Sind Bärenmärkte eine gute Investmentchance? Dieser Frage ging die US-Investmentbank Goldman Sachs nach den jüngsten Kursverlusten an den Aktienmärkten nach. Das Fazit der ausgiebigen Analyse: Es kommt darauf an - auf den Bärenmarkt und den Kaufzeitpunkt.

Für die Beantwortung dieser Frage haben die Experten von Goldman Sachs sämtliche Bärenmärkte seit dem Jahr 1800 analysiert. Dabei lassen sich Bärenmärkte in drei Hauptkategorien unterteilen: strukturelle, zyklische und ereignisbedingte Bärenmärkte.

Strukturelle Bärenmärkte zählen zu den gravierendsten: Im Schnitt verlieren Aktien fast 60 Prozent innerhalb von drei oder mehr Jahren. Mit dem Versuch von Donald Trump, die US-Wirtschaft neu zu orientieren, dürften wir uns in der Anfangsphase eines strukturellen Bärenmarktes befinden. Werden langfristige Bewertungsdurchschnitte zur Orientierung beigezogen, sind die Tiefstände noch lange nicht erreicht. Darauf haben schon führende Wirtschaftsgrössen wie Ray Dalio oder Warren Buffett hingewiesen - oder sich entsprechend positioniert.

Bärenmarkttypen und deren Auslöser

Strukturelle Bärenmärkte - etwa nach dem Platzen der Dotcom-Blase oder während der globalen Finanzkrise - entstehen durch tiefgreifende wirtschaftliche Ungleichgewichte. Häufig enden sie in einer Bankenkrise. Mit durchschnittlichen Kursverlusten von rund 60 Prozent, einer Dauer von über drei Jahren und einer Erholungszeit von bis zu zehn Jahren gelten sie als die schwerwiegendste Form.

Die durchschnittlichen Marktrückgänge während Bärenmärkten seit 1800.

Die durchschnittlichen Marktrückgänge während Bärenmärkten seit 1800.

Quelle: ZVG

Zyklische Bärenmärkte wiederum sind Teil des natürlichen Wirtschaftszyklus. Sie werden meist durch steigende Zinsen, rückläufige Unternehmensgewinne oder eine bevorstehende Rezession ausgelöst. Im Durchschnitt fallen die Kurse um rund 30 Prozent, mit einer Erholungsdauer von etwa fünf Jahren. Der Marktrückgang im Jahr 2022 fällt in diese Kategorie.

Ereignisbedingte Bärenmärkte entstehen durch einmalige Schocks - etwa Kriege, Ölpreisschocks oder die Corona-Pandemie -, ohne dass strukturelle Probleme vorliegen. Diese Einbrüche sind zwar ebenfalls heftig, verlaufen aber vergleichsweise kurz: im Durchschnitt dauern sie acht Monate und die Märkte erholen sich binnen eines Jahres.

Rekordhohe Marktbewertungen

Die US-Aktienmärkte befinden sich in einer aussergewöhnlichen Lage. Gemessen an unterschiedlichen Bewertungsgrössen - wie etwa dem Buffett Indikator (Verhältnis der gesamten Marktkapitalisierung zum Bruttoinlandsprodukt, BIP) oder der Marktkapitalisierung nichtfinanzieller Unternehmen im Verhältnis zu ihrer Bruttowertschöpfung - befinden sich die Bewertungen auf dem höchsten Niveau seit über 100 Jahren. 

Gleichzeitig will die US-Regierung ihre Wirtschaft durch eine Neuordnung der Warenproduktion und Lieferketten neu auszubalancieren - ein Vorhaben, das kaum reibungslos ablaufen kann. Der konfrontative Kurs gilt zudem als denkbar ungünstigste Variante - zumindest aus Sicht der Kapitalmärkte, die ruhige und transparente Rahmenbedingungen bevorzugen. Das Zusammentreffen extremer Überbewertungen mit fundamentalen Unsicherheiten birgt erhebliches Abwärtspotenzial.

Hinweise zum potenziellen Ablauf des Bärenmarktes geben Bewertungskennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) im Langzeitvergleich. Goldman Sachs geht derzeit zwar nicht von einer Rezession aus, doch käme es soweit und das KGV normalisiert sich beispielsweise auf den langjährigen Durchschnitt von 16, dürfte der S&P 500 auf 3500 Punkte fallen. 

Bankenkrisen sind in solchen Szenarien noch nicht eingepreist - doch bei Rückgängen dieser Grössenordnung eine Wahrscheinlichkeit. Sie wirken weniger auf die Ertragskraft der Unternehmen als auf das Bewertungsniveau. Unter solchen Umständen dürfte das KGV unter den langjährigen Durchschnitt fallen. Während der Finanzkrise fiel das KGV sogar unter 10 – ein Niveau, das einem Stand von rund 2200 Punkten im S&P 500 entspräche.

Nach 15 Jahren Kursgewinne erscheinen solche Zahlen unvorstellbar. Doch auch vor dem Platzen der Dotcom-Blase lag das KGV bei 24 – zehn Jahre später lag es unter 10. Die Geschichte wiederholt sich nicht immer, aber sie reimt sich oft.

Die Erholung eines Bärenmarktes

Alle Bärenmärkte seit den 1980er-Jahren scheinen ein vergleichbares Muster zu zeigen: Bevor der Markt seinen Tiefpunkt erreicht, kommt es häufig zu temporären Erholungsphasen. So analysierten die Goldman-Experten 19 globale Bärenmarkt-Rallyes, die im Schnitt 44 Tage dauerten und einen Anstieg von 10 bis 15 Prozent im MSCI AC World Index verzeichneten. 

Angesichts des zuletzt drastisch gesunkenen Anlegervertrauens hielt Goldman Sachs vergangene Woche eine kurzfristige Erholung für wahrscheinlich - und behielt recht.

Für eine nachhaltige Trendwende braucht es laut der Investmentbank jedoch vier klare Signale: attraktive Bewertungen, extrem pessimistische Positionierung der Investoren, politische Unterstützung sowie Anzeichen einer konjunkturellen Stabilisierung. 

Diese Bedingungen sind derzeit noch nicht erfüllt - insbesondere der anhaltend hohe Bewertungsstand des S&P 500 und das relativ geringe Ausmass des Investorenpessimismus mahnen zur Vorsicht.

Der Investorenpessimismus stieg laut der Umfrage von «AAII» in den ersten Aprilwochen stark an, befindet sich aber erst seit Kurzem auf erhöhtem Niveau. In früheren Krisen hielten vergleichbare oder sogar höhere Werte über Jahre hinweg an. Es gibt einen zentralen Unterschied zwischen «überverkauften» und «ausverkauften» Märkten. Erstere markieren oft nur ein Zwischentief, letztere hingegen sind eine Grundvoraussetzung für das Ende eines strukturellen Bärenmarktes.

Ebenso ist der US-Leitindex trotz Kurssturz weiterhin teuer. Gemessen an den in diesem Jahr erwarteten Gewinne liegt das KGV weiterhin bei knapp 20 - deutlich über dem Durchschnitt. 

Laut Daten der London Stock Exchange (LSEG) wird für 2025 ein Gewinnwachstum von über 12 Prozent erwartet - ein Wert, der über den Schätzungen zu Jahresbeginn und dem historischen Schnitt seit 1989 liegt. Ob das in einem derartigen Umfeld erzielt werden kann, ist fraglich. Die soeben gestartete Berichtssaison für das erste Quartal dürfte erste Hinweise liefern.

Fallen Gewinne und Bewertungen gleichzeitig, wirkt sich dies doppelt negativ auf die Kursentwicklung des S&P 500 aus – ein typisches Merkmal struktureller Bärenmärkte. Kurse von 3500 Punkten rücken dann schnell in Sichtweite.

Auswirkungen auf den Schweizer Markt

Dem Schweizer Markt - besonders dem Swiss Market Index (SMI) - wird aufgrund seiner Zusammensetzung mit Schwergewichten wie Nestlé, Roche und Novartis eine gewisse Defensivqualität zugeschrieben. Sind Schweizer Anleger dadurch besser auf einen Bärenmarkt vorbereitet?

Nicht unbedingt. Während der vier Bärenmärkte seit 2000 (Dotcom 2000, Finanzkrise 2008, Corona 2020, Inflation 2022) schnitt der SMI zwar dreimal leicht besser ab als der S&P 500. Doch angesichts der Kursverluste war diese Überperformance marginal.

In den Jahren 2008, 2020 und 2022 verlor der SMI jeweils 2 bis 6 Prozent weniger - bei Gesamtverlusten von 20 bis 52 Prozent bleibt das nur ein schwacher Trost. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase fiel der SMI sogar stärker als der S&P 500: 54 zu 47 Prozent.

In allen Phasen zeigt sich: In vertieften Krisen tendieren Korrelationen zwischen Sektoren und Märkten gegen eins. Wenn Panik herrscht, wird verkauft - unabhängig von zugrundeliegenden Wert und Fundamentaldaten. Anleger ziehen Kapital ab, während Cash bevorzugt wird.

Die beste Antwort auf einen Bärenmarkt besteht daher weiterhin darin, das Anlagerisiko über einen reduzierten Investmentgrad zu steuern - und erst dann wieder aufzustocken, wenn die Voraussetzungen für nachhaltige Kursgewinne erfüllt sind.

Luca_Niederkofler
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