Seit fünf Jahren versucht Mattel-CEO Ynon Kreiz, den steilen Umsatzrückgang umzukehren, indem er das geistige Eigentum des Unternehmens an fast jedes Studio in Hollywood lizenziert hat. Der neue Film, eine komödiantische, feministische Version von Barbie, wird die erste Veröffentlichung von Kreiz's "Intellectual-Property-Strategie“ - die Puppen sind Mattels Kronjuwelen und erwirtschaften etwa ein Drittel des Jahresumsatzes von 5 Milliarden US-Dollar.
Auch wenn das Vermarktungsprinzip von Figuren-Rechten mittlerweile gut etabliert ist, birgt die digitale Vermarktung von Barbie zahlreiche Risiken für Mattel. Barbie-Filme und -Videospiele könnten bei nostalgischen Erwachsenen beliebt sein, bei Smartphone-hungrigen 5-Jährigen jedoch nicht ankommen. Die Einspielergebnisse könnten dürftig ausfallen, was auch Warner Brothers schaden würde. Warner deckte den grössten Teil des 100-Millionen-Dollar-Budgets. Ein Misserfolg würde auch die anderen Studios verunsichern, die gemeinsam 14 weitere Mattel-Filme finanzieren oder eine Finanzierung in Erwägung ziehen.
Oder der Film könnte für den Spielzeughersteller komplett nach hinten losgehen. In Barbies 64-jähriger Geschichte war sie das Gesicht von Dutzenden Fernsehsendungen, Kinofilmen, Videospielen und Büchern, aber sie spielte noch nie in einem Kinofilm mit. Das liegt nicht daran, dass Mattel das Aufwärtspotenzial nicht erkannt hat. Das Problem liegt darin, dass die potenzielle Kehrseite der finanzielle Ruin für Mattel wäre.
Barbie wurde als Spielzeug für junge Mädchen geschaffen und vermarktet – als Prototyp für das Erwachsensein, als Projektion eines zukünftigen Lebens. Barbie wurde zu einem Zeitpunkt in der Geschichte eingeführt, als es Mädchen an realen Vorbildern leistungsstarker Frauen mangelte, und füllte mit ihrem umwerfenden Aussehen und ihren hochkarätigen Jobs ein kulturelles Vakuum. Sie wurde schnell zur Ikone:
Mattel-Gründerin hat Idee zu Barbie in der Schweiz entdeckt
Ohne Ruth Handler wäre Mattel vielleicht ein bescheidener Hersteller von Bilderrahmen und Puppenmöbeln geblieben. Zusammen mit ihrem Ehemann Elliot und einem Geschäftspartner gründete Handler das Unternehmen 1945 in einer Garage in Los Angeles. Auf einer Reise in die Schweiz im folgenden Jahr mit Elliot und den Kindern Barbara und Ken blieb Ruth an einem Schaufenster stehen. Vor ihr stand eine "Bild-Lilli", eine vollbusige, fussgrosse blonde Puppe mit starkem Make-up, die einer Comicfigur nachempfunden war. Sie wurde in Deutschland hergestellt und war nichts für Kinder, sondern wurde von Männern häufig als Scherzgeschenk auf Junggesellenabschieden herumgereicht.
Handler nahm die Idee auf und entwickelte erste Prototypen von Barbie. Auf der American International Toy Fair 1959 in New York präsentierte Handler Barbie bei Einkaufsmanagern. Sie vermochte diese nicht zu überzeugen und verliess die Messe mit deutlich weniger Bestellungen als erwartet. Unbeirrt davon gab Handler danach mit Erfolg einen TV-Werbespot in Auftrag. Mädchen gingen in die Kaufhäuser und verlangten nach Barbie en masse. Mattel ging ein Jahr nach der Veröffentlichung von Barbie an die Börse und war bald das grösste Spielzeugunternehmen der Welt.
Mattel konzentrierte sich darauf, Barbie an der Spitze der Frauenförderungsbewegung jeder Epoche zu halten. 1961 bekam sie den Partner Ken, der im Sinne einer Umkehrung der Geschlechterrollen eine Nebenfigur in Barbies Geschichte war - ohne wirklich Ambitionen zu haben. Sie wurde später Chirurgin, Unternehmensleiterin und US-Präsidentin und erinnerte Mädchen in Anzeigen ständig daran, dass sie alles sein könnten, was sie wollten.
Mattels aggressive Vermarktung der Puppen und ihrer mit Accessoires ausgestatteten Power-Anzüge und Traumhäuser trug dazu bei, dass der Barbie-Umsatz 1992 die Marke von 1 Milliarde US-Dollar überstieg. Handler behauptete in ihrer Autobiografie, dass ein durchschnittliches amerikanisches Mädchen acht der Puppen besass.
Umsatzhalbierung in 16 Jahren
Von 2012 bis 2015 gingen die Barbie-Umsätze jedes Jahr zurück und sanken auf die Hälfte der 1,8 Milliarden US-Dollar, die sie auf ihrem Höhepunkt im Jahr 1997 erzielt hatten. Der Vorstand von Mattel wechselte einen CEO nach dem anderen aus. Als das Unternehmen erneut versuchte, sich auf High-Tech-Spielzeug zu konzentrieren, und eine sprechende Barbie mit WLAN und einem Gerät mit künstlicher Intelligenz einführte, das Babys zuhören und mit Schlafliedern auf ihre Schreie reagieren sollte, fanden die Eltern sie unheimlich. "Wir hatten keine Verbindung zur Kultur. Wir spiegelten nicht einmal die Popkultur wider“, sagt Richard Dickson, Präsident und Chief Operating Officer von Mattel. "Die Mädchen schauten uns an und sagten: "Du bist nicht relevant.“
Kreiz wurde im April 2018 CEO und übernahm ein überwiegend weibliches Team, das bis dahin eine deutlich modernere und weniger problematische Barbie entwickelt und herausgebracht hat. Die Puppe gab es nun in vier Körpertypen und sieben Hauttönen, und ihre Füsse waren nicht mehr dauerhaft so geformt, dass sie zu High Heels passten. Weitere inklusive Designs, darunter Barbies mit Hörgeräten und mit Down-Syndrom, würden folgen. Den Eltern gefielen die Aktualisierungen, und die neuen Übergrössen der Puppe bedeuteten, dass die Kinder neue Accessoires wünschten, darunter ein 30-Dollar-Auto und ein 200-Dollar-Traumhaus, was zu einem Umsatzanstieg führte.
Mattel begann unter der Leitung von Kreiz, Studiopartnern für die Vermarktungsrechte zu gewinnen. Wenn es gut lief, würde Mattel einen Anstieg der Spielzeugverkäufe, Spin-off-Reihen von Spielzeugen und mehr darauf basierende Filme erleben, und der Erfolgszyklus würde erneut losgehen. Entsprechend war die naheliegendste Lösung, mit Barbie nach Hollywood aufzubrechen.
Der Film ist ab Ende Juli in den Schweizer Kinos zu sehen. Der Aktienkurs von Mattel dürfte auf die Kino-Verkaufszahlen reagieren.
(cash/Bloomberg)