Für morgen Donnerstag erwartet die Zürcher Kantonalbank «eine starke Kursreaktion» der Aktien von DocMorris - und zwar nach oben oder nach unten, abhängig vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

Der Gerichtshof wird sein Urteil im Rechtsstreit zwischen der Online-Apotheke und der Apothekerkammer Nordrhein mitteilen und dabei die Frage beantworten: Dürfen Apotheken den Kunden für das Einlösen von Rezepten Rabatte auf rezeptfreie Mittel oder Kosmetikprodukte geben? Im Kern geht es um die Zulässigkeit bestimmter Werbung und damit um das Marketing der Versandapotheken wie DocMorris und Redcare Pharmacy.

Das Urteil dürfte zum einen kurzfristige Effekte haben: Der zuständige ZKB-Analyst, Gian Marco Werro, sieht einen Aktienpreisrückgang um mindestens 15 Prozent nach einem negativen Entscheid respektive einen Kursanstieg um mindestens 5 Prozent bei einem positiven Entscheid.

Zum anderen wird sich der Richterspruch mittel- bis langfristig auswirken: «Die Entscheidung des EuGH wird sich bei negativem Entscheid bedeutend auf das Geschäft von DocMorris auswirken, da dies die aktuell fleissig angewendeten Rabattaktionen verbietet», sagt Werro. Ein positiver Entscheid verändere das operative Geschäft hingegen kaum, da er die bereits angewendeten Aktionen einfach gutheissen würde. «In diesem Fall wäre die kurzfristige Aktienkursreaktion hauptsächlich auf eine Risikoreduktion zurückzuführen.»

Für DocMorris positive Anträge des Generalanwalts

Die Vorzeichen stehen aus Sicht von DocMorris gut. Denn der zuständige Generalanwalt, Maciej Szpunar, hatte im Oktober zugunsten der Online-Apotheke plädiert. Er unterschied zwischen der Werbung für eines der Unternehmen und Werbung für Arzneien: «Das vorrangige Ziel der Rabattaktionen ist es, die Patienten dazu zu bewegen, sich für die Apotheke DocMorris und nicht für eine andere Apotheke zu entscheiden. Sie sollen die Patienten nicht dazu verleiten, mehr Arzneimittel zu verbrauchen, als sie es sonst tun würden», heisst es in den Schlussanträgen des Generalanwalts.

Mit DocMorris versuche eine ausländische Apotheke, auf dem deutschen Markt Fuss zu fassen, indem sie «einen stabilen Strom von Bestellungen» generiere. Szpunar führt aus, dass Patienten, die auf verschreibungspflichtige Arzneimittel angewiesen sind, häufig an chronischen, möglicherweise unheilbaren Krankheiten leiden. Sie seien deshalb über einen längeren Zeitraum auf solche Arzneimittel angewiesen. «Die Apotheken wollen natürlich an diesem lukrativen Markt teilhaben, bei dem ein Rezept oft Teil eines grösseren ‹Abonnements› ist», so Szpunar.

In den meisten Fällen folgt das Gericht den Anträgen der Generalanwälte. Tut es das auch diesmal, dürfte die Aktie von DocMorris profitieren. Schon als der Generalanwalt im Oktober sein - für DocMorris günstiges - Plädoyer vorgestellt hatte, sprangen die Valoren um rund 13 Prozent nach oben. Das Kursfeuerwerk war allerdings vorübergehend. Im November rutschte die Aktie wieder unter die Marke, die sie am Tag vor den Schlussanträgen erreicht hatte. Seither ging es insgesamt weiter talwärts.

Das Gericht ist allerdings nicht an die Anträge des Generalanwalts gebunden, es fällt sein eigenes Urteil. Und in zirka einem Fünftel der Fälle, sagen Beobachter, weichen die Richter von den generalanwaltlichen Darstellungen ab.

Die Sorgen der Gegenpartei

Auf der Gegenseite zu DocMorris steht die Apothekerkammer Nordrhein. Sie zeigte sich angesichts der Schlussanträge überrascht. Ein wichtiges Ziel, die Vollharmonisierung des Arzneimittelvertriebs in der EU, könne so nicht erreicht werden, teilte die Kammer im Oktober mit. Sollte der Gerichtshof den Schlussanträgen folgen, schrieb sie weiter, werde das Ziel eines hohen Gesundheitsschutzniveaus im Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel geopfert. Die Sorge ist also, dass durch die Werbung Anreize zu einem falschen Einsatz von Arzneimitteln gesetzt werden.

Aus Sicht der ZKB ist die Entscheidung des Gerichts schwer vorhersehbar. In jedem Fall werde das Urteil der europäischen Richter zunächst an die deutschen Instanzen weitergegeben - «und dort wird die Weiterbearbeitung wohl Monate dauern». Demnach wird sich DocMorris noch über das für morgen erwartete Urteil mit der Rechtssache befasst sehen.

Reto Zanettin
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