Tesla-Chef Elon Musk preist Wegovy als eines der Geheimnisse für sein Aussehen auf Twitter und auch Reality-Star Kim Kardashian soll mit dem Medikament innerhalb kürzester Zeit abgenommen haben. Seit Viagra gab es in der Pharmaindustrie wohl keinen vergleichbaren Hype wie derzeit um die Abnehmspritze Wegovy. In den USA muss der dänische Hersteller Novo Nordisk bereits den Zugang zu dem Mittel für neue Patienten beschränken, da er wegen der immensen Nachfrage mit Lieferengpässen kämpft. In Europa ist die Lage anders: Wegen des Booms in den USA werde die Markteinführung in den meisten europäischen Ländern langsamer als geplant verlaufen, räumte Novo Nordisk jüngst ein. Ausserdem gibt es in vielen Ländern eine Debatte, ob die Krankenkassen die kostspielige Behandlung - 1300 Dollar pro Monat Listenpreis - überhaupt übernehmen sollten.
So werden die Kosten für Wegovy in Dänemark und Norwegen, wo das Mittel bereits auf dem Markt ist, grösstenteils nicht erstattet. In Grossbritannien werden Patienten das Mittel nur unter strikten Bedingungen erhalten. In Deutschland ist die Erstattung durch die Krankenkassen sogar per Gesetz ausgeschlossen: Das fünfte Sozialgesetzbuch klammert Arzneimittel zur Regulierung des Körpergewichts und Zügelung des Appetits von der Kostenerstattung durch die Krankenkassen als sogenannte Lifestyle-Medikamente grundsätzlich aus.
Dennoch erwartet die Pharmaindustrie ein Milliardengeschäft: Die Analysten von Barclays glauben, dass der weltweite Markt für Adipositas-Medikamente von 2,9 Milliarden Dollar im Jahr 2022 auf über 60 Milliarden Dollar im Jahr 2030 ansteigen wird. Bei Novo Nordisk hat sich alleine im vergangenen Jahr der Umsatz im Adipositas-Geschäft auf umgerechnet 2,26 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Der Hype machte die Dänen zum zweitwertvollsten Börsenunternehmen Europas nach dem Luxuskonzern LVMH.
In Deutschland nur für Selbstzahler?
Ende Juli soll Wegovy nun nach den Plänen von Novo Nordisk auf den deutschen Markt kommen - allerdings auf absehbare Zeit nur für Selbstzahler. Das Bundesgesundheitsministerium erklärte auf Nachfrage von Reuters, dass es keine Pläne zur Änderung des jahrzehntealten Gesetzes gibt, das Mittel zur Gewichtsabnahme wie Impotenz- und Haarausfallmittel einstuft, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Fokus steht.
Ein Grund der Bedenken sind die enormen Kosten für das Medikament, die die engen Budgets der Krankenkassen zusätzlich belasten würden. Schon das zwingt die Selbstverwaltung G-BA, die in Deutschland unabhängig von der Regierung über Kostenerstattungen entscheidet, alle Vor- und Nachteile der Medikamente genau unter die Lupe zu nehmen. "Es ist wichtig, dass reine Lifestyle-Medikamente nicht von den Krankenkassen erstattet werden, das widerspricht dem Gedanken der Sozialversicherungen", sagt die Grünen-Gesundheitsexpertin Paula Piechotta zu Reuters. "Sinnvolle Therapieansätze bei Adipositas werden aber natürlich von den Kassen erstattet."
Übernahme durch Krankenversicherung in den USA
In den USA kommt die staatliche Krankenversicherung Medicare für ältere Menschen zwar nicht für Medikamente zur Gewichtsreduzierung auf. Die meisten privaten Krankenversicherer, die einen Grossteil der Amerikaner mittleren Alters abdecken, erstatten dagegen Wegovy für Menschen mit einem Body-Mass-Index ab 30. Wegen des hohen Preises und der enormen Nachfrage nach dem Mittel werden sie inzwischen allerdings zurückhaltender. In Frankreich und Grossbritannien wird Wegovy dagegen nur für Menschen mit schwerster Fettleibigkeit bezahlt und die Erstattung damit deutlich strikter ausgelegt.
"Ich finde, dass die Krankenversicherung oder die öffentliche Gesundheitsfürsorge die Kosten für die Patienten mit dem höchsten Body-Mass-Index und für den ärmsten Teil der Bevölkerung übernehmen sollte", wirbt Novo-Nordisk-Chef Lars Fruergaard Jorgensen im FAZ-Interview für sein Produkt. Durch das Medikament liessen sich hohe Folgekosten für die Behandlung von Krankheiten einsparen, zu denen Adipositas häufig führt. Doch letztlich erwartet er, dass ein grosser Teil der Patienten das Mittel aus der eigenen Tasche zahlen muss. "Vermutlich kann in diesem Fall kein Gesundheitssystem der Welt für alle infrage kommenden Patienten die Kosten tragen", sagt Jorgensen.
Aber die Abwägung ist durchaus schwierig. So hält es auch Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, nur noch für eine Frage der Zeit, bis in Deutschland zumindest einem Teil der Betroffenen die neuartigen Medikamente bezahlt werden. "Schliesslich stammen die Formulierungen im fünften Sozialgesetzbuch aus einer Zeit, in der die Adipositas noch nicht als Krankheit anerkannt und keine wirksamen, insgesamt gut verträglichen Arzneimittel zur Gewichtsreduktion verfügbar waren. Beides ist heute anders."
Vorsorgen oder behandeln?
Viele Mediziner glauben, dass Wegovy dazu beitragen könnte, eine Flut gewichtsbedingter Krankheiten einzudämmen. Das Mittel biete eine "sehr, sehr gute Chance, Gewicht zu reduzieren und damit Diabetes und Gelenkerkrankungen vorzubeugen. Wie viele Knie müssten nicht mehr operieren werden, wenn wir alle schlanker wären", sagt Martin Merkel von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Diäten und Bewegung allein zeigten nur begrenzte Erfolge und die Magenverkleinerung sei ein invasiver Eingriff mit vielfältigen, zum Teil unbekannten Auswirkungen auf den Stoffwechsel.
Es ist auch ein Strategiestreit, ob nun mehr Vorsorge oder die Behandlung von Krankheiten ins Zentrum der Bemühungen gestellt werden sollte. Denn in der EU liegt der Anteil der übergewichtigen oder fettleibigen Menschen mit etwa 53 Prozent noch weit hinter dem Anteil von etwa 74 Prozent in den USA. Wie das Statistische Amt der EU festgestellt, weiten sich Gewichtsprobleme in den meisten Mitgliedstaaten rapide aus. Je mehr Übergewichtige es aber gebe, desto mehr drohten die Kosten für den Einsatz von Wegovy auszuufern, erläutert Phil McEwan von der britischen Beratungsfirma Heor, die Novo berät.
Die Probleme durch Fettleibigkeit müssten sich womöglich erst noch verschlimmern, bevor man in den europäischen Gesundheitssystemen bereit sei, Abnehmmedikamente so zu finanzieren, wie dies in den USA der Fall sei, meint McEwan. "In den USA gibt es viel mehr krankhaft fettleibige Menschen. Man könnte argumentieren, dass sie einen größeren Vorteil daraus ziehen."
(Reuters)
1 Kommentar
Warum soll jemand in der Schweiz für Wegovy - wenn es denn erhältlich ist - USD 1'300 im Monat bezahlen?
Da kann er sich ja Ozempic verschreiben lassen - mit dem genau gleichen Wirkstoff, Semaglutid, drin - und bezahlt für einen Pen, der 4 Wochendosen enthält CHF 129.80.
Da die Wochendosis bei Wegovy 2.4 mg ist, bei Ozempic nur 1 mg rechnet der kluge Cash-Leser (hoffentlich etwas klüger als die Journalisten ) - 129.80 x 2.4 = 311.52 👏
Novo Nordisk wird wohl nicht so blöd sein, Wegovy für CHF 1000 oder mehr verkaufen zu wollen.
Hoffentlich. Angemessen an das Ozempic wären CHF 200 bis höchstens 300.
Insbesondere auch, da demnächst das auch bereits in der Schweiz zugelassene Tirzepatid (Mounjaro von Eli Lilly) auch bald einmal erhältlich sein wird, was dann noch etwa 50% besser wirken soll (für die Gewichtsabnahme), beim Blutzucker vermutlich auch nicht schlechter.