Die Ampel-Koalition hat erneut stundenlang über eine Lösung für den Haushalt 2024 gerungen. Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) versuchten am Dienstag abermals, eine Lösung für die Lücke im Etat 2024 zu finden, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltsführung entstanden ist. In Regierungskreisen wurde von einem «Nervenkrieg» gesprochen. Erstmals wurden die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen und FDP in Kanzleramt zur Unterrichtung einbezogen, Scholz und Lindner besuchten am Nachmittag auch die Fraktionssitzungen ihrer Parteien.

Während weiter Stillschweigen über die Gespräche gewahrt wurde, wiederholten SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr ihre harten Linien: Die SPD besteht neben Einsparungen im Haushaltsentwurf 2024 auf eine weitere Aussetzung der Schuldenbremse, um mit einem Sonderfonds die Ausgaben für den Ukraine-Krieg absichern zu können. Die FDP lehnt dies strikt ab. Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz drohte der Ampel mit einer Klage in Karlsruhe, sollte sie für den Haushalt 2024 die Notlage ausrufen.

Die Ampel rätselt seit vier Wochen, wie sie mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgehen soll, das der Haushaltsführung und der Einrichtung von Neben-Kreditlinien enge Grenzen gesetzt hat. Finanzminister Lindner hatte die Haushaltslücken im Etat 2024 auf 17 Milliarden Euro beziffert. Es geht allerdings auch darum, was in den Jahren danach passiert, wenn der Klima- und Transformationsfonds KTF und der Wirtschaftsstabilisierungsfonds WSF nicht mehr in der Form wie bisher genutzt werden können. In der SPD wird betont, man müsse zudem sicherstellen, dass eine Bundesregierung so wie die Regierungen anderer Staaten eine Möglichkeit habe, 2024 auf weitere Krisen reagieren zu können.

«Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir sehr bald zu einer Lösung kommen und Lösungsvorschläge haben, die dem Parlament dann vorgelegt werden und wir als Gesetzgeber dies auch beraten», sagte Grünen-Co-Fraktionschefin Britta Hasselmann. Laut einer neuen Umfrage verliert die Ampel-Regierung immer mehr an Zustimmung. Die SPD kommt in einer Forsa-Erhebnung auf 14, die Grünen auf 13 und die FDP auf fünf Prozent. Die Union legt auf 31 Prozent zu. 75 Prozent der Befragten haben kein Verständnis mehr, dass die Ampel-Regierung die Haushaltsprobleme immer noch nicht gelöst hat.

Ohne Einigung droht wegen EU-Gipfel deutliche Verzögerung

Sollte ein Durchbruch gelingen, könnte es noch am Dienstag oder am Mittwoch zu Beratungen in der Koalition kommen, hiess es in Koalitionskreisen. Ob dazu ein Koalitionsausschuss mit den Spitzen von SPD, Grünen und FDP nötig ist, liess SPD-Fraktionschef Mützenich aber offen. Es gebe andere Formen der Einbeziehung.

Gelingt Scholz, Habeck und Lindner keine schnelle Verständigung mehr, droht sich eine Einigung erneut deutlich zu verzögern. Scholz reist am Mittwoch zum EU-Gipfel nach Brüssel. Zunächst findet dort am Abend ein EU-Westbalkan-Treffen statt, für das sich der Bundeskanzler sehr eingesetzt hatte. Am Donnerstag und Freitag steht der reguläre EU-Gipfel an. Es geht um Beratungen über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und über die künftigen EU-Haushalte.

In Regierungskreisen wird spekuliert, dass es Lindner auf eine Einigung erst im Januar anlegen könnte. Eine Staatskrise gäbe es dann nicht, weil der Haushalt in weiten Teilen einfach weiter läuft, aber der Finanzminister bei bestimmten Ausgaben ein Einspruchsrecht hätte. Weil die Verhandlungen bereits so lange gedauert haben, kann der Bundestag ohnehin nicht mehr abschliessend in diesem Jahr über den Etat 2024 entscheiden.

Streit über Schuldenbremse verhindert Einigung

SPD und Grüne lehnen Einsparungen im Haushaltsentwurf nicht ab, wollen aber entweder über höhere Einnahmen oder die Erklärung einer Notlage und einen Sonderfonds für die Ukraine-Ausgaben finanziellen Spielraum im Bundesetat schaffen. FDP-Fraktionschef Dürr betonte dagegen, dass sich die Lücke von 17 Milliarden Euro im Etat 2024 durch Einsparungen schliessen lasse. «Diese sogenannte Notsituation nach dem Paragrafen 115 des Grundgesetzes hat Hürden. Die kann man sich nicht politisch wünschen oder herbeireden», sagte Dürr. «Diese rechtlichen Voraussetzungen sehe ich zurzeit nicht gegeben.»

CDU-Chef Merz drohte, dass seine Partei eine Klage ins Auge fasse, falls sich der Kanzler mit einer Aussetzung der Schuldenbremse durchsetzen sollte. «Wir werden dies sehr genau, sehr kritisch ansehen», sagte der CDU/CSU-Fraktionschef. «Und wenn es auch nur einen ersten Hinweis darauf gibt, dass das gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts verschuldet ist vom 15. November, dann werden wir selbstverständlich dagegen klagen», fügte er hinzu. Die Union stehe zudem nicht für die Einrichtung eines neuen Sondervermögens für Investitionen im Grundgesetz zur Verfügung. 

(Reuters)