Ein langer Spaziergang durch eine Welt aus Stahl, Beton und Glas führte Matthias Ratheiser an einem Frühsommertag im vergangenen Jahr ans Mainufer — dorthin, wo sich das Panorama der Frankfurter Skyline voll entfaltet. Den Sonnenuntergang hinter den Hochhäusern betrachtend, spürte er eine leichte Brise mit Frischluft aus Nordost.
Dieser sanfte Wind ist wichtig für Frankfurts Klima, und Ratheisers Aufgabe ist es, zu erforschen, wie er zwischen immer neuen Bürotürmen auch weiter wehen kann. Der österreichische Meteorologe ist einer von vielen Experten, die am Hochhausentwicklungsplan der Stadt mitgearbeitet haben, der den Bau mehrerer Wolkenkratzer vorsieht.
Ratheiser, der in Wien als Co-CEO das Forschungs- und Ingenieurbüro Weatherpark leitet und auf Stadtklimatologie spezialisiert ist, hat während seiner Forschungsreise nach Frankfurt im letzten Sommer alle Standorte unter die Lupe genommen. «Einen Ort zu besuchen und ein Gefühl für ihn zu bekommen, ist bei jeder Windanalyse extrem wichtig», sagt er in einem Telefoninterview. Was er sah, fand seinen Weg in ein 3D-Modell der Frankfurter Innenstadt auf seinem Computerbildschirm. Dort kann er genau sehen, wie die neuen Gebäude Luftströmungsmuster verändern werden.
Frankfurt ist eine der wärmsten Städte Deutschlands. 2019 wurde eine Rekordtemperatur von 40,2 °C registriert, und jedes Jahr zeigen die Thermometer über lange Zeit weit über 30 °C an. In diesen Wochen, wenn die eng bebauten Viertel im Zentrum die Hitze des Tages aufnehmen und nach Sonnenuntergang wieder abgeben, ist es stickig in der Stadt. Nur wenige Wohngebäude verfügen über Klimaanlagen.
Drei Luftschneisen verschaffen Abhilfe
Drei Luftschneisen verschaffen Abhilfe. Keine von ihnen ist besonders stark ausgeprägt, aber alle tragen dazu bei, das Leben während heisser Sommertage und -nächte erträglich zu machen. Und weil eine weitere Erwärmung durch den Klimawandel praktisch unumgänglich ist, versucht die Stadt, hereinströmende, frische Luft bestmöglich zu nutzen.
Stadtplaner, Architekten und Wissenschaftler haben bereits vor einigen Jahren einen Klimaplanatlas erstellt, in dem nicht nur die heissesten Gebiete, sondern auch die «Luftleitbahnen«, die Abkühlung schaffen, verzeichnet sind. Dazu kommen andere Initiativen, um Temperaturen in Gebäuden und auf Strassen zu senken: Dachgärten und begrünte Fassaden werden immer beliebter und sind für neue Gebäude vorgeschrieben. Regelungen für gut isolierte Passivhäuser mit niedrigem Energieverbrauch gehören zu den strengsten in Europa. Die Stadt experimentiert mit offenporigen Strassenbelägen, Strassenbrunnen bieten Erfrischung und mehr als 200.000 Bäume spenden in der ganzen Stadt Schatten.
Doch die Anpassung an ein wärmeres Klima steht in Frankfurt noch am Anfang, und es bleibt viel zu tun, um sicherzustellen, dass Bewohner die Gefahren hoher Temperaturen auch wirklich ernst nehmen. Im Jahr 2023 starben in Deutschland etwa 3.200 Menschen an den Folgen von Hitze – eine Zahl, die mit der globalen Erderwärmung voraussichtlich weiter steigen wird.
»Der Klimawandel ist ein Experiment, das wir nicht in der Hand haben», sagt Ratheiser, der mit Städten in ganz Deutschland und Österreich zusammengearbeitet hat. «Ich mache mir nicht nur um das Stadtklima Sorgen, sondern auch darum, wie sich künftige Generationen anpassen werden.»
Proaktiver Hochhausentwicklungsplan
Frankfurts Hochhausentwicklungsplan, 2018 begonnen und Mitte Juni von der Stadtverordnetenversammlung genehmigt, ist eines der jüngsten Beispiele für den proaktiven Ansatz der Stadt. Er enthält ein ganzes Kapitel zur Klimaanalyse, in dem die «zentrale Bedeutung» von Wettersystemen für die Kühlung und Frischluftzufuhr in städtischen Gebieten hervorgehoben wird, insbesondere während sommerlicher Hitzewellen. Die grauen Stadtpläne mit den blauen — manchmal auch orangen — Windfahnen der neuen Wolkenkratzer im Bericht stammen von Ratheiser.
Sie zeigen, dass die stärksten und häufigsten Winde tagsüber mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 4,5 Metern pro Sekunde oder 16 Kilometern pro Stunde aus Süd-Südwest kommen. Wichtiger für die nächtliche Abkühlung der Stadt ist jedoch ein regionales Windsystem, das Frankfurt aus der Wetterau im Nordosten erreicht. Nach Sonnenuntergang kühlt sich die Luft dort schnell ab und strömt in die Stadt — eine willkommene Erfrischung, die genau dann ankommt, wenn der Beton die tagsüber aufgenommene Wärme abgibt. Mehrere lokale Schwachwindsysteme, die frische Luft aus dem nahen Taunus oder von unversiegelten Flächen im Osten Frankfurts bringen, sorgen für zusätzliche Abkühlung.
«Der Wetterauwind ist im Sommer unser grösster Rettungsanker, klimatisch gesehen», sagt Uwe Wahl, einer von Frankfurts Stadtplanern, der sich mit Ökologie und Landschaftsplanung beschäftigt. Er ist in der Regel ab 23 Uhr spürbar — manchmal auch schon früher — und trägt entscheidend dazu bei, die nächtlichen Temperaturen unter 20 Grad zu halten. Wird es wärmer, schläft der Mensch schlecht und die Produktivität leidet.
Im Bankenviertel, dem Herzen von Europas Wirtschafts- und Finanzwelt, tragen die Hochhäuser dazu bei, den Wind einzufangen und ihn nach links, rechts, oben und unten zu lenken. «Darum haben wir dann im Strassenraum eine viel höhere Winddynamik», sagt Wahl. «Und so ist das Bankenviertel klimatisch betrachtet noch das angenehmste Gebiet, wenn sich die Stadt im Hochsommer überhitzt.»
Die Wohnviertel profitieren auf andere Weise vom Wind. Die Luft strömt durch zwei natürliche Korridore: die Flüsse Main und Nidda, die fast einen Kreis um weite Teile der Stadt ziehen und viel Freifläche bieten. Ersterer ist ein Strömungskorridor für Winde, wie dem aus der Wetterau; letztere leitet kalte Luft von nahen Hängen in umliegende Stadtteile. Bahngleise zum Hauptbahnhof und zum Frankfurter Osthafen sowie eine relativ neue, 60 Meter breite Allee im Westen der Stadt dienen als zusätzliche Luftkorridore.
Stadtplanung kann Belüftung verbessern
Sie alle sind auf Klimakarten, die Lutz Katzschner, Forscher am Institut für Klima- und Energiekonzepte, vor etwa zehn Jahren für Frankfurt erstellt hat, zu sehen. Sie zeigen ausserdem, wie verschiedene Stadtteile Wärme speichern, und wie gute Stadtplanung die Belüftung verbessern kann.
«Die erste Empfehlung ist immer, diese Luftkorridore miteinander zu verbinden, und sie dann auch freizuhalten und keine weiteren Häuser in diese Korridore zu bauen», sagt er. Während Frankfurt mit einem Netz aus 45 Parks und etwa 350 Grünflächen im ersten Punkt gut dasteht, sieht es aufgrund des chronischen Wohnungsmangels beim zweiten deutlich schlechter aus.
Frankfurt braucht bis Ende des Jahrzehnts rund 68.000 neue Apartments. Ein im Nordwesten der Stadt geplantes Projekt, mit dem ein Zehntel des Bedarfs gedeckt werden soll, stösst auf Widerstand bei Anwohnern, auch, weil die derzeit landwirtschaftlich genutzten Flächen kalte Luft für die umliegenden Stadtteile schaffen.
«Das ist die grösste Herausforderung: eine Strategie zu entwickeln, um die Nachfrage nach Wohnraum zu befriedigen und neue Wohngebiete klimagerecht zu gestalten», so Katzschner.
Für die dichtbebautesten Stadtteile Frankfurts, darunter das (neo)mittelalterliche Zentrum, aber auch Wohngebiete jenseits des Anlagenrings wie das Nordend und das Westend, reicht es nicht aus, sich auf Wind zur Kühlung zu verlassen. Der Schwerpunkt dort liegt darauf, zu verhindern, dass sich diese Stadtteile überhaupt aufheizen.
Dächer und Fassaden werden begrünt
Seit Mai letzten Jahres ist gesetzlich vorgeschrieben, dass alle Neu- und Umbauten — sowie umliegende Freiflächen — klimaangepasst gestaltet werden müssen. Das bedeutet, dass Dächer und Fassaden begrünt, Versiegelung vermieden und Schattenplätze geschaffen werden müssen. Kiesgärten und Sichtschutzzäune sind nicht mehr erlaubt.
«Schottergärten sind in Frankfurt tabu — die heizen sich nur auf und Insekten fressen nun mal auch keine Steine», sagt Tina Zapf-Rodriguez, die neue Stadträtin für Klima, Umwelt und Frauen, die seit Mitte Juli im Amt ist. «Stattdessen gibt es Regeln zur Begrünung, zum Beispiel auch für Dächer. Begrünte Dächer sind nämlich nicht nur gut für’s Stadtklima. Sie helfen auch, Heizenergie zu sparen.»
Begrünte Fassaden sind in Frankfurt noch relativ selten. Einige, die es gibt, stehen in der Kritik, weil Pflanzen dort einfach in der Luft hängen und nicht in Erde verwurzelt sind. Doch begrünte Dächer sind auf dem Vormarsch.
Der Frankfurter Flughafen, einer der grössten in Europa, hat seit 1990 weit mehr als 40.000 Quadratmeter begrünt, während das Skyline Plaza, ein grosses Einkaufszentrum, während der Sommerferien zum Campen auf seinem Dachgarten einlädt – inklusive Grillen, Lagerfeuer und Gitarrenmusik.
Stefan Rieger entwirft, pflanzt und pflegt seit 25 Jahren Gärten im Frankfurter Raum und sieht die Nachfrage nach Grünflächen auf Gebäuden steigen. Jedes vierte seiner Projekte ist mittlerweile eine Dachbegrünung.
Besonders stolz ist er auf einen 250 Quadratmeter grossen Garten hoch oben, den er für eine vierköpfige Familie im Süden Frankfurts geschaffen hat. Er wurde von der Stadt mit 50.000 Euro bezuschusst, gewann einen Wettbewerb und wurde in einer Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum gezeigt.
«Die Bauherren hatten keine Vision», sagt er bei einem seiner regelmässigen Besuche des Dachgartens, der einen freien Blick auf die Skyline bietet. «Aber die neuen Eigentümer und ich haben sofort gross gedacht».
Wurzeln auf Gitterkäfigen
Anstelle von etwas Gras spenden nun drei Ahorn- und zwei Felsenbirnenbäume Schatten und machen den Ort an heissen Sommertagen nutzbar. Ihre Wurzeln sind auf Gitterkäfige geschnallt und reichen etwa 60 Zentimeter in den Boden. Blitzableiter sorgen dafür, dass sie bei den vielen Gewittern, die regelmässig über Frankfurt ziehen, nicht getroffen werden.
Himbeer-, Brombeer- und Johannisbeersträucher bedecken die weissen Wände, die den Garten im dritten Stock eines Wohnblocks umgeben. Ein Holzsteg schlängelt sich durch eine Rasenfläche und Dutzende von Stauden, Sträuchern und Geophyten. Von einer Terrasse, auf der eine Wasserkaskade den Lärm der nahen Bahngleise übertönt, führt er zu einer Sitzecke ganz hinten.
Eine der grössten Herausforderungen ist die richtige Bewässerung. «Ein Dachgarten ist im Grunde ein grosser Kübel», so Rieger. «Anders als auf dem Boden kann eine Pflanze nicht einfach ihre Wurzeln ausstrecken, wenn das Wasser an einer Stelle knapp ist. Ein leerer Kübel ist ein leerer Kübel.»
Auch darum haben grüne Dächer und Fassaden ihre Kritiker. Sowohl das Anbringen von Pflanzenmatten an Häuserwänden als auch das Pflanzen von Bäumen hoch in der Luft sei «unnatürlich», sagt Christoph Mäckler, ein Frankfurter Architekt. «Wir dürfen nicht glauben, dass die Technik all unsere Probleme lösen kann.»
Kalkstein statt Glas
Sein 2009 fertiggestellter Opernturm – Sitz der UBS direkt gegenüber der Alten Oper - spart Energie, weil ein Drittel der Fassade aus Kalkstein statt aus Glas besteht. Das verringert die Wärmeaufnahme und den Bedarf an technischer Kühlung.
«Was die Stadt wirklich braucht, ist mehr Schatten», sagt er, und sie sollte sich von südeuropäischen Städten wie Rom oder Madrid inspirieren lassen. (Frankfurt ist schon jetzt grüner als Paris, London oder New York.)
Vor zwei Jahren sammelte Mäckler bei einer Spendenaktion 30.000 Euro, um Bäume zu pflanzen. Kürzlich gab er das Geld an seine Spender zurück, weil die Stadt ihm nicht sagen konnte, wo.
«Bäume kann man nie genug pflanzen», sagt auch Frankfurts Stadtplaner Wahl. «Aber es gilt auch viele Hindernisse zu berücksichtigen». Stromleitungen und Kabel, zum Beispiel, die unter den Strassen verlaufen. «Es klingt immer so einfach: Nehmt doch da den Parkplatz weg und pflanzt einen Baum», erklärt er. «Aber die Schwierigkeiten, die man dabei hat, die sind schon nicht ganz ohne.»
(Bloomberg)