Das Familienunternehmen von Martin Büchs in Bad Neustadt beliefert seit mehr als einem Jahrhundert Autobauer mit Schaltungs-, Beölungs- und Kühlsystemen. Aufgrund der Turbulenzen in der europäischen Automobilbranche versucht Büchs nun, die Jopp-Gruppe als Zulieferer für einen der am schnellsten wachsenden Industriesektoren neu zu erfinden: das Militär.
«Wir sehen eine Menge Chancen in der Rüstungsindustrie», sagte Büchs, der in den vergangenen fünf Jahren aufgrund des Abschwungs in der Automobilindustrie 20 Prozent der Belegschaft abbauen musste. «Unsere Mitarbeiter sind grundsätzlich offen für Neues, weil ihre Priorität ist, langfristig tragfähige Jobs zu haben.»
Neuorientierung bei den Absatzmärkten
Büchs’ Entscheidung spiegelt einen wachsenden Trend in Europa wider, da riesige Netzwerke kleiner und mittlerer Hersteller mit der Umstellung der Autoindustrie auf Elektrofahrzeuge zu kämpfen haben, die andere und weitaus weniger Teile benötigen. Viele wenden sich der Rüstungsindustrie zu, in der Hoffnung, von den hunderten Milliarden Euro zu profitieren, die europäische Regierungen für die Aufrüstung bereitstellen, während die USA ihr Engagement für das jahrzehntealte transatlantische Sicherheitsbündnis zurückfahren.
Der Bundestag hat diese Woche mit seiner Zustimmung, die Schuldenbremse zu lockern, den Weg für höhere Verteidigungsausgaben geebnet. Schweden, Tschechien und die baltischen Staaten haben ihre bereits erhöht. Die Europäische Union will 800 Milliarden Euro mobilisieren, um die Verteidigungsfähigkeit Europas zu stärken, und Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat Nato-Mitglieder aufgefordert, ihre Verteidigungsausgaben auf 3,5 Prozent ihres BIP zu erhöhen.
Die Umstellung von Fabriken um das Militär zu beliefern ist nicht einfach, da die Ausstattung umgestellt und die Mitarbeiter umgeschult werden müssen. Doch das zusätzliche Geld mobilisiert bereits Hersteller in ganz Europa. In Deutschland sucht der Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler nach Partnern aus der Rüstungsindustrie, um den Absatz zu steigern, während der Laserspezialist Trumpf den Bau eines Lasers zur Drohnenabwehr erwägt. Der ungarische Werkzeughersteller Büttner Kft, der bisher deutsche Automobilzulieferer belieferte, geht davon aus, einen grösseren Teil seiner Kapazitäten auf den Rüstungssektor zu verlagern.
In Frankreich hat der Sondermüll- und Patronenhülsenverwertungskonzern Europlasma ein Übernahmeangebot für das Werk Fonderie de Bretagne abgegeben, das Gussteile an Renault liefert. Europlasma gab an, dass das Angebot Teil einer Strategie zur Diversifizierung in den Rüstungssektor sei, um «auf die Herausforderung der nationalen Souveränität und die wachsende Nachfrage auf europäischer Ebene zu reagieren».
Obwohl die Rüstungsindustrie boomt, ist sie immer noch viel kleiner als die Automobilbranche und kann nur einen Teil der dort einsetzenden Arbeitsplatzverluste und Produktionskürzungen ausgleichen. In der europäischen Automobilindustrie arbeiten etwa 13 Millionen Menschen – das sind rund 7 Prozent aller Beschäftigten in der EU. In der Rüstungsbranche sind hingegen nur etwas mehr als eine Million Menschen beschäftigt.
«Ich halte die Diskussion, dass die Rüstung den Niedergang der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer aufhalten wird, für eine Illusion», sagte IG Metall-Vize Jürgen Kerner. «Nichts davon lässt sich über Nacht erreichen.»
Doch die Ausgaben führen auch zur Gründung neuer Unternehmen. In Estland gründeten ein Beamter, ein General, ein Raketenwissenschaftler und einer der reichsten Geschäftsleute des Landes das Unternehmen Frankenburg Technologies, um günstige Luftabwehrsysteme zu bauen. Das an Russland grenzende Land hat sein Verteidigungsbudget seit 2022 verdoppelt.
Umnutzung der Fertigungskapazitäten
Unterdessen ist Volkswagen — Europas grösster Autobauer, der Werke schliesst und mehr als 40.000 Stellen abbaut — offen dafür, dass die Rüstungsindustrie seine überschüssigen Kapazitäten nutzt. Rheinmetall hat das VW-Werk in Osnabrück in Bezug auf eine Herstellung gepanzerter Fahrzeuge geprüft, und auch das gerade stillgelegte Audi-Werk in Brüssel könnte nach Plänen des belgischen Unternehmens John Cockerill Defense in ähnlicher Weise umgewandelt werden.
Der italienische Industrieminister Adolfo Urso hat angesichts der Krise in der Autoindustrie vorgeschlagen, Autofabriken auf Rüstungsproduktion umzustellen. Der Plan, der durch einen Rückgang der Fahrzeugproduktion um 63 Prozent im Januar und die schrumpfende Inlandspräsenz des Fiat-Herstellers Stellantis NV vorangetrieben wird, zielt darauf ab, Arbeitsplätze zu schützen, indem man sich Überschneidungen der Branche mit Militärtechnologie zunutze macht.
Neben der Umrüstung der Fabriken auf Waffenproduktion müssen sich die Hersteller mit einem umständlichen Zertifizierungs- und Sicherheitsüberprüfungsverfahren auseinandersetzen.
Für die direkte Belieferung des Militärs oder die Herstellung spezieller Rüstungsprodukte sei eine Zertifizierung durch die Nato erforderlich, die in der Regel ein bis zwei Jahre dauere und mindestens 200'000 Euro koste, so Christian Bartsch, Geschäftsführer von ACATO, einem auf Zertifizierungen und Cybersicherheit spezialisierten Unternehmen. Und der Prozess kann erst beginnen, wenn das Unternehmen bereits einen Auftrag vom Militär erhalten hat.
Langwieriger Bewilligungsprozess
«In Deutschland ist der Beschaffungsprozess zäh und lebensbedrohlich: Das Unternehmen wird ausgehungert, bis es zum Zug kommt», so Bartsch. «Es dauert, bis die deutschen Behörden tatsächlich bestellen, in dieser Zeit haben Unternehmen Kosten, Kosten, Kosten und verdienen keinen Euro.»
Wenn Europa jedoch militärisch unabhängig von den USA werden will, muss es seine eigenen Unternehmen unterstützen — wie etwa Büchs’ Familienunternehmen Jopp, das weltweit etwa 1'600 Mitarbeiter beschäftigt.
«Wir werden wahrscheinlich eher Zulieferer für die Firmen der Rüstungsindustrie werden können», sagte Büchs. «Durch Gespräche mit möglichen Kunden werden wir schauen, ob die Nachfrage da ist.»
Thomas Hirsch, der das oberbayerische Unternehmen Hirsch Engineering Solutions gründete, hat den Sprung bereits geschafft: Vor vier Jahren entfielen 95 Prozent des Umsatzes seines Unternehmens auf den Automobilsektor, heute werden die von Hirsch hergestellten mechanischen Teile in Militärfahrzeugen, Satelliten und Raketentriebwerken eingesetzt.
«Es kostet Zeit und Energie, in diese sehr sensible Branche hineinzukommen», sagte Hirsch vor mehr als 100 Unternehmern bei einer kürzlich von der Industrie- und Handelskammer in Schweinfurt organisierten Veranstaltung. «Doch wenn Sie einmal im System sind, bleiben Sie im System.»
(Bloomberg)