Die Visite sowie die vielen Ministerbesuche in Washington in den letzten Wochen seien "der persönliche Anfang des Neuaufbaus der transatlantischen Beziehungen", sagt deshalb der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Peter Beyer, zu Reuters. Denn die Freude über den Abtritt von Donald Trump ist in beiden Regierungen überall spürbar. Aber die freundlichen Worte dürfen nach Ansicht des USA-Kenners Josef Braml nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade zwischen Deutschland und den USA viele Probleme bleiben.

Nord-Stream-2

Zum einen werden Merkel und Biden darüber sprechen, wie der Streit um den Bau der Nord-Stream-2-Gaspipeline durch die Ostsee beigelegt werden kann. Während Deutschland darauf beharrt, dass die Pipeline in Betrieb gehen soll, um mehr russisches Gas nach Westeuropa zu bringen, lehnen die USA dies ab. "Biden steht hier auch innenpolitisch unter Druck", warnt Beyer. Allerdings gelang es, durch eine bilaterale Arbeitsgruppe die Debatte in solche Bahnen zu lenken, dass in Berlin zumindest derzeit keine US-Sanktionen befürchtet werden. Dafür schmiedet die Regierung an einem Hilfspaket für die Ukraine, mit dem sie nicht nur Kritik in Washington, sondern auch Osteuropa ausräumen will. Ob ein entsprechendes Papier bereits bei ihrem Treffen mit Biden fertig sei, sei aber fraglich, sagte Merkel am Montagabend.

Zum anderen gibt es Differenzen in wirtschaftlichen Fragen - an denen auch die Beschwörung der westlichen G7-Industrieländer nichts ändern, dass man gegenüber China gemeinsam auftreten wolle. "Unter Biden ist der Ton freundlicher geworden. Aber auch er betreibt eine protektionistische Politik," meint der Politologe und US-Experte Braml. So haben die EU und die USA zwar der Streit um Subventionen für Flugzeugbauer beigelegt. Aber die USA haben ihre einseitig verhängten Strafzölle auf Stahl- und Aluminium-Importe aus der EU beibehalten - auch weil sie bei demokratischen Wählern populär sind. Die von Merkel angestrebte WTO-Reform kam bisher unter Biden nicht voran.

US-Corona-Einreisepolitik

Grosse Unzufriedenheit hat sich in Europa zudem über die restriktive US-Corona-Einreisepolitik aufgebaut. Die EU habe sich längst wieder für US-Amerikaner geöffnet. "Wir sind der meist geimpfte Kontinent in Europa", kritisiert Transatlantik-Koordinator Beyer. Der Austausch sei wichtig, weil deutsche Firmen hunderttausende Jobs in den USA sicherten. Die Amerikaner müssten verstehen: "Wenn der Austausch nicht mehr stattfindet, dann sind auch US-Jobs 'at stake'." Die US-Regierung wiederum hatte sich für die Freigabe der Patente auf Corona-Impfstoffe eingesetzt - was die Bundesregierung strikt ablehnt. Merkel wird in Washington deshalb mit Protesten konfrontiert werden.

Dennoch hoffen mit den Verhandlungen vertraute Diplomaten, dass bei dem Besuch eine gemeinsame Positiv-Agenda verabschiedet werden könne. Diese soll klarer skizzieren, wo die USA und Deutschland künftig enger zusammenarbeiten sollen. Dabei drängen sowohl Steve Sokol, Präsident des American Council on Germany, als auch Beyer aufs Tempo. Der CDU-Politiker verweist auf die Wahlen in den USA im kommenden Jahr, die Biden wieder schwächen könnten. Bei ihrem Besuch wird Merkel übrigens die 18. Ehrendoktorwürde erhalten - diesmal von der Johns-Hopkins-University. Merkel nimmt zwar keine Wirtschaftsdelegation und keine Journalisten mit an Bord der Regierungsmaschine. Dafür ist ihr Mann Joachim Sauer in Washington bei einem geplanten Essen mit den Bidens dabei.

«Deutschland wird sich weiter einsetzen»

Beim Koalitionspartner dämpft man die Erwartungen an die Visite. "Meine Erwartungen sind gering", sagt der aussenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid, zu Reuters. Der Besuch sei vor allem vor dem Hintergrund von Merkels bevorstehenden Abschied aus dem Amt zu sehen. Zwar gebe es Streitthemen. "Aber der US-Administration dürfte bewusst sein, dass sie diese Fragen nicht mehr mit Merkel klären muss, sondern mit der künftigen Bundesregierung."

Schon weil sie nicht als "lame duck" angesehen werden will, versucht die Kanzlerin dagegen vor ihrem Besuch im Nord-Stream-2-Streit, die Kontinuitätslinie der deutschen Aussenpolitik zu unterstreichen. "Deutschland wird sich weiter einsetzen", sagte sie Montagabend mit Blick auf die Ukraine. "Ich denke, das wird fortgesetzt von jeder neuen Regierung." Damit will Merkel betonen, dass Biden auch mit ihr noch Absprachen treffen kann.

(Reuters/cash)