Hedgefonds haben in Rekordmengen Short-Position oder sogenannte Leerverkäufe an den amerikanischen Obligationen- und Aktienmärkten aufgebaut. Diese setzen auf fallende Kurse und die Rechnung ist bisher aufgegangen. In den letzten drei Wochen sind die Renditen für US-Staatsanleihen massiv gestiegen und die Kurse der Obligationen entsprechend gesunken. An den Aktienmärkten ging die Rechnung ebenfalls auf: Seit dem 1. September hat der S&P 500 gut 7 Prozent an Wert verloren. 

Goldman Sachs hat dabei festgestellt, dass die Hedgefonds während den letzten elf Wochen einen Rekordbestand an Leerverkäufen aufgebaut haben. Gemäss deren Stratege Scott Rubner könnte sich das Blatt aber nun wenden. In einer Kundennotiz am Montag hält er fest, dass im Jahr 2023 noch 47 Handelstage verbleiben. «Ich denke, die Rally zum Jahresende hat sich verzögert, ist aber nicht vollständig abgesagt. Die Voraussetzungen sind gegeben, dass sich sowohl US-Aktien als auch Anleihen bis zum Jahresende erholen können. Anders ausgedrückt: «Ich bin so pessimistisch, dass ich eigentlich bullish bin. Da wir im Oktober die verbleibende technische Korrektur abarbeiten, stehen die Chancen für den November viel besser da.» 

Aktien werden gemieden

Die hohe Aktienaversion lässt sich auch an den jüngsten Daten von der Bank of America (BofA) ablesen. Die Investoren haben gemäss Umfrage im September ihre liquiden Mittel von 4,9 auf 5,3 Prozent erhöht. Entsprechend ist genügend Munition vorhanden, um die Aktienallokation hochzufahren. Deshalb zeigt der BofA "Bull & Bear Indicator" ein kurzfristiges Kaufsignal. Positiv ist zudem, dass 56 Prozent der befragten institutionellen Investoren sinkende Bondrenditen erwarten. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Erhebung durch die US-Investmentbank im Jahre 2003. 

Der Grad der Baisse an den US-Aktienmärkten war in letzter Zeit ziemlich stark und eine Erholung könnte eintreten, obwohl die Zinsen weiterhin ein Joker sind, schrieb das JPMorgan-Team um John Schlegel in einer Notiz. «Eine Markterholung könnte diejenigen, die defensiv positioniert sind, dazu zwingen, ihre pessimistischen Wetten - sprich Leerverkäufe - zurückzuziehen, was letztendlich jedem Anstieg Treibstoff verleiht.» Dieses Szenario hat sich denn auch so am Dienstag abgespielt: Als der S&P 500 eine fünftägige Verlustserie durchbrach, führten die am meisten leerverkauften Aktien die Liste der Kursgewinner an.

Ein weiteres Puzzleteil für die Jahresendrally sind die Aktienrückkäufe. Während der Berichtssaison dürfen die börsenkotierten US-Unternehmen keine Rückkäufe tätigen. Dieses Fenster ist seit gestern nun mehrheitlich wieder offen, weshalb von dieser Seite wieder eigene Aktien von Unternehmen am Markt zurückgekauft werden. Gegenüber den Rekord-Rückkäufen im letzten Jahr sind diese allerdings um rund 20 Prozent tiefer, bewegen sich aber immer noch deutlich über dem Niveau von 2021.

Der Versuch, mit den Märkten im Jahr 2023 Schritt zu halten, hat sich für viele professionelle Anleger als Herausforderung erwiesen, schreibt die Nachrichtenagentur Bloomberg zum bisherigen Börsenverlauf an den US-Aktienmärkten. Dies, weil die Anleger sich zu Beginn des Jahres auf eine Rezession vorbereiteten und dann feststellen mussten, dass sich die Wirtschaft besser entwickelt als befürchtet. Gerade als sie im Zuge der Erholung in der ersten Jahreshälfte begannen, sich stärker in Aktien zu engagieren, erreichte der S&P 500 Ende Juli seinen Höhepunkt und hat seitdem Mühe, wieder Fuss zu fassen. Viele versuchen nun, die nächste Erholung zeitlich zu planen und die Verluste aufzuholen, bevor der S&P 500 kurz vor dem Eintritt in die historisch beste Zweimonatsperiode des Kalenderjahres steht. Die üblichen Verwerfungen auf dem Volatilitätsmarkt und die zunehmenden Bargeldbestände in den Fondsbeständen deuten darauf hin, dass der Pessimismus möglicherweise zu weit gegangen sei.

Angst vor Überbewertung könnte übertrieben sein

Der Nasdaq Composite und der S&P 500 sind in den letzten drei Jahren preislich um 14,4 Prozent beziehungsweise 23,6 Prozent gestiegen und liegen damit unter ihren durchschnittlichen 3-Jahres-Renditen von 41,1 Prozent respektive 29,0 Prozent in den letzten fünf Jahrzehnten, hält die Analysefirma Datatrek fest. Während die letzten 36 Monate unter der Norm lagen, liegen die Renditen immer noch deutlich innerhalb einer Standardabweichung. Mit Blick auf die Zukunft haben beide Indizes Raum für deutliche weitere Zuwächse, bevor sie im Vergleich zu historischen Massstäben überzogen wären. Stabile langfristige Zinssätze und eine Entspannung der geopolitischen Spannungen würden diesen Prozess zu höheren Aktienkursen unterstützen, so Datatrek.

Thomas Daniel Marti
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