cash.ch: Herr Weigert, Sie haben einen Algorithmus zur Selektion aktiver Aktienfonds entwickelt. Was genau kann und soll dieser?
Florian Weigert: Unser Ziel ist es, Investoren, ob privat oder institutionell, dabei zu helfen, aktive Fonds auszuwählen, die den Markt in der Risiko-adjustierten Rendite übertreffen. Das ist eine Herausforderung, da etwa 70 bis 80 Prozent der aktiven Fonds den Referenzindex oder entsprechende passive Fonds nicht schlagen. Unser Ansatz ist datengesteuert und verwendet Machine Learning, um Fonds zu identifizieren, die historisch und zukünftig eine bessere Performance aufweisen.
Wie gehen Sie vor?
Wir analysieren derzeit 19 quantitative Variablen bezogen auf Fonds- und Fondsmanagereigenschaften welche wir mit Machine Learning zu einer optimalen Renditevorhersage kombinieren. Zu den Merkmalen gehören die Fondsgrösse (Assets under Management), erhaltene Mittelzuflüsse, Kosten, die Abweichung von der Benchmark sowie die Erfahrung und Diversität des Manager-Teams. Zusätzlich sehen wir uns auch Fonds-Firmencharakteristika wie beispielsweise deren Corporate Governance an. Machine Learning Algorithmen helfen uns dann dabei, Fonds zu finden, die den durchschnittlichen aktiven Fonds um etwa 2 Prozentpunkte und den passiven Fonds um bis zu 1,5 Prozentpunkte pro Jahr übertreffen. Dies stellt eine vielversprechende Anlagestrategie für Investoren dar.
Wie genau sind Ihre Modelle? Wir reden doch von Wahrscheinlichkeiten, oder?
Unsere Modelle basieren auf historischen Daten. Zum Beispiel sagte unser Model für das Jahr 1999 voraus, dass Fonds mit niedrigen Kosten, erfahrenen Managern sowie diversen Manager-Teams die besten Chancen auf Outperformance hätten. Wir haben dann in diesem Jahr in die besten 10 Prozent dieser Fonds mit den genannten Eigenschaften investiert und festgestellt, dass unsere Strategie auch langfristig eine Outperformance zeigt. Statt eine feste Wahrscheinlichkeit anzugeben, zeigen wir, dass die Outperformance zu einem statistischen Signifikanzniveau von 1 bis 5 Prozent gegeben ist.
Wie gewährleisten Sie qualitativ hochwertige Daten, besonders bei personenbezogenen Eigenschaften der Fondsmanager?
Das ist in der Tat sehr wichtig und zeitaufwendig. Unsere Daten stammen aus verschiedenen Quellen, darunter die Morningstar-Datenbank, die historische Fondscharakteristika, Performance-Masszahlen und Manager-Daten auflistet. Diese ergänzen wir durch manuelle Recherchen, wie beispielsweise Berichte von Investmentgesellschaften. Wir analysieren die Erfahrung und Zusammensetzung des Management-Teams. Eine grosse Menge an qualitativ hochwertigen Daten ist entscheidend für die Optimierung unseres Algorithmus, denn schlechte Daten führen zu schlechten Ergebnissen.
Das ist vermutlich besonders schwierig, wenn Fonds beispielsweise erst seit sechs Jahren existieren und entsprechende Gewichtungen berücksichtigt werden müssen.
Genau. Unsere Modelle berücksichtigen, dass ständige Anpassungen notwendig sind. Wir bleiben nicht immer in den gleichen Fonds investiert. Nach zwei oder drei Jahren kann unser Algorithmus signalisieren, dass es Zeit ist, umzuschichten, wenn sich die Fondsbedingungen ändern.
Was sind aktuell die Hauptmerkmale der besten Fonds?
Ohne spezifische Namen zu nennen, existieren bestimmte Merkmale erfolgreicher Fonds. Diese umfassen eine niedrige Kostenquote und eine signifikante Abweichung von der Benchmark. Fondsmanager sollten in einzelne Aktien übergewichten und diese langfristig halten. Zusätzlich spielt die Erfahrung des Managers eine wichtige Rolle. Diversität im Team hat ebenfalls positive Auswirkungen, vor allem auf das Risiko. Fonds, die von diversen Teams gemanagt werden, zeigen oft geringeres Risiko und bessere risikoadjustierte Performance als Fonds, die nur von einer Person geleitet werden.
Warum sind divers zusammengesetzte Teams erfolgreicher?
Gemischte Teams neigen dazu, verschiedene Meinungen und Diskussionen zu fördern, was zu ausgeglicheneren Investmententscheidungen führt. Ein einzelner Manager kann dagegen zu extremen Stilen neigen, die die Performance negativ beeinflussen.
Sie arbeiten mit künstlicher Intelligenz, insbesondere Machine Learning. Können Sie erklären, warum das für Ihre Berechnungen so wichtig ist?
Machine Learning ist ein Teilbereich der künstlichen Intelligenz und zielt darauf ab, aus historischen Daten zu lernen, um zukünftige Performance vorherzusagen. Wir verwenden hierfür verschiedene Techniken wie Gradient Boosting, Random Forest und neuronale Netzwerke. Diese Modelle sind besonders wertvoll, da sie Nichtlinearitäten und Interaktionen zwischen Variablen erkennen können, was einfache lineare Modelle nicht leisten. Zum Beispiel kann ein Fonds mit niedriger Kostenquote und einem erfahrenen Management-Team besonders erfolgversprechend sein. Diese Algorithmen helfen uns, solche vielversprechenden Kombinationen zu identifizieren und führen zu besseren Investmentstrategien.
Beim Investieren ist auch die Psychologie von Bedeutung. Welche sind die grössten Fallstricke für Anleger im Bereich Verhaltensökonomie?
Ein wichtiger Punkt ist die sogenannte Overconfidence. Häufig führen Glückstreffer in der Vergangenheit dazu, dass Anleger ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen und glauben, den Markt schlagen zu können. Dies führt oft zu übermässigem Handeln, was hohe Handelskosten verursacht und die Anlage-Performance erheblich schwächt. Ein weiterer Fallstrick ist der Anchoring-Bias, bei dem Anleger zu stark an ihren anfänglichen Informationen hängen. Experimente zeigen, dass zufällige Zahlen bei der Bewertung von Aktienkursen eine grosse Rolle spielen können, obwohl diese Zahlen in keinem Zusammenhang zur Aktienbewertung stehen. Ausserdem ist der Disposition-Effekt wichtig: Anleger neigen dazu, schlecht laufende Aktien zu lange zu halten und gut laufende zu früh zu verkaufen, was die Performance negativ beeinflusst. Diese Verhaltensweisen zeigen, wie psychologische Faktoren die Investmententscheidung und somit die Rendite beeinträchtigen können.
Inwiefern spielt die Herkunft in der Verhaltensökonomie eine Rolle?
Der sogenannte Home-Bias ist ein wichtiger Aspekt, bei dem Anleger bevorzugt in Unternehmen aus ihrer Heimatregion investieren. Interessanterweise zeigt sich dieser Bias auch bei Fondsmanagern, deren Familien vor 200 bis 300 Jahren in die USA ausgewandert sind. US-Fondsmanager mit deutschen oder Schweizer Wurzeln neigen immer noch dazu, stark in Aktien ihrer Herkunftsländer zu investieren.
Was ist das Problem dabei?
Das Problem kann dann die mangelnde Diversifikation des Portfolios sein. Wenn ein lokaler ökonomischer Schock auftritt, kann dies erhebliche Verluste verursachen. Eine globale Streuung der Investitionen könnte solche Risiken ausgleichen. Während einige Jahre eine reine Schweizer Aktien-Performance besser als der Weltmarkt sein mag, zeigt sich auf langfristige Sicht, dass Diversifikation über verschiedene Industrien, Länder und Assetklassen die besten Ergebnisse liefert. Für Privatanleger, die für die Altersvorsorge investieren, ist eine breite Streuung besonders wichtig.
Auch die Klimathematik rückt beim Investieren zunehmend in den Vordergrund: Was müssen Anleger hier wissen und verstehen?
Der Klimawandel hat in den letzten Jahren zu mehr extremen Wetterereignissen wie Stürmen und Überschwemmungen geführt. Wir untersuchen, ob Aktien, die stark von Naturkatastrophen betroffen sind, eine zusätzliche Risikoprämie aufweisen. Denn es entspricht der Finanzmarkttheorie, dass höheres Risiko mit höheren Renditen kompensiert wird. Und unsere Analysen zeigen, dass seit 1995 eine zunehmende Risikoprämie für Naturrisiken im Finanzmarkt eingepreist wird.
Welche Rolle spielen Zukunftsprognosen in diesem Kontext?
Zukunftsprognosen sind entscheidend, da der Trend zu extremeren Wetterereignissen die Klimaprämie weiter erhöhen dürfte. Wir sehen, zum Beispiel, dass die Kapitalkosten für Aktien, welche von extremen Wetterrisiken betroffen sind, seit 1995 substantiell gestiegen sind.Angesichts der zunehmenden Extremwetterereignisse müssen Anleger entsprechend kompensiert werden, was wir auch für die Zukunft erwarten.
Wenn wir das auf die Sektorenebene herunterbrechen, sprechen Sie vermutlich vor allem Nahrungsmittelproduzenten an?
Das ist richtig. Zusätzlich sehen wir starke Betroffenheit bei Versorgern, im Bergbau, bei Transportunternehmen,im Manufacturing sowie im Bausektor. Beispielsweise konnten einige Fluggesellschaften durch extreme Wetterereignisse nicht fliegen, was zu erheblichen Verlusten führte..
Sie haben eine umfassende Perspektive auf die Finanzmärkte. Wie beurteilen Sie die aktuelle Marktlage und worauf sollten Anleger achten?
Wir befinden uns in einer Zeit, in der vielfältige Risiken bestehen. Aktuell sehen wir grosse politische Instabilität und Unsicherheit, beispielsweise durch die bevorstehenden US-Wahlen. Auch geopolitische Konflikte wie der Krieg zwischen Russland und der Ukraine tragen zur Unsicherheit bei. Die Weltwirtschaft erscheint derzeit sehr fragil.
Wie sollen sich Anleger in diesem Umfeld verhalten?
Ich würde nicht empfehlen, sich gänzlich aus dem Aktienmarkt zurückzuziehen, da das Timing des Wiedereinstiegs schwierig ist. Oft verpasst man die besten Tage im Aktienmarkt.
Man sagt oft, politische Börsen hätten kurze Beine. Stimmt das aus Ihrer Sicht?
Teilweise. Politische Ereignisse können kurzfristige Marktbewegungen verursachen, jedoch haben Entscheidungen wie die US-Präsidentschaftswahl langfristige Auswirkungen. Wie globale Krisen gelöst werden, spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle für die langfristige Marktentwicklung.
Florian Weigert (1981) ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler und ordentlicher Professor für Finanzrisikomanagement an der Universität Neuenburg in der Schweiz. Weigert studierte Wirtschaftsmathematik an der Universität Erlangen-Nürnberg und promovierte 2013 im Fachgebiet Finanzen an der Universität Mannheim mit der Auszeichnung «summa cum laude». Anschliessend war er Assistenzprofessor an der School of Finance der Universität St. Gallen und habilitierte sich dort im Jahr 2020. Seit Februar 2020 ist er Lehrstuhlinhaber für Finanzrisikomanagement an der Universität Neuenburg und Direktor des Master of Science in Finance Programms. Im Zeitraum von 2011 bis 2019 war Weigert Gastwissenschaftler an der New York University, der Georgetown University, der University of Texas at Austin und der Georgia State University.
Weigerts Forschungsgebiete umfassen die empirische Aktienbewertung, Investmentfonds, Hedgefonds, alternative Investments, Behavioral Finance und Risikomanagement. Seine Forschungsergebnisse wurden auf internationalen Forschungskonferenzen wie der American Finance Association, der European Finance Association und der Financial Intermediation Research Society präsentiert und in führenden akademischen Finanzzeitschriften wie dem Journal of Financial Economics, dem Journal of Financial & Quantitative Analysis, der Review of Finance und der Review of Financial Studies veröffentlicht. Seine Arbeiten wurden mehrfach mit «Best Paper Awards» und Exzellenzprämien ausgezeichnet.
2 Kommentare
Ohje.... "[..] da etwa 70 bis 80 Prozent der aktiven Fonds den Referenzindex oder entsprechende passive Fonds nicht schlagen." Mit anderen Worten: Die, die die Ausbildung zum Management von Fonds haben, oft auch viel Erfahrung an den Märkten, denen professionelle Informationen, Methoden und Tools zur Verfügung stehen, schaffen es nur zu 20-30%, besser zu sein, als der Markt. Das heisst also, die Wahrscheinlichkeit, den Markt zu schlagen ist selbst für Profis bei 75:25 also 3:1. Müsste da die Schlussfolgerung nicht sein, nicht gegen den Markt sondern mit dem Markt zu investieren?
Wie recht Sie haben! Also: Nur noch ETF-Indexfonds kaufen. Dann wedelt der Schwanz mit dem Hund.