Die Europäische Zentralbank (EZB) hält von der Sommerpause die Füsse still und lässt die Zinsen unverändert. Die Währungshüter um Notenbank-Präsidentin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag auf ihrer Sitzung in Frankfurt, den Leitzins bei 4,25 Prozent zu belassen. Der am Finanzmarkt massgebliche Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder bei der Notenbank erhalten, bleibt bei 3,75 Prozent. Die EZB hatte im Juni die Zinswende vollzogen und erstmals seit 2019 die Zinsschraube gelockert.

Jörg Krämer, Chefökonom Commerzbank:

«Die EZB trägt die Datenabhängigkeit ihrer Geldpolitik wie eine Monstranz vor sich her. Aber der von Tauben dominierte EZB-Rat dürfte seine Leitzinsen bereits auf der nächsten Sitzung im September weiter senken, sofern es die Inflationsdaten halbwegs hergeben. Weitere Zinsschritte sollten im Dezember und im März nächsten Jahren folgen. Diese Zinswende ist jedoch verfrüht, weil das Inflationsproblem noch nicht gelöst ist.»

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer Versichererverband:

«Wir sind seit der letzten Zinsentscheidung auf dem Pfad der Inflationsbekämpfung nur ein wenig vorangekommen. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass die EZB heute die Zinsen konstant gehalten hat und die weitere wirtschaftliche Entwicklung für mögliche Zinsschritte abwartet. Im Laufe des Jahres könnten wir durch Basiseffekte, beispielsweise im Energiebereich, gelegentlich wieder leicht höhere Inflationszahlen sehen. Dieser Effekt sollte die EZB aber nicht vom Zinssenkungspfad ablenken. Das grosse Fragezeichen bleibt der Dienstleistungssektor, in dem die Inflation weiter zu hoch ist und Lohnsteigerungen das Potenzial für weiteren Preisauftrieb bieten. Hier bleibt zu erwarten, ob die Unternehmen steigende Lohnkosten selbst übernehmen oder auf die Verbraucher abwälzen.»

Valentino Guggi, Ökonom Migrosbank:

«Die EZB muss im aktuellen Umfeld die Geschwindigkeit der Lockerung ihrer Geldpolitik gut abwägen. Einerseits würde eine zu schnelle Senkung der Leitzinsen einen Preisdruck sowohl durch die Zunahme der Kreditnachfrage als auch durch die relative Verteuerung der Importe bewirken. Andererseits kann sich die EZB ein zu langes Zögern nicht leisten. Das hohe Leitzinsniveau belastet die noch schleppende Konjunkturerholung und setzt die öffentlichen Finanzen einiger hochverschuldeter Mitgliedsstaaten der Währungsunion unter Druck. So wird die EZB unserer Meinung nach eine Kompromisslösung bevorzugen und ab September die Leitzinsen quartalsweise um 25 Basispunkte senken.»

(cash/Reuters)