cash.ch: Herr Konrad, nach 19 Jahren als Geschäftsführer beim Schweizerischen Pensionskassenverband Asip, der die Interessen von über 900 Schweizer Pensionskassen vertritt, gehen Sie in Pension. Wie entschieden Sie sich bei der 2. Säule? Kapitalbezug oder Rente?
Hanspeter Konrad: Ich habe einen Teil als Kapital bezogen. Aber den überwiegenden Teil werde ich als Rente beziehen.
Sie könnten bei mehr Kapitalbezug viel Steuern sparen.
Es war meine persönliche Wahl, und sie stimmt so für mich. Natürlich habe ich dabei alle Kriterien in Betracht gezogen: Familiäre Situation, Gesundheit, Einschätzung der Lebenserwartung, Risikobereitschaft bei Anlagen und das steuerliche Umfeld.
Bei einem vollen Kapitalbezug wären Sie vielleicht auch ein schlechtes Beispiel oder Vorbild gewesen, denn die Pensionskassen sind als Rentensystem eingeführt worden…
Ich glaube nicht, dass man bei meinem Entscheid wirklich genau hinschaut und zweifle daher, dass ich diesbezüglich ein Vorbild oder eben kein Vorbild wäre (schmunzelt). Klar ist aber: Kapitalbezüge nehmen in der Tendenz zu. Aber die Mehrheit entscheidet sich immer noch für die Rente oder eine Mischform.
Lässt sich der steigende Anteil an Kapitalbezügen als Misstrauen gegenüber der eigenen Pensionskasse oder der 2. Säule generell interpretieren?
Soweit würde ich nicht gehen. Die Umwandlungssätze sind sicher rückläufig bei den Pensionskassen. Aber auch das ist eine sehr allgemeine Aussage. Denn das Leistungsniveau bei den Kassen ist nicht allzu stark gesunken, wie verschiedene Studien zeigen. Alles andere ist Panikmache.
Kapitalbezüge sind für Pensionskassen per se nicht schlecht. Die Risiken vermindern sich.
Ja. Bei einem Kapitalbezug findet aus Kassen-Optik eine Reduktion der Garantien statt, ebenso nimmt die Umverteilung von aktiven Versicherten zu Rentenbezügern ab. Das System ist aber letztlich auf den Rentenbezug ausgerichtet. Insofern laufen die Elemente Barauszahlung, Vorbezug und Kapitalbezug der Drei-Säulen-Konzeption ein wenig zuwider.
Die Pensionskassen senken die Umwandlungssätze seit Jahren, sie liegen derzeit bei durchschnittlich etwa 5,4 Prozent. Werden sie im Jahr 2030 durchschnittlich unter 5 Prozent liegen, wie das bei einigen Kassen heute schon der Fall ist?
Schliesslich ist dies eine versicherungstechnische Fragestellung. Die tendenzielle Senkung der Umwandlungssätze ist darauf zurückzuführen, dass die Lebenserwartung der Neurentner zugenommen hat. Dazu kam in den letzten Jahren die Erwartung der Anlagerendite der Kassen aufgrund des fallenden nominalen Zinsniveaus. Das sind die beiden Haupttreiber der Entwicklung. Ein grosser Teil der Senkung des Umwandlungssatzes entspricht nicht einer Leistungseinbusse, sondern spiegelt vor allem die längere Bezugsdauer der Rente. Ob der durchschnittliche Umwandlungssatz unter 5 Prozent fallen wird, ist schwierig vorherzusagen, aber ich sehe dies im Moment eher nicht. Wir befinden uns auch wieder in einem steigenden Zinsumfeld.
Die Gewerkschaften und die politisch Linke haben mit Erfolg das Referendum gegen die vom Parlament verabschiedete Reform der beruflichen Vorsorge, kurz BVG ergriffen, 2024 kommt es zur Volksabstimmung. Im Wesentlichen geht es den Reform-Gegnern gegen die Senkung des Umwandlungssatzes zur Berechnung der Renten von 6,8 auf 6 Prozent. Das Anliegen ist aus Arbeitnehmer- und Rentnersicht doch berechtigt?
Der BVG-Umwandlungssatz ist seit Jahren in Diskussion. Er ist mit 6,8 Prozent zu hoch. Mit 6,8 Prozent müssen die Pensionskassen rund 4,8 Prozent Rendite auf dem Kapital der Rentenbezüger erwirtschaften, ohne eine Umverteilung von Versicherten zu Rentenbezügern in Kauf nehmen zu müssen. Wir müssen einen neuen Anlauf nehmen, diesen Umwandlungssatz zu senken und damit die systemwidrige Umverteilung im BVG zu reduzieren.
Sie wehren sich gegen den Vorwurf, die Renten hätten in den letzten Jahren schleichend abgenommen. Kaufkraftbereinigt nimmt die Rente tatsächlich jedes Jahr ab, während die Beiträge der aktiv Versicherten steigen?
Ich wehre mich gegen diese Pauschalisierung und Panikmacherei, zudem geht vergessen, dass es bei vielen Kassen Kompensationszahlungen an die Versicherten gab. Die PK-Studie von Swisscanto beispielsweise, welche die Entwicklungen von 2013 bis heute nachzeichnet, besagt, dass das Leistungsniveau bei einem Jahreslohn von 80’000 Franken immer über der Marke von 60 Prozent lag, welche man als Rentner nach der Pensionierung vom vorherigen Lohn erreichen sollte.
Veränderungen im Schweizer Vorsorgesystem sind an der Urne schwierig durchzubringen. Blicken Sie diesbezüglich auch mit etwas Frust auf die 19 Jahre Tätigkeit als Asip-Direktor zurück?
Als Verbandsvertreter braucht es bei diesen Themen eine hohe Frustrationstoleranz. Etwas stossend finde ich sicher die zunehmende Politisierung der Vorsorge-Themen. Aber frustriert wegen gescheiterten Abstimmungen? Nein. Das sind schliesslich die Voten der Stimmenden. Froh war ich hingegen über die Annahme der AHV21-Vorlage. Das setzte ein positives Zeichen.
Einen Teuerungsausgleich in der 2. Säule sieht das BVG nicht explizit vor, die PK können dies aber tun. Wie viele Pensionskassen in der Schweiz könnten dies sich überhaupt leisten?
Eine Zahl in Prozent kann ich Ihnen nicht sagen. Die Stiftungsräte der Pensionskassen müssen die Frage des Inflationsausgleichs aber jedes Jahr diskutieren und dann darüber entscheiden. Sollte die Teuerung über längere Zeit hoch bleiben, müssen sich die Kassen aber sicher Gedanken darüber machen, wie sie einen Ausgleich gewähren können. Berücksichtigen muss man auch, dass bei der Festlegung des Umwandlungssatzes immer eine gewisse Teuerungsannahme berücksichtigt ist.
Eines der Grundprobleme der 2. Säule, es wurde schon erwähnt, ist die Umverteilung des PK-Vermögens von jungen, aktiven Versicherten zu den Rentnern. Ist dieses Problem im jetzigen Konstrukt der 2. Säule überhaupt zu lösen?
Bei den umhüllenden Pensionskassen, also Kassen mit überobligatorischen Leistungen nebst dem BVG-Obligatorium, ist die Umverteilung nach der Senkung der Umwandlungssätze und des technischen Zinssatzes stark zurückgegangen oder sogar verschwunden. Das gilt nicht für die BVG-Kassen. Deshalb brauchen wir die Reform.
Nicht wenige junge Leute sind verunsichert wegen ihrer künftigen Renten. Ich behaupte: Das eigentliche Zukunftsproblem des Schweizer Vorsorgesystems ist der Vertrauensschwund der jungen Generation in AHV und Pensionskassen. Wie schätzen sie dies ein?
Wir verfolgen dieses Thema natürlich auch, und ich würde nicht sagen, dass das Vertrauen in die Pensionskassen stark gelitten hat. Von unserer Seite braucht es aber konstant Anstrengungen, die Stärken der 2. Säule darzustellen. Und eine der Stärken ist vor allem, dass jede versicherte Person mit den eigenen Beiträgen, denjenigen des Arbeitgebers und den Vermögensbeiträgen für das eigene Alterssparkonto sparen kann. Es ist gerade in diesem Wahljahr und im Hinblick auf die BVG-Abstimmung wichtig, das Wesen der 2. Säule darzustellen.
Komplizierte Pensionskassenausweise, die viele Fragen offen lassen. Vorsorgeeinrichtungen, schlecht informieren. Machen die Pensionskassen genug in Sachen Transparenz und Kommunikation gegenüber den Versicherten?
Im Grossen und Ganzen ja, vor allem im Vergleich mit der Informationssituation vor zehn oder 20 Jahren. Ich glaube, speziell die Transparenz hat sich verbessert. Die Themen Kommunikation und Aufklärung werden in den nächsten Jahren vom Verband sicher noch stärker in den Fokus gerückt.
Ein anderer Vorwurf an die Pensionskassen ist: In Kassen 'sitzen' viele Hobby-Stiftungsräte, welche die Vorschläge von Profi-Beratern brav abnicken. Trifft das zu?
Es ist ein Bild, das dann und wann gezeichnet wird. Das muss ich aber in aller Schärfe zurückweisen, es wirkt beleidigend. Solche Aussagen berücksichtigen nicht die grossen Leistungen der Stiftungsräte und die grossen Fortschritte, die bei den Führungsstrukturen der Kassen erreicht wurden. Es ist unbestritten, dass es Professionalität braucht in den Kassen angesichts der wachsenden Herausforderungen. Das kann bei den Pensionskassen auch mit dem Milizprinzip, dessen Anhänger ich prinzipiell bin, erreicht werden. Stiftungsräte müssen Fragen stellen und die Berater herausfordern. Dazu braucht es manchmal sicherlich etwas Mut.
Aus marktliberaler Sicht kommt auch immer wieder die Idee der freien Pensionskassenwahl, damit Wettbewerb entsteht, die Anzahl Kassen reduziert und Kosten gesenkt werden. Ein gangbarer Weg für die Zukunft?
Das bringen einige Ökonomen fast schon gebetsmühlenartig immer wieder aufs Tapet. Tatsache ist: Die Konzentration unter den Pensionskassen ist im Gang, das zeigt sich vor allem beim Wachstum von Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen. Kleinere, autonome Pensionskassen schliessen sich diesen Einrichtungen zunehmend an. Daher aber gleich eine freie Pensionskassenwahl fordern? Nein. Wir vom Pensionskassenverband waren in den letzten Jahren immer dagegen. Das ist vorsorgerechtlich und sozialpolitisch heikel. Es führt letztendlich zu einer Entsolidarisierung des Systems und verlagert das Risiko der Altersvorsorge vollumfänglich auf die einzelnen Versicherten. Ich spreche da vor allem von den Finanzmarktrisiken.
Hanspeter Konrad (geb. 1958), ausgebildeter Rechtsanwalt, war von 1. April 2004 bis 31. August 2023 Direktor des Schweizerischen Pensionskassenverbandes (ASIP), der die Interessen von über 900 Schweizer Pensionskassen vertritt. Zudem war er langjähriges Mitglied der Eidg. AHV-/IV-Kommission und der BVG-Kommission. Zuvor war er 15 Jahre verantwortlich für Vorsorge und Versicherungen im Sulzer Konzern. Konrad wird weiterhin in Stiftungsräten von Pensionskassen und als Dozent tätig sein.
Transparenz bei cash.ch: Der Verfasser dieses Interviews ist Stiftungsrat bei der Personalvorsorgestiftung der Ringier Gruppe und ist dort auch Mitglied der Anlagekommission.
4 Kommentare
Ist ja klar, dass er als Vertreter des Pensionskassenverbandes gegen die freie Pensionskassenwahl ist. Die sehen ihre Felle davonschwimmen. Das BVG ist so schwammig abgefasst, dass die Pensionskassen immer die Gewinner sind. Bei einem Jobwechsel trägt der Angestellte immer das Risiko, in eine Pensionskasse mit schlechteren Leistungen oder ungenügender Deckung wechseln zu müssen. Bei freier Pensionskassenwahl kann der Angestellte auf dem Markt das für ihn beste Angebot wählen und muss bei einem Stellenwechsel keine Freizügigkeitsleistung beziehen und dann wieder beim neuen Arbeitgeber einzahlen. Der Nebeneffekt: die Verwaltungskosten wären noch einen Bruchteil der jetzigen Situation.
Bei freier Wahl der PK tun sich aus meiner Sicht schon noch diverse Fragen auf:
1. Was passiert wenn man von einer PK wechseln will und die alte PK ist in Unterdeckung, kriegt man die volle Freizügigkeit oder nur den Deckungsgrad? Und was bei Überdeckung? Und wenn neue PK höheren Deckungsgrad hat als man selbst? Was sagen die bestehenden Destinatäre wenn neue Destinatäre kommen die den Deckungsgrad "verwässern"?
2. Wird der Arbeitgeber bei Unterdeckung bei der Sanierung mit in die Pflicht genommen? Er kann ja nichts dafür, wenn der Arbeitnehmer eine schlechte Pensionskasse gewählt hat.
3. Wird die Wahl der PK eingeschränkt wenn sie in Unterdeckung ist, um eine Negativspirale zu verhindern? Oder die letzten beissen die Hunde?
Ich halte ein Systemwechsel in der Praxis für nicht mehr realistisch. Somit reines Wunschdenken.
Für die Solidarisierung des Systems ist die AHV zuständig, nicht die Pensionskassen. Die Entsolidarisierung ist somit kein Argument gegen die freie Pensionskassenwahl.
Es bleibt die Frage was der solidarische Nutzen ist wenn unfaehige Verwaltungsraete eine Firma nach der anderen erst pluendern und dann bankrott gehen lassen. Dann lieber eine unsolidarische renditeorientierte Kasse die diesen die Tuere weist und unsere Arbeitsplaetze sichert.