Während sich jeder andere Sektorindex seit den März-Tiefs erholt hat, finden die Banken immer neue Tiefststände. Obwohl sie auf dem niedrigsten Niveau aller Zeiten notieren und Geldinstitute von Bank of America bis hin zu Oddo BHF Kaufempfehlungen abgegeben haben, stossen die Bankaktien auf wenig Interesse bei den Anlegern. Nachdem der Markt wieder vorsichtig wird, hat sich der Fokus auf die hohe Risikovorsorge der Branche, die düsteren Gewinnaussichten und den möglichen langfristigen Schaden durch das Virus verlagert.

Der Euro Stoxx Banks Index, eine Messgrösse für Bankaktien im Euroraum, fiel letzte Woche auf ein Allzeittief. Der breitere Stoxx 600 Bank Index, zu dem auch eine Reihe von britischen, schweizerischen, skandinavischen und polnischen Kreditinstituten gehören, kam einem Rekordtief sehr nahe. Letzterer ist in diesem Jahr um 43% gesunken, in Europa die schlechteste Branchenperformance zusammen mit Tourismuswerten.

Es stellt sich die Frage: Wie viel Abwärtspotenzial ist bereits eingepreist? Banken sind auf dem Papier billiger als je zuvor, wobei das geschätzte Preis-Buch-Verhältnis der Branche das niedrigste aller Zeiten ist, nachdem es kürzlich unter das Niveau der weltweiten Finanzkrise gefallen ist. Nadege Dufosse, Leiter Asset Allocation bei Candriam Investors, sagte: „In Europa könnten Banken und Autos gemessen am Wert die attraktivsten Sektoren sein, die bei einer beginnenden Normalisierung in Betracht gezogen werden sollten.“

Höhe der Verluste entscheidend

Ein entscheidender Faktor ist die Höhe der Verluste, die Banken aufgrund der Coronavirus-Krise erleiden könnten. Zwangsläufig sind solche Prognosen mit grosser Unsicherheit verbunden. Doch sagen Analysten von Barclays Plc immer noch, dass zwischen den Verlusterwartungen und der Risikovorsorge der Banken im ersten Quartal eine ziemliche Lücke besteht.

“Dies deutet darauf hin, dass entweder noch viel mehr auf uns zukommt oder dass der Markt und unsere Szenario-/Stresstests das Endergebnis bei weitem überschätzen”, schrieben Analysten um Amit Goel. Es gibt auch eine breite Spanne dessen, was einzelne Bankaktien bereits einpreisen.

Laut Bank-of-America-Stratege Sebastian Raedler spiegeln die Bankwerte zwar die derzeitige Schwäche der Wachstumsdynamik im Euroraum nicht vollständig wider, es bestehe jedoch Potenzial für eine kurzfristige Rally der Aktien. “Wir bleiben in europäischen Banken übergewichtet”, schrieb der Stratege am Freitag in einer Notiz. Seine Prognosen für eine Erholung der PMIs im Euroraum und einen Anstieg der Bundrenditen bedeuten für Bankaktien ein Aufwärtspotenzial von 30% oder mehr bis Anfang des vierten Quartals.

Aufwärtstrend? 

Der jüngste Renditeanstieg der zehnjährigen deutschen Bundesanleihen hatte keinen Einfluss auf die relative Performance der Banken, da die Anleger auf eine stärkere Bewegung auf dem Rentenmarkt warten.

Raedler betonte, dass Banken tendenziell von sinkenden US-Hochzinsanleihe-Spreads profitieren, und sagte, dass eine allmähliche Erholung der globalen Wachstumsdynamik, der Spielraum für höhere Ölpreise und die Unterstützung durch die US-Notenbank eine Reduzierung der Hochzins-Spreads in den nächsten sechs Monaten signalisieren.

Der BofA-Stratege ist nicht der einzige, der einen Aufwärtstrend für den abgeschlagenen Sektor vorhersagt. Bottom-up-Analysten gehen davon aus, dass die Aktien des Stoxx-600-Banks-Index in den nächsten 12 Monaten um 39% steigen werden. Das ist der höchste Wert unter allen Sektoren, wie aus von Bloomberg zusammengestellten Kurszielen hervorgeht.

JPMorgan Chase & Co. rät wie Barclays zu Selektivität bei Engagements in dem Sektor und nennt Gewinn und Kapitalstärke als die wichtigsten Überprüfungskriterien. Analysten um Kian Abouhossein empfehlen KBC Group NV, BNP Paribas SA, Banco Bilbao Vizcaya Argentaria SA und UBS als Werte, die auch dann gut abschneiden könnten, wenn Risiken auftreten.

(Bloomberg)