Vor gut einem Jahr herrschte Goldgräberstimmung in der Halbleiterbranche: Beinahe täglich wurden milliardenschwere Pläne für den Bau neuer Chip-Werke angekündigt. Dank der Aussicht auf üppige Staatshilfen konnte sich auch Deutschland ein Stück von diesem Kuchen abschneiden. Nach der ersten Euphorie über die neuen Produktionsstätten in Dresden, Magdeburg und im Saarland ist Ernüchterung eingekehrt.

Vor allem das knapp drei Milliarden Euro schwere Projekt des US-Konzerns Wolfspeed kommt wohl deutlich später als gedacht. Die Bauarbeiten werden dem Unternehmen zufolge wohl frühestens Mitte 2025 starten. «Wir arbeiten weiterhin mit unseren Partnern - der Bundesregierung, der saarländischen Regierung und ZF - daran, die Finanzierung zum Bau des Werkes zu sichern.»

Aktuell habe aber der Ausbau des Werks Mohawk Valley im US-Bundesstaat New York Priorität. Der Spezialist für Leistungshalbleiter leidet unter einem schwächelnden Markt für Elektroautos. Aus diesem Grund hat die Wolfspeed-Aktie in den vergangenen zwölf Monaten rund die Hälfte ihres Wertes eingebüsst.

Mit neuen Fabriken zu mehr technologischer Autonomie

Um die Abhängigkeit von asiatischen Chip-Lieferungen zu reduzieren, hat die Europäische Union (EU) den «Chips Act» verabschiedet. Dieser soll 43 Milliarden Euro zum Bau neuer Halbleiterwerke mobilisieren, um den Weltmarktanteil in Europa produzierter Chips bis 2030 auf 20 Prozent zu verdoppeln.

Dieses Ziel sei unrealistisch, kritisiert Jan-Peter Kleinhans, Branchenexperte der Denkfabrik Interface, die zuvor Stiftung neue Verantwortung hiess. Gleiches gelte für die angestrebte Absicherung gegen Lieferausfälle bei einer geopolitischen Krise um den weltweit wichtigsten Chip-Exporteur Taiwan. Dafür sei die Halbleiterbranche weltweit viel zu stark vernetzt.

«Wenn man aber weiss, wie das europäische Beihilferecht und die nationalen Haushalte funktionieren, muss man beeindruckt sein von der schieren Menge der Ankündigungen, die gemacht wurden», sagt Kleinhans. «Selbst wenn einige von ihnen nie das Licht der Welt erblicken werden.»

Neben Wolfspeed haben noch weitere Firmen die Gunst der Stunde genutzt: Der US-Konzern Intel will in Magdeburg eine «Megafab» errichten. TSMC hat sich für Dresden als Standort entschieden. Der weltgrösste Chip-Auftragsfertiger arbeitet dabei unter anderem mit Infineon zusammen.

Der in Neubiberg bei München ansässige Konzern erweitert unabhängig davon sein dortiges Werk für die Rekordsumme von fünf Milliarden Euro. Dieses Projekt ist bereits weit fortgeschritten, weil Infineon nicht auf die Genehmigung von Staatshilfen gewartet hat. Einem Sprecher zufolge werden die Arbeiten voraussichtlich wie erwartet 2026 abgeschlossen.

Von Haushaltslöchern und Zauneidechsen

Die im Rahmen des «Chips Act» angepeilte «Mobilisierung» von Hilfen bedeutet, dass die einzelnen Staaten das Geld aufbringen müssen. Es darf aber nur ausgezahlt werden, wenn die EU hierfür grünes Licht gibt. Dadurch ziehen sich die Genehmigungsverfahren in die Länge. In Deutschland kommt hinzu, dass nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zum Klimafonds ein 60 Milliarden Euro grosses Loch im Bundeshaushalt klafft.

Der Bund hat allerdings mehrfach betont, dass die Hilfen für die Chip-Fabriken nicht in Frage stünden. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hatte bei einer Veranstaltung im vergangenen Monat betont, sie sei «absolut sicher», dass die beantragten Genehmigungen bald erteilt würden. Unklar sei allerdings, ob dies noch vor der Konstituierung der neuen EU-Kommission geschehen werde.

Beim grössten europäischen Chip-Projekt, dem insgesamt 30 Milliarden Euro schweren Intel-Werk in Magdeburg, sollen die Vorarbeiten im Laufe des Jahres beginnen. Zuvor gilt es aber noch, 80.000 Lkw-Ladungen Mutterboden vom künftigen Werksgelände abzutransportieren. Deutschen Umweltgesetzen zufolge muss dieser an Landwirte verteilt werden. TSMC will mit den Bauarbeiten in Dresden im vierten Quartal 2024 beginnen und sie 2027 abschliessen. In diesem Rahmen habe der taiwanische Konzern sogar «Zauneidechsen umgesiedelt, um das Wohlergehen dieser einheimischen Reptilien zu gewährleisten».

(Reuters)