Die US-Wirtschaft zeige weder Zeichen der Schwäche noch sei sie am Überhitzen, sagte Jerome Powell, Chef der amerikanischen Notenbank Fed an der Medienkonferenz vom Mittwochabend. Er stützte seine Aussage auf Daten zum Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr und zur inländischen Endnachfrage.

Nicht einverstanden mit dieser Einschätzung ist Otavio Costa, Stratege des Vermögensverwalters Crescat Capital. «Ich könnte nicht mehr widersprechen», sagt er zu Powells Aussage. Costa sieht sogar deutliche Zeichen einer Rezession. Er verweist insbesondere auf die inverse Zinsstrukturkurve, also auf den Umstand, dass die langfristigen Zinsen tiefer sind als die kurzfristigen. Historisch betrachtet ist dies ein Hinweis auf eine Rezession.

Auch andere Daten deuten auf wirtschaftlich schwierigere Zeiten hin: So sind am amerikanischen Arbeitsmarkt im Juli weniger Stellen geschaffen worden als gedacht. Der Einkaufsmanagerindex für die US-Industrie ist im Juli auf 46,8 Punkte von 48,5 Zählern im Juni gesunken. Die Wachstumsschwelle liegt bei 50 Zählern. Folglich dürften die Sorgen vor einer konjunkturellen Delle in der Industrie grösser werden.

In der Eurozone bereitet die deutsche Wirtschaft Sorgen, sie ist im zweiten Quartal geschrumpft. Und in China schwächelt der Privatkonsum, während die Krise des Immobiliensektors anhält. Insgesamt seien die Aussichten für die chinesische Wirtschaft «nicht rosig», schreibt Belvédère Asset Management in einem Kommentar vom Freitag. Hinzu komme der US-Wahlkampf. Er dürfte in den nächsten Wochen weiter Fahrt aufnehmen und mehr Volatilität an den Märkten bewirken.

In den letzten Wochen zeigte sich zudem, dass der Boom um Künstliche Intelligenz Grenzen hat. Anleger hielten sich bei den grossen Technologietiteln wie Nvidia zurück, Nebenwerte gewannen.

«Bewertungstechnisch ist Nestlé so günstig wie seit über zehn Jahren nicht mehr»

Für grosse Tech-Werte werde das Umfeld in den nächsten Monaten schwierig bleiben, heisst es im Belvédère-Papier. «Der defensive Schweizer Markt dürfte hingegen profitieren.» Eine bessere Entwicklung als der Markt erwartet der Vermögensverwalter für Alcon, GalenicaSwisscomTecan sowie die Immobilienwerte SPS und PSP.

Eine besondere Note gilt dem Lebensmittelkonzern Nestlé, dessen Aktien in den vergangenen zweieinhalb Jahren von 130 auf unter 90 Franken gefallen sind. «Bewertungstechnisch ist Nestlé so günstig wie seit über zehn Jahren nicht mehr», schreibt Giorgio Saraco, Leiter Asset Management von Belvédère Asset Management. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Nestlé-Papiers liegt zurzeit bei 17,4 und damit so tief wie seit Ende 2013 nicht mehr. Es sei daher «gut möglich, dass die grösste Nahrungsmittelfirma mit ihrer weltweiten Präsenz und dem über Jahre ausgezeichneten Leistungsausweis bald wieder in die Gunst der Anleger zurückkehrt.»

Auch am Markt ist in Bezug auf Nestlé die Auffassung «Genug ist genug» aufgekommen. Man ist sich zwar der schwachen Performance der jüngeren Vergangenheit und auch des gesenkten Ausblicks für das laufende Jahr bewusst. Es gibt jedoch auch Stimmen, die den jüngsten Ausverkauf hinterfragen. Der zuständige Analyst der DZ Bank sieht Nestlé zwar in einem schwierigen Konsumumfeld, das Unternehmen müsse seine Preisgestaltung an die Konkurrenz anpassen. Dennoch ist er zuversichtlich, dass das Unternehmen seine leicht reduzierten Ziele für das Jahr 2024 erreichen wird. Der Experte hat das Kursziel von 110 auf 105 Franken reduziert, womit ein Aufwärtspotenzial gegenüber dem aktuellen Kurs von rund 16 Prozent bleibt. Zudem spricht die DZ Bank eine Kaufempfehlung aus.

Der Analyst der Investmentbank Jefferies gehört in Bezug auf Nestlé zu den pessimistischten Experten. Mitte Woche hat er aber einen Silberstreifen an den Horizont gemalt. Er hat das Kursziel von 86 auf 87 Franken angehoben und den Titel von «Underperform» auf «Hold» hochgestuft. Nach dem bisher schwachen Kursverlauf im Jahr 2024 sieht der Jefferies-Experte kaum noch Korrekturrisiken. Indes deutet das nach wie vor vergleichsweise tiefe Kursziel an: Grosse Kursgewinnen und schnelles Geld können Anleger kaum erwarten.

Reto Zanettin
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