Experten bezweifeln allerdings, dass die heimische Wirtschaft damit ihren technologischen Rückstand zu den USA und China aufholen kann. «Selbst wenn wir grosse Rechenzentren in Europa bauen würden, und selbst wenn wir ein Modell auf dieser Infrastruktur trainieren würden, was machen wir dann damit, wenn es fertig ist?», fragt Experte Bertin Martens von der Denkfabrik Bruegel.
Es ist das typische Henne-und-Ei-Problem: Auf der einen Seite könnten diese «KI-Gigafabriken» Firmen wie Mistral aus Frankreich oder Aleph Alpha aus Deutschland dabei helfen, KI-Modelle zu entwickeln, die den im Vergleich zu den USA und China hohen europäischen Sicherheits- und Datenschutz-Standards genügen. Gleichzeitig macht die Abwesenheit grosser und finanzkräftiger Cloud-Anbieter wie Amazon Web Services (AWS) oder Google sowie weltweit erfolgreicher KI-Anbieter wie OpenAI den Bau eigener europäischer Rechenzentren zu einem riskanten Unterfangen.
Draghi-Bericht und «Stargate»-Projekt
Der geplante Ausbau der KI-Infrastruktur ist eine Reaktion auf den Bericht des früheren Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union (EU). Darin hatte er zusätzliche jährliche Investitionen von bis zu 800 Millionen Euro gefordert. Die Pläne sind aber auch eine Antwort auf das Projekt «Stargate», in dessen Rahmen die USA 500 Milliarden Dollar in den Aufbau neuer KI-Rechenzentren pumpen wollen.
Auf dem jüngsten KI-Gipfel in Paris hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, 200 Milliarden Euro für die Entwicklung dieser Technologie mobilisieren zu wollen. Sie beschrieb die Initiative als «öffentlich-private Partnerschaft, die alle unsere Wissenschaftler und Unternehmen - nicht nur die grössten - in die Lage versetzen wird, die fortschrittlichsten sehr grossen Modelle zu entwickeln, die nötig sind, um Europa zu einem KI-Kontinent zu machen.»
Von der Leyen zufolge würden in «KI-Gigafabriken» Rechner mit insgesamt 100.000 der modernsten Hochleistungsprozessoren stehen. Das wären mehr als viermal so viele Chips wie beim bislang grössten europäischen Supercomputer «Jupiter», der aktuell am Forschungszentrum Jülich entsteht. Allein für die KI-Chips würden mehrere Milliarden fällig, da sie pro Stück mehrere Zehntausend Dollar kosten. Im Vergleich zu den USA sind dies allerdings «Peanuts»: So will allein die Facebook-Mutter Meta ein Rechenzentrum mit 1,3 Millionen KI-Prozessoren bauen.
Hürden auf dem Weg zu den «KI-Gigafabriken»
Hüben wie drüben stünden die Betreiber von Rechenzentren jedoch vor denselben beiden Hauptproblemen, betont Experte Kevin Restivo von der auf diese Branche spezialisierten Beratungsfirma CBRE. Das seien die Verfügbarkeit von KI-Chips in ausreichender Menge und der enorme Energiebedarf der Server. In den USA beschert Letzteres der Atomkraft eine Renaissance.
KI-Experte Martens von der Denkfabrik Bruegel hält prinzipiell nichts von der Finanzierung von Rechenzentren mit öffentlichen Mitteln. «Die Lebenserwartung solcher Fabriken beträgt etwa eineinhalb Jahre.» Danach seien die Prozessoren technisch überholt und müssten gegen neuere Modelle ausgetauscht werden.
Ohnehin stellt sich seit dem Siegeszug von DeepSeek die Frage, ob Europa, statt Milliarden in den Ausbau der Infrastruktur zu pumpen, das Geld lieber in die Entwicklung von Software stecken sollte. Die KI des gleichnamigen chinesischen Startups begnügt sich bei vergleichbarer Leistung mit weniger Rechenpower als westliche Konkurrenten.
(Reuters)