cash.ch: Schweizer Versicherungsaktien gehörten in den vergangenen zwölf Monaten zu den besten Investments an der Börse. Warum haben Anleger Versicherungen erneut entdeckt?

Fabian Rupprecht: Wir wirtschaften langfristig. Aufgrund unserer Ausschüttungspolitik sind wir zudem für Investoren attraktiv. Zudem besteht generell eine starke Nachfrage nach Versicherungsprodukten. Diese positiven Entwicklungen und die Erwartung, dass die Nachfrage nach Versicherungsprodukten weiterhin steigen wird, haben das Interesse der Anleger an Versicherungsaktien beflügelt.

Die Helvetia-Aktien haben in dieser Zeit die zweitbeste Performance unter den Schweizer Versicherern hingelegt. Ein Grund für die Kursfantasie könnte bei Helvetia auch die regelmässig wiederkehrende Frage zur Fusion mit der Baloise sein. Wäre Baloise ein passender Partner?

Wir haben an unserem Kapitalmarkttag klar dargelegt, was die Schwerpunkte unserer Strategie sind. Sie beziehen sich auf das interne Wachstum und die Profitabilität. Ich möchte, dass sich Helvetia auf das interne Wachstum fokussiert. Damit konzentrieren wir uns auf den Kunden und auf den Kundenwert. Das ist mir sehr, sehr wichtig.

Es gab Berichte über einen möglichen Verkauf des Deutschland-Geschäfts von Helvetia, zudem hat Helvetia das «Marine Hull»-Geschäft in London aufgegeben. Wie passt das zur Kapitalmarkttags-Aussage «Increasing Geographic and Business Mix Diversification»? Setzen Sie auf eine aktivere Portfolio-Strategie?

Unsere Wachstumsfelder sind auf der einen Seite bei unserem eigenen Kundenstamm, und auf der anderen Seite unser Global Specialty Business. Bei unseren Kunden wollen wir die Anzahl abgeschlossener Policen erhöhen. Das heisst, wir zielen darauf ab, unsere Kunden umfassender zu bedienen und dort auch ein besonderes Augenmerk auf die Bedürfnisse der 50+ Kunden zu legen. Diese Kundengruppe nimmt einen immer grösseren Anteil unseres Kundenstamms wahr. Beim Global Specialty Business ist eine ausreichende Profitabilität wichtig. Das Geschäft macht inzwischen rund einen Viertel unserer Nicht-Leben-Prämien aus, und dieses Geschäft sehen wir als langfristigen Wachstumstreiber. Wenn die Profitabilität nicht unseren Erwartungen entspricht, sind wir bereit zu agieren. Da die Margen im UK-Marine-Hull-Geschäft voraussichtlich weiter sinken werden, haben wir uns entschieden, diesen Bereich aufzugeben.

Ist somit ein Kernkriterium für das Abstossen von Portfolios oder Geschäftsbereichen eine geringe Kapitaleffizienz? Am Kapitalmarkttag war die Rede von einer Eigenkapitalrendite von 13 bis 16 Prozent.  

Für uns gibt es zwei Kriterien, wie wir unser Geschäft betreiben. Wir wollen unser Geschäft profitabel betreiben und der Teilbereich muss strategisch ins Unternehmen passen.

Und wie schlägt sich das Deutschland-Geschäft in diesem Bezug?

Unser Deutschland-Geschäft ist profitabel.

Sind Sie auf der Suche nach Akquisitionen?

Unser Fokus liegt auf dem internen Wachstum. Ich halte das für sehr wichtig, denn dadurch ist man attraktiv für den Kunden und gewinnt Marktanteile. Wir haben bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass wir profitabel organisch wachsen können. Wenn sich aber Akquisitionsopportunitäten in unseren Märkten ergeben, werden wir uns die selbstverständlich immer ansehen und entsprechend handeln.

Zielt das interne Wachstum auch darauf ab, neue geografische Märkte zu erschliessen?

Im Retail-Geschäft möchten wir in den Märkten wachsen, in denen wir heute tätig sind. Da gibt es in allen Märkten noch Potenzial. Im Global-Specialty-Geschäft sind wir hingegen flexibel. Dieses Geschäft betreiben wir global und sind, was Geographien betrifft, nicht so festgelegt. 

Gemäss Strategiezielen sollten über zwei Drittel des Gewinnwachstum über Margenverbesserungen und ein Drittel über Umsatzwachstum herkommen. Ist das realistisch? 

Unser Ziel ist realistisch, weil wir nicht nur auf profitables Umsatzwachstum setzen, sondern auch durch Margenverbesserungen ein Gewinnwachstum anstreben. Bei Helvetia sehen wir erhebliches Optimierungspotenzial punkto Synergien und Effizienzsteigerungen. Ein Beispiel ist unser Spaniengeschäft: Vor fünf Jahren haben wir die spanische Versicherungsgesellschaft Caser übernommen. Seither werden Caser und Helvetia als zwei Einheiten in Spanien geführt. Wir planen nun die beiden Gesellschaften zu integrieren. 

Helvetia möchte auch die KI in der Schadenfallbearbeitung vermehrt einsetzen und so den Prozess effizienter und schlanker gestalten. Funktioniert eine noch so junge Technologie bei so einem derart komplexen Themenbereich?

Helvetia verwendet schon seit einigen Jahren KI. Ein klassisches Beispiel ist der Chatbot Clara, über den unsere Kunden bereits diverse Transaktionen ausführen können und Informationen bekommen. 8 Prozent der Schadenmeldungen erfolgen in der Schweiz bereits per Chatbot. Das spart Helvetia tausende von Arbeitsstunden und unsere Kunden profitieren von einer schnelleren Bearbeitung. Ein weiteres Beispiel ist die KI-Unterstützung bei der Projektprüfung im internationalen Geschäft. Die KI analysiert Projekteingaben und identifiziert potenzielle Risiken, was den Prüfungsprozess erheblich beschleunigt und die Genauigkeit verbessert. 

Wie ist ihr Ausblick für die beiden Märkte Leben und Nicht-Leben in diesem Jahr?

Im Nichtleben gehen wir von weiterem Wachstum aus. Kunden sehen die Notwendigkeit, teilweise getrieben durch die zunehmenden Wetterereignisse, Versicherungen abzuschliessen. Der Ausblick im Lebenbereich unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Ländern, wobei in der Schweiz wir weiterhin eine grosse Nachfrage nach teilautonomen Lösungen in der Beruflichen Altersvorsorge sehen. Im Lebensversicherungsbereich bleibt die Nachfrage stabil.

Können Sie den Helvetia-Geschäftsgang im zweiten Halbjahr 2024 kommentieren?

Dazu verweise ich gerne auf die Aussagen an unserem Kapitalmarkttag. Unser Combined Ratio dürfte beispielsweise zwischen 94,5 und 95,5 Prozent liegen. Das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Vorjahr. Ebenso erwarten wir ein bereinigtes Ergebnis von 520 Millionen Franken - auch das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Vorjahr.

Am Kapitalmarkt wurden Dividendenausschüttungen in der Höhe von 1,2 Milliarden Franken über die nächsten drei Jahre in Aussicht gestellt. Gibt es noch weitere Kriterien in der Dividendenstrategie?

Nein. Unser Ziel ist es, die Dividenden Jahr für Jahr zu erhöhen beziehungsweise mindestens gleich zu behalten.

Kämen bei besonders gutem Geschäftsgang auch zusätzlich Aktienrückkäufe infrage?

Wir sind der Auffassung, dass unsere Dividendenpolitik bereits sehr attraktiv ist für unsere Investoren. Wir konzentrieren uns daher auf die jährliche Dividendenerhöhung.

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Fabian Rupprecht ist seit 30 Jahren in der Versicherungsbranche tätig. Seit 16 Monaten ist Group CEO von Helvetia. Zuvor war er in unterschiedlichen Ländern wie den USA, Deutschland, Schweiz, Spanien, Frankreich und den Niederlanden tätig, wo er sich in der ersten Hälfte seiner Karriere mehr auf lokale Aufgaben fokussierte und in der zweiten Hälfte sich um internationale und globale Aufgaben kümmerte. Vor seiner Tätigkeit bei Helvetia war er CEO des Bereichs «Internationale Versicherungen» bei der niederländische NN Gruppe.


 

Luca_Niederkofler
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