cash.ch: Frau Marika, im Dezember-Ausblick der Bank Pictet heisst es, Anleger könnten im Jahr 2024 am globalen Anleihenmarkt überdurchschnittliche Gewinne erzielen. Inwieweit hat sich dieser Ausblick bestätigt?

Ermira Marika: Wir befinden uns in einer stabilen Zinssituation. Stabil heisst, dass Zinsen und Spreads sich in einer Bandbreite von rund 50 Basispunkten bewegen, sich über das Gesamtjahr betrachtet aber kaum verändern werden. Alles in allem erwarten wir 1,5 Prozent Rendite im Schweizer Franken, vier Prozent in Euro, 5,5 Prozent im Dollar sowie sechs Prozent bei Hochzinsanleihen. Insofern sehen wir unsere Prognosen bestätigt.

Sie sehen Hochzinsanleihen als eigene Anlageklasse. Was kennzeichnet sie?

Die Anlageklasse investiert in Anleihen von Unternehmen mit einem Rating, das weniger gut ist als Investment Grade. Bei höherem Risiko geben diese Hochzinsanleihen einen höheren Ertrag. Er liegt im historischen Schnitt drei bis vier Prozent über dem Ertrag der Staatsanleihen.

Hochzinsanleihen sind in den USA weiter verbreitet als in Europa. Warum?

Der amerikanische Markt ist grösser, und es gibt dort viele Firmen, die schlechtere Ratings haben als europäische Firmen. In Europa wurden Kredite und Darlehen von Banken und anderen Quellen in anderen Formen als traditionelle Wertpapiere herausgegeben. Öffentliche Finanzierung war in den USA einfacher als in Europa, allerdings ist der Markt für Hochzinsanleihen in Europa in den letzten fünfzehn Jahren deutlich gewachsen.

Was spricht Ihrer Meinung nach für diese Anlageklasse, die auch mit «Junk Bonds» bezeichnet wird?

Das Verhältnis Rendite zu Risiko ist vorteilhaft. Man bekommt eine gute Rendite im Verhältnis zum Risiko, das man eingeht. Die Volatilität ist geringer als bei Aktien. Im Vergleich zum Investment-Grade-Segment ist die Volatilität zwar grösser - was aber durch die Überrendite von zwei Prozent aufgewogen wird.

Wie genau schneiden Hochzinsanleihen im Vergleich zu Aktien ab?

Wir haben das für Europa untersucht. Der jährliche Ertrag der Hochzinsanleihen seit der Entstehung dieser Anlageklasse war 2,1 Prozent höher als der Ertrag von Aktien. Die Volatilität ist zugleich 7,3 Prozentpunkte tiefer. Entsprechend ergibt sich eine Sharpe Ratio von 0,5 bei Hochzinsanleihen und 0,2 bei Aktien.

Die Spreads, also der Renditeunterschied zu anderen Anleihen, sind derzeit niedrig. Ist das kein Nachteil für Investoren?

Das glaube ich nicht. Denn es gibt gute Gründe, warum Spreads da sind, wo sie sind. Das Risiko von Bilanzrezessionen ist viel tiefer als 2008. Die Hebel in den Bilanzen sind ebenfalls kleiner als früher. Zudem fielen während der Coronakrise viele Zombie-Firmen aus. Das hat die Qualität des Universums gesteigert. Das durchschnittliche Rating ist heute besser als noch vor zehn oder 20 Jahren.

Wie stark sollten Hochzinsanleihen Ihrer Meinung nach in einem Portfolio gewichtet werden?

Die Gewichtung hängt vom einzelnen Investor und seinem Zeithorizont ab. Grundsätzlich aber würde ich langfristig mindestens zehn Prozent empfehlen.

Zehn Prozent - das ist beträchtlich. Wie kommen Sie darauf?

Aufgrund der Diversifikation. Hochzinsanleihen bieten bessere Renditen und tiefere Volatilität gegenüber Aktien im historischen Durchschnitt.

Wie wirken sich zehn Prozent Hochzinsanleihen auf die Performance eines Portfolios erfahrungsgemäss aus?

Im Allgemeinen positiv. Konkret kommt es darauf an, auf welcher Währung das Portfolio basiert, wie lange der Zeithorizont ist und wie das Verhältnis von Ertrag zu Risiko der anderen Anlageklassen im Portfolio auszieht. Als Muster habe ich ein europäisches Portfolio mit 50 Prozent Hochzinsanleihen und 50 Prozent Investment-Grade-Anlagen einem Portfolio mit 50 Prozent Staatsanleihen und 50 Prozent Aktien gegenübergestellt. Über 22 Jahre hinweg war die jährliche Performance 0,9 Prozentpunkte höher und die Volatilität lag 2,2 Prozent tiefer. Zudem war der maximale Verlust rund fünf Prozent geringer. Jedoch gibt es keine Garantie für die Zukunft. Es hilft aber immer, die Zusammenhänge im Markt zu verstehen, um zukünftige Erträge bestmöglich zu optimieren.

Welche Unternehmen und Sektoren sind bei den Hochzinsanleihen beispielhaft relevant?

Banken sind der grösste Sektor der Anlageklasse - mit beispielsweise nachrangigen Anleihen von Häusern wie zum Beispiel Commerzbank oder Intesa Sanpaolo. Sonst ist Telecom stark vertreten mit Emittenten wie Telecom Italia, Telefonica oder Iliad. Und auch der Automobilindustrie hat ein grosses Gewicht mit Herstellern wie Renault, aber auch Zulieferer wie ZF Friedrichshafen, Forvia oder Schaeffler.

Wie kann man mit Ausfallrisiken umgehen, die es gerade bei dieser Anlageklasse gibt?

Das Ausfallrisiko ist bei Hochzinsanleihen nicht unbedingt signifikanter als bei Aktien - nur spricht man bei Aktien nicht darüber. Im Moment beträgt es bei Hochzinsanleihen drei Prozent. Wir versuchen, der Preisvolatilität von Hochzinsanleihen mit einem robusten Investitionsprozess auszuweichen. Nach einer starken Korrektur sollte man nicht einfach Ausfälle verwalten, sondern eine sorgfältige Analyse durchführen und die Chancen abwägen, ob und wie eine Anlage voll oder zu einem guten Preis zurückbezahlt wird.

Sie sagten, das Ausfallrisiko betrage zurzeit drei Prozent. Noch befinden wir uns in einer robusten Konjunktur. Doch wahrscheinlich kommt die nächste Rezession, wodurch die Ausfallrate steigt.

Sofern eine Rezession kommt, ist es massgebend, wie die Unternehmen darauf reagieren und ob es auch zu einer Bilanzrezession kommt. Im Moment sind die Verschuldungsgrade der Unternehmen im historischen Schnitt tief. Deswegen könnte nur ein makroökonomischer Schock ähnlich wie die Finanzkrise oder die Coronakrise Hochzinsanleihen-Anlageklasse auf die Dauer einbrechen lassen.

Welche Investoren sollten auf Hochzinsanleihen verzichten?

Nur Investoren, die sehr pessimistisch auf die nächsten drei Monate blicken - und zum Beispiel mit Inflationsraten von sieben bis zehn Prozent oder einem grossen, globalen Konflikt rechnen, der eine starke unvorhersehbare Rezession mit sich bringen würde sollten zögern, in die Anlageklasse zu investieren. Dieselben Investoren sollten dann aber auch Aktien meiden.

Ermira Marika ist seit 2022 Leiterin des Developed Markets Credit bei Pictet Asset Management. Sie ist seit über 20 Jahren im Bereich Fixed Income tätig. Vor ihrer jetzigen Position war sie seit 2013 Leiterin des Teams für CHF-Anleihen. Davor war Marika als quantitative Analystin im Fixed Income Team für die Entwicklung von Fixed Income Lösungen verantwortlich. Sie begann ihre Karriere bei Pictet Asset Management als quantitative Analystin im Bereich Aktienstrategien. Vor Pictet Asset Management sammelte sie Erfahrungen in verschiedenen Unternehmen, darunter UBS und Morgan Stanley Capital.