Mit einem starken Wirtschaftswachstum hebt sich Indien zunehmend vom schwächelnden Riesen China ab. Weiteren Schub dürfte für die Maschinenbauer, Schokoladehersteller oder Uhrenfirmen von der Politik kommen. Während etwa Deutschland noch über ein Freihandelsabkommen mit Indien verhandelt, sind die Schweiz und die übrigen Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) einen Schritt weiter: Ein 100-Milliarden-Dollar-Handelsdeal ist unterzeichnet und könnte Efta-Angaben zufolge Ende 2025 oder Anfang 2026 in Kraft treten.
«Wir sehen ein riesiges Potenzial in Indien,» sagt Tobias Gries, der das Geschäft des Autozulieferers Feintool in Indien leitet. Feintool baut seine erste indische Fabrik in der Nähe der Stadt Pune, die bei ihrer Eröffnung im nächsten Jahr bis zu 200 Mitarbeiter beschäftigen soll. Mit dem Werk will die Firma die Nachfrage indischer und internationaler Kunden nach einem lokalen Zulieferer von Verstellmechanismen für Autositze befriedigen.
Auch grössere Unternehmen setzen auf den Trend. «Indien boomt jetzt richtig,» sagt Morten Wierod, Konzernchef des Elektrotechnikers ABB. Der Siemens-Rivale baue seine Präsenz aus, nachdem die Aufträge aus Indien in den vergangenen drei Jahren um durchschnittlich jeweils 27 Prozent zugelegt hätten. Um die Nachfrage zu befriedigen, hat ABB in Indien Fabriken, Büros und Ausstellungsräume gebaut, von denen acht seit 2023 fertiggestellt wurden. Die Zahl der Mitarbeiter kletterte von 6000 im Jahr 2020 auf nun rund 10.000.
Während Indien für ABB zurzeit global der fünftwichtigste Markt ist, rechnet Wierod damit, dass das Land bis in einigen Jahren auf Platz drei nach den USA und China vorrückt. «Unsere Investitionen in Indien unterstützen dieses Wachstum, sowohl mit mehr lokaler Fertigung als auch mit viel mehr Forschung und Entwicklung, so dass wir Designs in Indien und für Indien entwickeln können», sagte der Konzernchef. Obwohl Indien an Bedeutung gewinne, sei ABB nach wie vor China verpflichtet, betonte er. Ähnlich äusserten sich andere Unternehmen, mit denen Reuters sprach.
«Game-Changer»
Der IWF geht davon aus, dass die indische Wirtschaft im laufenden Jahr um sieben Prozent wächst und um 6,5 Prozent im nächsten Jahr. Für China gehen die Experten von lediglich 4,8 und 4,5 Prozent aus. Dieser Trend dürfte sich dem IWF zufolge bis zum Ende des Jahrzehnts fortsetzen. «Es ist nicht mehr so einfach, in China Geschäfte zu machen, weil sich die dortige Wirtschaft nicht mehr so gut entwickelt, und es besteht auch die Gefahr von Konflikten grösseren Ausmasses - wirtschaftlicher oder anderer Art - mit China,» erklärte Philippe Reich, Präsident der Handelskammer Schweiz-Indien.
Daten der Schweizerischen Nationalbank zufolge zog China lange Zeit mehr Schweizer Direktinvestitionen an, wurde 2021/2022 aber von Indien überholt. Laut Reich sind bereits rund 350 Schweizer Unternehmen in Indien tätig, und weitere dürften folgen. Das Freihandelsabkommen bezeichnete er als «Game Changer».
Keines der Unternehmen, mit denen Reuters sprach, sagte, dass es nur wegen des Abkommens in Indien investiere. Aber die Schweizer Regierung und Wirtschaftsvertreter erwarten, dass das «Trade and Economic Partnership Agreement» (Tepa) Handel und Investitionen ankurbelt. «Das Tepa wird allen zugutekommen,» sagte der Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin zur Nachrichtenagentur Reuters und verwies auf die Senkung der Zölle und des Verwaltungsaufwands.
Vorteil Schweiz
Im Rahmen des Abkommens haben die Schweiz und die übrigen Efta-Mitglieder Norwegen, Island und Liechtenstein versprochen, über einen Zeitraum von 15 Jahren 100 Milliarden Dollar in Indien zu investieren, um von einem leichteren und billigeren Zugang zum indischen Markt mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern zu profitieren. Indien erwartet im Gegenzug, dass das Abkommen seine Ausfuhren von Arzneimitteln, Bekleidung und Maschinen steigert.
Dank dem Deal sollen die Zölle auf 94,7 Prozent der Importe aus der Schweiz von derzeit durchschnittlich 22 Prozent auf null sinken und damit Schweizer Unternehmen einen Vorteil gegenüber ihren Kollegen aus der Europäischen Union und Grossbritannien verschaffen, die noch mit Indien verhandeln. Als Gegenleistung für die Investitionen der Efta-Unternehmen, die eine Million Arbeitsplätze schaffen sollen, hat Indien ein günstiges Investitionsklima versprochen. Was dies im Einzelnen bedeutet, wurde über die Senkung der Zölle hinaus in dem Abkommen nicht genau festgelegt, aber beide Seiten haben vereinbart, Investitionsmöglichkeiten zu identifizieren und Unternehmen bei der Lösung von Problemen zu unterstützen. Florin Müller von der Schweizer Handelsförderungsagentur in Mumbai sagte, Tepa sei für Schweizer Unternehmen ein «roter Teppich für Investitionen».
(Reuters)