"Die Fundamente sind da, die Schienen gelegt, jetzt muss der Zug nur noch aus dem Bahnhof." Als Beschreibung des Sanierungsplans der Credit Suisse war der Kommentar des neuen Verwaltungsratspräsidenten Axel Lehmann an seinem ersten Arbeitstag gegenüber einer Lokalzeitung durchaus prägnant. Axel Lehmann hat im Januar in aller Eile Antonio Horta-Osorio nach dessen Verstössen gegen Quarantäneregeln abgelöst. Sein Problem: Viele Mitarbeiter wie Investoren sind nicht davon überzeugt, dass der Schweizer Bankenriese schon wieder einen glatt laufenden Motor hat.

Das letzte Jahr war für die Credit Suisse ein finanzielles Desaster. Zwei grosse Wetten, Archegos Capital Management und Greensill Capital scheiterten krachend. Während die Bank versucht, die Schäden zu beheben, lässt sich 2022 bislang nicht einfacher an. Zuerst kam der plötzliche Abgang von Horta-Osorio, dem Architekten der grossen Restrukturierung. Darauf folgte die Warnung vor einem Verlust im vierten Quartal bei der Investmentbank, und vermögende Kunden zogen Gelder ab.

Während die Credit Suisse die Präsentation ihrer Jahresergebnisse diese Woche vorbereitet, häufen sich für Lehmann und Chief Executive Officer Thomas Gottstein die Probleme. Das sagen mehrere hochrangige Mitarbeiter der Credit Suisse und andere Personen mit Verbindungen zum Unternehmen, die anonym bleiben möchten. Das Unternehmen stellt sich auf einen weiteren Exodus von Talenten ein. Ärger über gekürzte Boni sind schlecht für die Moral.

Gleichzeitig hätten der Ausstieg aus dem Prime-Broking-Geschäft - der Bereich, der Archegos unterstützt hatte - und eine niedrigere Risikotoleranz bei komplexen Transaktionen, potenziell weitreichende Auswirkungen auf die Erträge in anderen Geschäftsbereichen, so die Personen. Ohne das Prime-Geschäft könnte sogar die Zukunft des breiteren Aktienbereichs wackeln, hiess es. 

Die Absage von Lehmann und Gottstein an Fusionen und Übernahmen als Lösung für die Probleme des Unternehmens - der Verwaltungsratspräsident sieht "die Zukunft der CS als eigenständige Bank" - könnte Konflikte mit Investoren heraufbeschwören. David Herro von Harris Associates, einem der grössten Aktionäre der Credit Suisse, hatte öffentlich gefordert, Horta-Osorio solle Zeit bekommen, um den Kreditgeber zu sanieren, bevor er eine Ausgliederung oder einen Verkauf in Betracht zieht. Inzwischen ist er einer Aufspaltung gegenüber offener, sagten zwei mit seinen Überlegungen vertraute Personen.

"Viele der Investoren, mit denen wir sprechen, sehen die Aussichten für die Gruppe bereits recht negativ", so kürzlich Analysten von Barclays. In ihrem Bericht hiess es, dass "Fragen zur Zukunft des Unternehmens bestehen, sowohl in Bezug auf die Ertragskraft als auch darauf, ob die Gruppe mittelfristig eigenständig bleiben wird."

Versicherungsmann

Personen, die Lehmann gut kennen, beschreiben den 62-Jährigen als eine seltene Mischung aus Akademiker und Banker (er ist Professor an der Universität St. Gallen). Er sei ein hervorragender Risikomanager, allerdings kein Visionär. Einen Grossteil seiner Karriere arbeitete er bei der Zurich Insurance. Zuletzt leitete er das Schweizer Geschäft der UBS. Im vergangenen Jahr trat er in den Verwaltungsrat der Credit Suisse ein. Seitdem gibt er sich zuversichtlich, dass die Credit Suisse gerettet werden kann, sagte eine der Personen: die Kontrollen in der Investmentbank müssten verbessert werden.

Doch die Herausforderungen, denen er sich gegenübersieht, gehen weit darüber hinaus. Ein wichtiger Teil der von Horta-Osorio übernommenen Strategie - an der Lehmann festhalten will - ist die Umschichtung von Kapital aus der Investmentbank ins Wealth Management, vor allem durch den Ausstieg aus dem Prime Services-Geschäft. Diese Aufgabe erweist sich als schwieriger als erwartet.

Während es für das Prime-Brokerage-Team ein Leichtes war, viele Hedge-Fonds-Kunden an andere Investmentbanken weiterzureichen, ist ein Teil der Finanzierungen, die von dieser Einheit getätigt wurden, mit anderen Bereichen der Credit Suisse verflochten. So nutzten beispielsweise Vermögensverwalter, die komplexe Geschäfte abwickeln und Kredite vergeben, regelmässig Prime Finance, insbesondere in Asien, wo die Kunden oft Unternehmer sind, die gerne über ihre eigenen Hedgefonds investieren.

Die Sorgen in Bezug auf Asien, den Wachstumsmotor der Credit Suisse, sind weitreichend. Einige Banker befürchten, dass die Umstellung des Unternehmens auf eine stärker schweizerisch geprägte Risikokontrolle und die Einschränkung der regionalen Autonomie, obwohl sie durch die jüngsten Ereignisse gerechtfertigt ist, bei den Kunden in der Region nicht gut ankommen werden. Der Geschäftsbereich Asien-Pazifik musste Ende 2021 einen "erheblichen" Rückgang der Transaktionen hinnehmen.

Der Ausstieg von Prime hat auch Auswirkungen auf den Rest des Unternehmens, insbesondere auf die Aktiensparte. Nur eine Handvoll globaler Marktteilnehmer bietet ihren Kunden umfassenden Service im Aktienbereich an. Der Ausstieg aus Prime bedeutet, dass der Schweizer Kreditgeber nicht mehr dazu gehört. Die Mitarbeiter fragen sich nun, ob die Credit Suisse sich ganz aus dem Aktiengeschäft zurückziehen muss - ein Weg, den die Deutsche Bank bereits gegangen ist.

Da der Aktienkurs der Credit Suisse um fast 30 Prozent unter dem Stand von vor einem Jahr liegt, was etwa der Hälfte des Buchwerts entspricht, halten sich die Gerüchte über Fusionen und Übernahmen hartnäckig. Die Kapitalausstattung der Bank ist gut, so dass sie zu nichts gezwungen ist, aber in den letzten Monaten gab es Gerüchte über mögliche Käufer aus Italien, Frankreich und New York. Die Aktionäre werden ihre Meinung dazu kundtun. Lokalrivale UBS könnte für eine Fusion der sinnvollste Partner sein, aber deren Chef Ralph Hamers konzentriert sich auf digitales Wachstum und Zusatzgeschäfte.

Clawing Back

Die dringendste Sorge ist die Mitarbeiterbindung. Der Bonuspool des Unternehmens für 2021 ist nach Angaben von Personen, die mit der Angelegenheit vertraut sind, gegenüber dem Vorjahr um etwa 10 Prozent gesunken. Noch umstrittener ist die Entscheidung, Banker zu zwingen, einen Teil ihrer Gehälter zurückzugeben, wenn sie die Bank innerhalb von drei Jahren verlassen. Eine weitere Abwanderungswelle könnte die Folge sein. Andere sorgen sich die Attraktivität der Bank am Arbeitsmarkt.

Teile der Investmentbank haben durchaus gute Leistungen erbracht, vor allem das M&A-Team. Dort wird man alles andere als glücklich sein, dass sich das nicht in den Gehältern widerspiegelt, so Personen, die dem Kreditinstitut nahe stehen. Ein hochrangiger Banker bei einem Wall-Street-Konkurrenten sagt, er habe etwa 10 Bewerbungen von Credit Suisse-Mitarbeitern erhalten, seit die neue Bonusregelung bekannt wurde.

Für einige ist das alles der unvermeidliche Preis, um die 166 Jahre alte Institution wieder auf die Beine zu bringen. Barbara Heller vom Schweizer Corporate-Governance-Spezialisten Swipra sagt, es habe Vorteile, wenn die Führung wieder in nationalen Händen liege: "Letztlich handelt es sich um ein Schweizer Institut mit einem wichtigen Schweizer Geschäft, und angesichts seiner Geschichte könnte es gut sein, zu einer stärker schweizerisch geprägten Kultur zurückzukehren, mit einer Führung, die auch international erfahren ist, einer Kultur, die vielleicht ein wenig bescheidener ist."

Die nächste grosse Bewährungsprobe für die Bank wird der interne Bericht über die Abwicklung von 10 Milliarden Dollar an Fonds zur Lieferkettenfinanzierung, die mit Lex Greensill in Verbindung stehen. Wird er veröffentlicht? Belastet er weitere Topmanager? Wie viel dieser Fehlgriff die Credit Suisse und ihre Kunden letztendlich kosten wird, ist noch unklar.

(Bloomberg)