicht nur oben ab und lässt die Mehrheit leer ausgehen. Dabei ist die Wirtschaft an sich keinesfalls das Problem, sondern vielmehr die Verteilung der Erträge. Insbesondere die zu niedrige Besteuerung von Dividenden im Vergleich zu Arbeitseinkommen ist hierbei das eigentliche Übel.
Die Dividenden werden vor der Ausschüttung zuerst als Firmen-Gewinn versteuert. Dann werden dieselben Dividenden durch den Empfänger als Einkommen versteuert und zuletzt werden dieselben Dividenden noch als Vermögen versteuert. Das müsste eigentlich reichen !
"Zu Beginn meiner Karriere
musste ich durch ein paar
schmerzliche Fehler lernen,
dass die größten Dinge, die
mich überraschten, deshalb
geschahen, weil sie nie in
meinem Leben passierten,
aber in der Geschichte schon
oft passiert waren. Das erste
Mal geschah dies am 15.
August 1971, als ich an der
New Yorker Börse arbeitete
und die USA ihr
Schuldenversprechen, den
Menschen die Möglichkeit zu
geben, ihre Papierdollars
gegen Gold einzutauschen,
nicht einhielten. Ich dachte,
dass dies eine große Krise
wäre, die die Aktienkurse nach
unten schicken würde, aber sie
stiegen stark an. Ich verstand
den Grund nicht, weil ich noch
nie zuvor eine große
Währungsabwertung erlebt
hatte. "
Dalio: Warum die Welt am
Rande einer großen
Unordnung steht
VON TYLER DURDEN
MONTAG, 03. JULI 2023 –
12:30 Uhr
Verfasst von Ray Dalio,
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