Der S&P 500 Index blickt auf eines der besten Halbjahre der jüngeren Vergangenheit zurück: Zwischen Januar und Juni 2024 ist der breit gefasste Börsenindex um fast 16 Prozent vorgerückt. Die Stimmen der Strategen an Wall Street werden nun aber etwas vorsichtiger.

Nach einer rasanten Rallye, die von den grössten Technologieaktien angetrieben wurde und den S&P 500 in diesem Jahr eine Reihe von Allzeithochs bescherte, ist es laut Tony Pasquariello von der Goldman Sachs «ein guter Zeitpunkt, um auf die Bremse zu treten». «Es ist ein Bullenmarkt, aber die Wahrscheinlichkeit einer Kurskorrektur steigt», schrieb Pasquariello, der globale Leiter der Hedgefonds-Abdeckung der Bank, am Freitag in einer Mitteilung. «Ich würde also nach Möglichkeiten suchen, das Gesamtportfoliorisiko zu reduzieren, während wir uns durch die nächste Phase des politischen Spiels mit den anstehenden US-Präsidentschaftswahlen bewegen.» 

Laut Pasquariello erhält der Markt weiterhin fundamentale Unterstützung durch die Lockerung der Finanzbedingungen und die US-amerikanischen Mega-Cap-Technologieaktien. «Solange die Wirtschaft wächst und die Gewinne steigen, sind bedeutende Ausverkäufe sehr selten», schreibt Pasquariello dazu. Trotz dieser Stärke und Dynamik sieht er aber einige wachsende Risiken. Dazu gehören ein wachsendes Haushaltsdefizit, eine Zunahme des Aktienengagements bei den privaten Haushalten und institutionellen Anlegern sowie die geringe Breite der Rallye, die von einigen der grössten Aktien angetrieben wird.

«Die Geschichte lehrt uns, dass das Risiko eines Ausverkaufs steigt, wenn die Rallye schmaler wird», warnte Pasquariello und führte weiter aus, Anleger könnten die niedrigen Kosten der Abwärtsabsicherung nutzen und Portfolios mit Put-Optionen absichern, die es dem Inhaber ermöglichen, während der Laufzeit der Option ein Derivat zum günstigsten Preis des Basiswerts auszuüben. In der Zwischenzeit schlägt er vor, die Aktienexposure von höchster Qualität beizubehalten. 

JPMorgan-Stratege Marko Kolanovic bleibt weiter pessimistisch

Trotz Rekorde beim S&P 500 Index könnte gemäss Marko Kolanovic, Anlagestratege von JPMorgan, der Index in den kommenden Monaten angesichts zunehmender Gegenwinde, von einer sich abschwächenden Wirtschaft bis hin zu nach unten korrigierten Gewinnprognosen, ins Wanken geraten.

Der US-Aktienindex wird bis zum Jahresende voraussichtlich auf 4'200 Punkte fallen. Dies entspräche einem Rückgang von rund 23 Prozent gegenüber dem Schlusskurs von Freitag bei rund 5'483 Punkten, sagten der Chefmarktstratege der Bank und sein Team am Freitag in einem Halbjahresausblick. 

Der JPM-Stratege bekräftigt die Ansicht, an der er das ganze Jahr über festgehalten hat, auch wenn andere Wall-Street-Prognostiker ihre Prognosen nach oben korrigiert haben. Das Ziel von JPMorgan ist das niedrigste unter den von Bloomberg beobachteten Strategen. Die durchschnittliche Jahresendprognose liegt rund drei Prozent unter dem aktuellen Niveau bei 5'317 Punkten.

«Es besteht eine klare Diskrepanz zwischen dem enormen Anstieg der US-Aktienbewertungen und dem Konjunkturzyklus»  schrieben die Strategen und fügten hinzu, dass der Zuwachs des S&P 500 von 16 Prozent seit Jahresbeginn angesichts der schwindenden Wachstumsprognosen nicht gerechtfertigt sei. Es besteht das Risiko, dass sich in den kommenden Quartalen das Gegenteil der hoffnungsvollen Erwartung abspielt, wenn das Wachstum nachlässt, die Inflation stabil bleibt und die langfristigen Zinsen nicht deutlich sinken.

Die Strategen von JPMorgan ragen unter den Megabanken der Wall Street heraus, indem sie auf das Risiko eines grossen Ausverkaufs von US-Aktien hinweisen. Konkurrenten bei Unternehmen wie Goldman Sachs, Citigroup und Bank of America haben ihre S&P 500-Ziele in diesem Jahr stetig nach oben geschraubt. Und der Stratege von Morgan Stanley, Mike Wilson, der im letzten Jahr Kolanovic bei seinen pessimistischen Prognosen unterstützte, hat aufgehört, solche Warnungen auszusprechen.

Kolanovic hat sich schon einmal geirrt: Er blieb 2022 optimistisch, als der S&P 500 um 19 Prozent abstürzte. Hernach änderte er seine Meinung und schätzte 2023 pessimistisch ein - allerdings zog der Benchmark dann um 24 Prozent an. Er betrachtet den Optimismus rund um Aktien jetzt mit Skepsis, da seiner Meinung nach wichtige Wirtschaftsindikatoren ins Stocken geraten und die Verbraucher Anzeichen von Bedrängnis zeigen.

Darüber hinaus könnte die Federal Reserve weniger Zinssenkungen vornehmen als vom Markt erwartet, was die Wirtschaft und die Aktienbewertungen in der zweiten Jahreshälfte weiter unter Druck setzen würde, erläuterte der Experte von JPMorgan. Er empfiehlt Anlegern, zu diversifizieren, indem sie ihr Engagement in „Anti-Momentum“-Defensivwerten wie Versorgungsunternehmen, Konsumgütern, Gesundheitswesen und Dividendenaktien erhöhen.

«Unterschätzte» Widerstandsfähigkeit

Kolanovic räumte ein, dass er die Widerstandsfähigkeit von Megacap-Technologieunternehmen in Bezug auf Preisdynamik und Gewinnwachstum unterschätzt habe. Er warnte jedoch, dass der Grad der Übergewichtung dieser Aktien und die Konzentration der Marktführerschaft «mehrere Jahrzehnte lang extrem» seien.

Ohne den Einfluss der 20 grössten Aktien im Index würde der S&P 500 bei etwa 4'700 Punkten liegen, schätzt JPMorgan. Die Strategen sagen, dass die Gewinnprognosen nach oben korrigiert werden müssten, damit die Stärke der Tech-Aktien anhält. Dies bezeichnet Kolanovic als Herausforderung. Deshalb dürften die Wall-Street-Analysten ihre Schätzungen nach den Ergebnissen des zweiten Quartals nach unten korrigieren.

(Bloomberg/cash)