cash.ch: Herr Ilg, vor fast einem Jahr begannen die Zinserhöhungen der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Haben sich die Marktprognosen von damals, dass sich dies negativ auf die Nachfrage und die Preise von Wohneigentum auswirken würde, bewahrheitet?

Peter Ilg: Die SNB erhöhte in den letzten zwölf Monaten die Zinsen in einem Ausmass, wie wir das seit 30 Jahren nicht mehr gesehen haben. Angesichts dessen hätte ich einen Taucher bei Preisen von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen erwartet. Das ist aber nicht eingetreten. Der Markt erwies sich als sehr robust. Gewiss, das Preiswachstum hat sich sicher abgeflacht. Bei den Einfamilienhäusern waren es laut unseren Daten noch rund 4 Prozent nach einem Anstieg von 9 Prozent. Bei den Eigentumswohnungen betrug der Anstieg noch 6 Prozent von zuvor 8 Prozent.

Wie werden sich die Preise im weiteren Verlauf des Jahres 2023 entwickeln?

Ich gehe davon aus, dass wir die Spitze bei der Inflationsentwicklung erreicht haben. Entsprechend werden die weiteren Zinsschritte der Nationalbank nur noch moderat ausfallen. Die Nachfrage nach Eigenheimen wird sich daher stabilisieren oder eher zunehmen.

Weshalb blieb der Markt so robust?

Der Kauf von Wohnungen hängt immer weniger vom persönlichen Einkommen ab, sondern von der Finanzstärke der 'Mami-Papi-Bank'. Die Vermögen, die innerhalb der Familie weitergegeben werden, sind relativ krisenresistent.

Spielt auch ein gewisser Anlagenotstand mit, dass immer noch viel Geld in den Immobilienmarkt fliesst?

Die extrem schwachen Aktienmärkte im 2022 und die unsichere Weltlage haben sicher auch dazu geführt, dass einige Leute erst recht in Immobilien investiert haben. Dazu sind Obligationen mit einer Rendite von rund 1 Prozent und einer Jahresteuerung von 2,8 Prozent noch immer ziemlich unattraktiv.

Was zur Aussage führen könnte, dass der Schweizer Immobilienmarkt fast wie eine 'sichere Wette' scheint. Was müsste denn passieren, dass es zu deutlichen Korrekturen käme?

In einer kürzlich erschienen Studie wurden einige hundert Eigenheimbesitzer gefragt, was sie täten, wenn es am Markt zu einem Crash käme und die Immobilienpreise bis 30 Prozent einbrächen. Nur eine kleine Zahl der Antwortenden würde sich demnach dazu entschliessen, das Eigenheim zu verkaufen. Das heisst: Die Leute würden nie zu Notverkäufen schreiten, um einen noch weiteren Wertverlust des Eigenheims zu verhindern. Die Eigenheimbesitzer haben ein völlig anderes Investitions- und Devestitionsverhalten als Teilnehmer am Aktienmarkt. Daher kann man auch behaupten, dass das vielzitierte Platzen einer Immobilienblase in der Schweiz recht unwahrscheinlich ist. Ich glaube nicht an Abwärtsspiralen beim Eigenheimmarkt. Ein Extremereignis, zum Beispiel eine Nuklear-Problematik, könnte allenfalls zu einem Crash führen.

Bleibt der Markt auch dann robust, falls die Notenbanken die Inflation nicht in Griff kriegen und die Zinsen unerwartet in die Höhe schnellen?

Die Finanzierungen sind robust. Die Modelle der Banken gingen in den letzten Jahren davon aus, dass Hypothekarnehmer 5 Prozent Zinsen tragen können. Von diesem Niveau sind wir noch weit entfernt. Die letzte Immobilienkrise in der Schweiz wurde dadurch ausgelöst, weil die Zinsen auf unerwartet hohe Niveaus von 6 Prozent kletterten. Auch wenn bei einem solchen Niveau heute der eine oder andere Hausbesitzer unter Druck käme, würden wir kaum Panikverkäufe im grossen Stil sehen.

Einige Studien prognostizieren einen Preisrückgang, weil in den nächsten Jahren viele 'Baby Boomer' ihre Wohnimmobilien verkaufen. Einverstanden?

Das haben wir ebenfalls untersucht. Schauen Sie: Es ist der grösste Wunsch von Eigenheimbesitzern, dass die eigenen Kinder die Immobilie übernehmen können. Daher glaube ich, dass die erwarteten altersbedingten Verkäufe von Eigenheimen vor allem innerhalb der Familien abgewickelt werden.

Viele Leute sind verunsichert, ob sie eine Saron- oder Festhypothek abschliessen sollen. Wie beurteilen Sie das?

Die langfristigen Hypotheken sind im letzten Jahr sehr teuer geworden, mittlerweile hat sich der Preis etwas zurückgebildet. Das hat dazu geführt, dass viele Leute mehr Risiken eingegangen sind und die nächsten ein bis zwei Jahre 'kurzfristig' bleiben wollen, um abzuwarten, wie sich die Zinssituation entwickelt. Es wird viel von einer 'Flucht in den Saron' gesprochen. Aber es ist bloss eine realistische Kalkulation. Ich glaube, es müsste schon einiges zusammenkommen, bis der Saron auf 3 Prozent steigen würde.

Einige Banken bieten nun verschiedene Formen von Hypotheken an. Ist das attraktiv?

Grundsätzlich ist eine Bank immer daran interessiert, mit dem Kunden eine langfristige Hypothek abzuschliessen. Das dient der Kundenbindung. Ich kenne die einzelnen Produkte der Banken nicht im Detail. Aber das Produkt wird grundsätzlich nicht billiger, wenn es Strukturierungen aufweist. Solche Spezialprodukte bringen der Bank oft eine Zusatzmarge. Fairerweise muss man auch sagen, dass die Bank-Margen bei den Hypothekarzinsen ziemlich unter Druck geraten sind. Ich persönlich würde eine 'Plain-Vanilla-Lösung' anstreben. Also eine kurzfristige Saron-Hypothek oder eine langfristige Festhypothek.

Die Mieten haben bereits angezogen und werden in diesem Jahr mit dem Anstieg des hypothekarischen Referenzzinssatzes, an dem rund 50 Prozent der Schweizer Wohnungsmietverträge hängen, weiter in die Höhe gehen. Die Auswirkungen auf die Haushaltsbudgets werden wohl nicht unerheblich sein?

Die Mieten können mit dem Anstieg des Referenzzinssatzes erhöht werden. Die Vermieter können aber auch die Inflation zu 50 Prozent an die Mieter weitergeben. Die Mietinflation war 3 Prozent, davon können Vermieter also 1,5 Prozent weitergeben. Das erscheint mir moderat. Steigt der Referenzzinssatz der auf der anderen Seite von 1,5 Prozent, dem jetzigen Stand, auf beispielsweise 2,5 Prozent, könnte dies zu einem Mietzinsanstieg von 12 Prozent führen. Das wäre dann schon deutlicher. Wir waren immer davon ausgegangen, dass es rund fünf bis sieben Jahren dauern wird, bis der Referenzzinssatz steigen wird. Nun geht es ziemlich schnell. Das hängt damit zusammen, dass viele auslaufende Festhypotheken nicht mehr erneuert wurden.

Es wurde lange Zeit gesagt, es werde zu viel gebaut in der Schweiz. Nun dreht sich die Diskussion um den Mangel an Mietwohnungen. Weshalb der plötzliche Wahrnehmungswechsel?

Wir verzeichneten einen Überschuss an Mietwohnungen in Zwischenlagen, also hauptsächlich zwischen Zürich und Bern. Dort sind die Mieten tatsächlich gesunken. In den Städten gab es schon immer Knappheit an Mietwohnungen. Das erklärt sich damit, dass wir einen enormen Rückstau bei den Bewilligungsverfahren haben. Experten schätzen, dass in der Schweiz rund 50'000 Mietwohnungen, vor allem in den Städten, in den Bewilligungsverfahren festhangen. Der Nachfrageschub äussert sich in einer solchen Situation in Preiserhöhungen.

In einigen Städten im In- und Ausland ist die Deckelung von Mietzinsen eingeführt worden oder sie ist in Diskussion. Was ist Ihre Meinung dazu?

Mieter stehen hinter solchen Initiativen im guten Glauben, dass das Problem mit dem hohen Mieten gelöst wird. Aber ich sage es pointiert: Eine Mietzinsdeckelung war in den Fällen, die wir untersucht haben, das Beste, was den Eigentümern passieren konnte. In den Regionen mit Mietzinsdeckelung sind die Preise viel deutlicher gestiegen als in den Regionen ohne Mietzinsdeckelung. Der Hintergrund ist, dass Investoren dann nicht mehr bauen. Das führt zu einer Verknappung von Wohnraum, der sowieso schon knapp ist, und somit zu einer deutlichen Steigerung der Mieten. In Genf, wo die Deckelung vor rund 20 Jahren eingeführt wurde, sind die Preise stärker angestiegen als in der Stadt Zürich. In Genf bot man die Wohnungen zum Beispiel gut verdienenden Ex-Pats an zu überhöhten Preisen, was an sich nicht zulässig ist. In Berlin gingen auch die ökologischen Investitionen um rund 75 Prozent zurück, als Pläne einer Mietzinsdeckelung bekannt wurden. Dabei handelt es sich um Investitionen, welche die Liegenschaft CO2-effizient zu machen, den Einbau von neuen Fenstern und Heizungen oder die Isolation von Fassaden.

Der promovierte Betriebswirtschafter Peter Ilg ist seit 2012 Leiter und Professor am Swiss Real Estate Institute der Hochschule für Wirtschaft Zürich. Zuvor war er Finanzchef des Industriekonzerns Mikron und Controller und stellvertretender Finanzchef von SR Technics, Finanzchef von Allreal sowie Leiter des Group Controllings der Zurich Financial Services. Von 1995 bis 2002 arbeitete Ilg bei PWC als Wirtschaftsprüfer und Berater.