Inmitten des Hin-und-Her von US-Präsident Donald Trump im Zollkonflikt wird davon ausgegangen, dass die Währungshüter um Notenbankchefin Christine Lagarde auf ihrer Zinssitzung am Donnerstag in Frankfurt den massgeblichen Einlagensatz um 0,25 Prozentpunkte auf dann 2,25 Prozent senken. Der Satz, den Banken erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, ist der Leitzins im Euroraum. Bei der Entscheidung der EZB dürfte auch eine wichtige Rolle spielen, dass die Konjunktur im Euroraum weiterhin schwach und der Preisdruck zuletzt noch mehr zurückgegangen ist.

«Die EZB wird in der kommenden Woche mit ziemlicher Sicherheit die Zinsen erneut senken», sagte etwa Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. «Zwar werden offiziell keine neuen EZB-Projektionen veröffentlicht, aber wegen der Zoll-Kapriolen von US-Präsident Trump haben die Abwärtsrisiken für Wirtschaftswachstum und Inflation deutlich zugenommen.» Sollte der Handelskrieg nicht entschärft werden, fürchten viele Experten einen deutlichen Dämpfer für die Konjunktur auch im Euroraum.

«Mit Trumps 'Tag der Befreiung' ist die Aufgabe der EZB um einiges komplizierter geworden», meint Dirk Schumacher, Chefvolkswirt der staatlichen Förderbank KfW. Zwar bestünden kaum Zweifel, dass die angekündigte drastische Erhöhung der Zölle das Wachstum belasten werde. «Für eine angemessene Bewertung des Ausmasses der Auswirkungen auf Wachstum und Inflation ist es jedoch noch zu früh.» Trump hatte zuletzt einen Rückzieher gemacht und überraschend eine 90-tägige Aussetzung der pauschalen 20-Prozent-Zölle der USA verkündet, die erst am Mittwoch in Kraft getreten waren. Bestehen bleibt aber ein neuer Basiszoll der USA in Höhe von zehn Prozent, zudem 25 Prozent auf Autos, Stahl und Aluminium aus Europa.

Daher bedeutet Trumps Zollwende aus Sicht von Charles Seville von der Volkswirtschaftsabteilung der Ratingagentur Fitch keine Entwarnung. «Selbst nach dem jüngsten Aufschub wird ein Anstieg der US-Zölle die Wirtschaftsaktivitäten in Europa treffen,» meint der Experte, der kommende Woche ebenfalls eine Zinssenkung erwartet. «Eine schwächere globale Nachfrage, sinkende Ölpreise und eine überraschende Aufwertung des Euro werden den bestehenden deflationären Tendenzen Rückenwind verleihen.» Unter Deflation verstehen Volkswirte einen Rückgang des allgemeinen Preisniveaus. Der Euro war zuletzt zum Dollar kräftig im Kurs gestiegen.

Inflation im Dienstleistungssektor

Es gibt aber auch vorsichtige Stimmen. Zwar hätten der Zollhammer der US-Regierung und die damit verbundenen Sorgen über die Auswirkungen auf die Konjunktur in Europa Spekulationen am Markt über eine weitere Zinssenkung in der kommenden Woche befeuert, meint DZ-Bank-Analyst Christian Reicherter. «Der jüngste Twist in der Zollsaga gibt den Währungshütern aber durchaus Spielraum zunächst noch abzuwarten,» so der Experte in seiner Vorschau. Aus der jüngsten Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters vom 7. bis 9. April geht hervor, dass 61 von 71 befragten Volkswirten am Donnerstag mit einem weiteren Zinsschritt nach unten rechnen.

Ein weiterer Faktor, der für die Entscheidung der Währungshüter relevant ist, dürfte die Inflation im Dienstleistungssektor sein. Dies stand bei der EZB zuletzt besonders im Fokus, da der Preisschub in dem Sektor neben dem Lohnwachstum einer der zentralen Inflationstreiber der vergangenen Monate war. Im März nahmen die Dienstleistungspreise aber nur noch um 3,4 Prozent zu nach 3,7 Prozent im Februar.

Und auch insgesamt war die Inflation in der 20-Länder-Gemeinschaft im März gesunken - und zwar auf 2,2 Prozent von 2,3 Prozent im Februar und 2,5 Prozent im Januar. Das sind gute Nachrichten für die EZB. Denn ihr Inflationsziel von 2,0 Prozent für die 20-Länder-Gemeinschaft rückt damit in greifbare Nähe.

(Reuters)