Bilanz: Ihr Vorgänger Martin Naville hat oft gesagt, es sei für die Wirtschaft egal, wer im Weissen Haus sitzt. Sehen Sie das auch so?

Rahul Sahgal: Ich teile die Meinung, dass es relativ egal ist. Das sieht man auch an der Börsenentwicklung in den letzten siebzig Jahren. Es hat fast keinen Unterschied gemacht, wer jeweils im Amt war.

US-Präsidenten greifen für die Gesetzgebung immer öfter zu Executive Orders. Was bedeutet dieser Trend?

Dieser Trend bedeutet, dass damit der Kongress, also die beiden Parlamentskammern, umgangen werden. Mit der Begründung von nationalen Sicherheitsinteressen könnte der nächste US-Präsident oder die nächste US-Präsidentin eigene Pläne einfacher durchsetzen. Trump könnte so beispielsweise seine geplanten 10-Prozent-Zölle einführen. Wenn plötzlich alles unter «nationale Sicherheitsinteressen» fallen kann, ist das problematisch.

Ein US-Präsident kann ausserdem Personalentscheidungen fällen, es gibt rund 4000 sogenannte Political Appointees. Darunter die Chefs von rund fünfzig Behörden. Welche Schlüsselpositionen sind für die Wirtschaft besonders wichtig

Zum Beispiel der Finanzminister oder die Handelsministerin. Auf der Ebene der Institutionen betrifft es unter anderem die Federal Trade Commission, die FDIC (sichert die Stabilität des Bankensystems, Anm. d. Red.) und den oder die amerikanische Handelsbeauftragte. Handelsbeauftragte sind zuständig für Handelsverträge. Da wollen die Amerikaner weitermachen. 

Rahul Sahgal (*1977) ist seit August CEO der Swiss-American Chamber of Commerce, die rund 1500 Mitglieder vertritt. Zuvor war er stellvertretender Leiter der Steuerabteilung im Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) und vertrat die Schweiz als Diplomat im Ausland. Zwischen 2017 und 2021 war er in der Botschaft in Washington, D.C., stationiert. Davor war er zehn Jahre lang in der Privatwirtschaft tätig.

Besteht doch noch Hoffnung auf ein Schweizer Freihandelsabkommen?

Es gibt einen Mechanismus namens «Trade Promotion Authority». Er hält die US-Regierung dazu an, Verhandlungen über bilaterale Verträge zu führen, die den Marktzugang für amerikanische Exporteure erleichtern. Und diese können mit einfacher Mehrheit im Kongress verabschiedet werden. Ein derartiges Abkommen wäre also einfacher durchsetzbar und könnte ein Gegengewicht zu möglichen 10-Prozent-Zöllen bilden. Insofern spielen die Personalentscheidungen auch für uns eine wichtige Rolle.

Wie sieht es mit dem Kongress aus? Es heisst ja oft, ein gespaltenes Parlament sei besser für die Wirtschaft, weil Änderungen langsamer umgesetzt werden …

Ja, das sorgt für mehr Stabilität. Auf der anderen Seite wären Trumps Steuersenkungen kaum möglich gewesen, wenn die Präsidenten nicht jeweils in beiden Kammern die Mehrheit gehabt hätten.

Beobachten Sie eine Präferenz für Trump oder Harris bei den Schweizer Unternehmen?

Nein. Sie verstehen, dass es schlussendlich nicht matchentscheidend ist, wer Präsidentin oder Präsident wird, eben aus den vorgenannten Gründen. Ich würde sagen, bei den grossen Konzernen ist man neutral oder hält Trump für unwählbar, sowohl wegen seiner Persönlichkeit als auch wegen seines erratischen Politikstils. 

Harris ist also schon die Favoritin?

Das würde ich so nicht sagen. Für viele steht Harris für mehr Kontinuität. Es gibt jedoch auch Schweizer Unternehmer, die der republikanischen Partei ideologisch näher stehen. Sie bevorzugen eher liberale Ideen wie Deregulierung und niedrige Steuern und würden deshalb wohl weiterhin Trump unterstützen. Sie glauben, dass es bei Trump sehr viel Lärm gibt, aber dass das, was er macht, zielführend ist. 

Viele der Schweizer Unternehmen in den USA spenden auch kräftig für Kandidatinnen und Kandidaten auf Ebene der Bundesstaaten. Warum?

Weil für sie im Zweifelsfall wichtiger ist, wer dort Gouverneur ist. Wer ist beispielsweise für die Stromversorgung verantwortlich? Wie ist das Steuerklima allgemein? Welche Steuervergünstigungen erhalten sie? Das ist für alle Schweizer Firmen zehnmal entscheidender als die Frage, wer im Weissen Haus sitzt.

Dabei haben die Schweizer Firmen zuletzt auch kräftig von der Biden-Regierung profitiert. Im Inflation Reduction Act, im Chips Act und im Infrastructure Act steckt viel Geld für sie.

Teilweise, ja. Allerdings sind die Summen nicht so gross, wie es auf den ersten Blick scheint. Viele Schweizer Firmen sind in den USA bereits stark lokal präsent. Sobald man lokal produziert, gilt man als US-Unternehmen und wird entsprechend behandelt, sodass man keine Importzölle zahlen muss.

Die Bundesstaaten setzen zunehmend auf eigene Regulierungen, etwa Kalifornien. Der Trend könnte sich bei einem paralysierten Kongress in Washington fortsetzen. Ist das gut oder schlecht für Schweizer Unternehmen?

Beides. Positiv ist, dass es mehr Wettbewerb gibt. Die USA sind so gross – fünf der fünfzig Bundesstaaten wären unter den G20-Ländern, Texas hat das Bruttoinlandsprodukt von Italien und ein grösseres als Kanada oder Russland. Durch den föderalistischen Gedanken, wie wir ihn auch in der Schweiz haben, gibt es viel Wirtschaftsförderung. Die Bundesstaaten kümmern sich aktiv um Investitionen. Kürzlich war beispielsweise eine Delegation aus South Carolina in der Schweiz, um Unternehmen für Ansiedlungen zu gewinnen.

Welcher US-Bundesstaat agiert am cleversten und attraktivsten? 

Das hängt stark vom Sektor ab. Texas konzentriert sich unter anderem beispielsweise darauf, Unternehmen aus Kalifornien anzuziehen.

Austin, das neue Silicon Valley?

Genau. In Tennessee und Alabama hingegen gibt es ein Logistikdrehkreuz, das inzwischen auch Automobilhersteller anzieht. Oft gibt es einen Cluster-Effekt, besonders in der Automobilindustrie. Wo sich bereits Zulieferer befinden, kommen andere Unternehmen nach.

Summa summarum: Worauf sollte sich die Schweizer Wirtschaft vorbereiten?

Der Vorteil bei Harris sind Stabilität und keine Zölle, der Nachteil sind Regulierung und Steuern. Bei Trump liegen die Pluspunkte bei der Deregulierung und den Steuersenkungen, aber dafür erwarten uns Zölle und Craziness.

Dieses Interview ist zuerst in der Online-Ausgabe von «Bilanz» erschienen.

Fabienne Kinzelmann
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