Vor dem Hintergrund des eskalierenden Handelskonflikts stehen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) die Zeichen auf Zinssenkung. Seit März seien Abwärtsrisiken erkennbar, die für eine Lockerung bei der Sitzung des EZB-Rats in der nächsten Woche sprächen, sagte der finnische Notenbankchef Olli Rehn am Mittwoch.

Aufgrund der Gesamtbewertung von Inflation und Wachstum seien die Argumente für eine Zinssenkung deutlich stärker geworden. Die EZB macht sich bereits auf grössere konjunkturelle Probleme durch den von US-Präsident Donald Trump heraufbeschworenen Handelskrieg gefasst, der das Wirtschaftswachstum zum Erliegen bringen könnte.

Aus Sicht von EZB-Ratsmitglied Klaas Knot drohen langfristig gravierende Folgen für die Wirtschaft: «Im Laufe der Zeit müssen wir uns mit der Tatsache abfinden, dass ein Handelskrieg einen negativen Angebotsschock darstellt. Es ist ein stagflationärer Schock», warnte der niederländische Notenbankchef in Amsterdam. Mit Stagflation ist ein ungünstiges Konjunkturszenario gemeint, bei dem kräftig steigende Preise mit einer auf der Stelle tretenden Wirtschaft einhergehen.

Der Schaden für die Konjunktur der Euro-Zone durch die US-Handelszölle dürfte deutlich grösser ausfallen als ursprünglich von der Europäischen Zentralbank veranschlagt.

Prognose vom März von schon Makulatur

Die EZB prognostizierte noch vorigen Monat, dass ein Handelskrieg das Wirtschaftswachstum der Euro-Zone im ersten Jahr um 0,5 Prozentpunkte schmälern und im Falle von Vergeltungsmassnahmen der EU ähnliche, wenn auch vorübergehende, Auswirkungen auf die Preise haben würde. Dies dürfte laut Insidern mit den jüngsten Entwicklungen und der sich immer schneller drehenden Zollspirale nun Makulatur sein.

Man sei sich weitgehend einig, dass die Schätzung von 0,5 Prozentpunkten derzeit zu niedrig angesiedelt sei, hiess es dazu. Ein Kenner der Materie sagte hinter vorgehaltener Hand, die Auswirkungen könnten auch aufgrund der zunehmenden Unsicherheit und des Vertrauensverlusts über einem Prozentpunkt liegen. Dies würde das gesamte Wirtschaftswachstum zunichtemachen, da für den Euroraum in diesem Jahr nur ein Wachstum von etwa einem Prozent erwartet wird.

Bundesbankchef Joachim Nagel hat jüngst betont, die US-Regierung habe mit ihren Zollentscheidungen der Wirtschaft einen schweren Schlag versetzt. Die globalen Wachstumsperspektiven hätten sich massiv verschlechtert. Dabei sei die EZB zugleich auf «einem sehr guten Weg», ihr Inflationsziel von zwei Prozent in diesem Jahr zu erreichen. Mit Blick auf den nächsten Zinsentscheid hielt er sich jedoch bedeckt. Am Finanzmarkt wird damit gerechnet, dass die EZB den Einlagezins am 17. April von derzeit 2,50 Prozent um einen Viertelpunkt nach unten setzen wird. Es wäre der siebte Schritt nach unten, seit die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde Mitte 2024 im Zuge einer nachlassenden Inflation einen Lockerungskurs eingeschlagen hatten.

(Reuters)