Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt ihren Zinssenkungskurs angesichts einer abebbenden Inflation und mauen Konjunktur fort. Der EZB-Rat um Notenbankchefin Christine Lagarde beschloss am Donnerstag, den am Finanzmarkt massgeblichen Einlagensatz um einen Viertelpunkt auf 2,50 Prozent nach unten zu setzen. Diesen erhalten Geldhäuser, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken. Er ist der Leitzins im Euroraum.
Seit die Währungshüter Mitte 2024 auf einen Lockerungskurs umgeschwenkt waren, ist dies bereits die sechste Zinssenkung. Am Devisenmarkt reagierte der Euro prompt. Er stieg um 0,5 Prozent auf 1,0834 Dollar, nachdem er zuvor knapp im Plus gelegen hatte. «Die Geldpolitik wird spürbar weniger restriktiv, da die Zinssenkungen die Aufnahme neuer Kredite für Unternehmen und private Haushalte günstiger machen und das Kreditwachstum anzieht», erklärte die Notenbank.
Ein Zinsniveau gilt dann als restriktiv, wenn es eine Volkswirtschaft bremst. Die gegenwärtige Situation ist nach Einschätzung der EZB von wachsender Unsicherheit geprägt. Die Festlegung des richtigen geldpolitischen Kurses werde von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung erfolgen, teilte sie mit. Sie erwartet in diesem Jahr auch wegen drohender US-Strafzölle weniger Wachstum im Euroraum.
«An der erneuten Rücknahme des Leitzinses führte kein Weg vorbei», erklärte Ökonom Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Angesichts der schlechten Wirtschaftslage, der weiteren Eskalation im Handelskrieg und immer noch optimistischer Inflationsprognosen hätten die Argumente für eine weitere Normalisierung des Zinsniveaus stark überwogen. «Allerdings ist die Normalisierung mit diesem Schritt nun weit fortgeschritten.» Aus Sicht von Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer liegt der Einlagensatz mit 2,5 Prozent jetzt in einem Bereich, den die meisten EZB-Ratsmitglieder als neutral ansehen. «Insofern sollte die EZB von nun an beim Zinssenken vorsichtiger agieren.»
Anhaltende Konjunkturflaute
Die Inflation im Euroraum war im Februar auf 2,4 Prozent gesunken, nach 2,5 Prozent im Januar. Das EZB-Ziel einer Teuerungsrate von 2,0 Prozent rückt damit näher. Doch die anhaltend trübe Konjunktur bereitet Sorgen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Währungsraum legte von Oktober bis Dezember um magere 0,1 Prozent zum Vorquartal zu, nachdem im Sommerquartal noch ein Wachstum von 0,4 Prozent erreicht worden war. Ein Bremsklotz ist die anhaltende Wachstumsschwäche Deutschlands, der grössten Volkswirtschaft im Euroraum.
Der Ausblick ist für die EZB zunehmend komplizierter geworden, unter anderem wegen des Hin-und-Her im Handelskonflikt mit den USA. Dies veranlasst Unternehmen dazu, sich mit Investitionen zurückzuhalten. Auf der anderen Seite könnten eine militärische Aufrüstung in Europa und ein in Deutschland geplantes riesiges Finanzpaket das Wachstum bald kräftig ankurbeln. Die Debatte unter den Währungshütern über den weiteren Kurs dürfte daher in den nächsten Monaten kontroverser geführt werden.
Notenbank-Direktorin Isabel Schnabel hatte unlängst dafür plädiert, über eine Pause oder einen Stopp des Zinssenkungskurses anzufangen nachzudenken. Volkswirte der EZB hatten in einem Aufsatz das neutrale Zinsniveau, das die Wirtschaft weder bremst noch anheizt, in einer Spanne zwischen 1,75 und 2,25 Prozent verortet. Dieses Niveau rückt nun immer näher.
(Reuters)