Ralph Hamers geht den Prolog behutsam an. Seitdem der passionierte Rennradfahrer Anfang September bei der Schweizer Grossbank UBS begonnen hat, trifft der Niederländer Schlüssel-Mitarbeiter, lernt die Bank kennen, macht sich mit der Schweiz vertraut. "Er ist im Listening-Modus", sagt ein Insider. Doch spätestens wenn er am 1. November den Chefposten übernimmt, muss Hamers einen Gang hochschalten. Denn ein "Weiter wie bisher" kommt nicht in Frage, wie UBS-Verwaltungsratspräsident Axel Weber betont. "Wir haben ganz viele Bereiche, wo Sie Banking neu überdenken müssen", sagte er kürzlich auf einer Konferenz. "Dafür haben wir den richtigen CEO."

Dabei ist die UBS alles andere als ein Sanierungsfall. Nach der Nahtod-Erfahrung im Anschluss an die Finanzkrise haben Konzernchef Sergio Ermotti und Weber die Bank krisenfester gemacht und auf die kapitalschonende Vermögensverwaltung gesetzt. Inzwischen glänzt das Zürcher Institut mit einer der höchsten Eigenkapitalrenditen unter den vergleichbaren Häusern. Und dennoch - nach der Ankündigung des Chef-Wechsels erklärten die Citigroup-Analysten, dass die Fortschritte bei der UBS in den letzten Jahren ins Stocken geraten seien. Auch die Börsenbewertung zeigt, dass viele Anleger Vorbehalte haben. Das hat mit der drohenden Milliardenbusse in Frankreich zu tun, mit den inhärenten Risiken im Wertpapierhandel. Dazu kommt der strukturelle Gegenwind: Erodierende Preise für viele Bankdienstleistungen und rekordtiefe Zinsen setzen den Erträgen zu, eine strengere Regulierung sorgt für höhere Kosten.

«Von Technologie besessen»

Hamers hat in den sieben Jahren als ING-Chef den Ruf eines radikalen Erneuerers erworben. "Ich glaube daran, sich selbst zu disruptieren, bevor es jemand anderes tut", sagte er beim Abschied von der niederländischen Bank. Hamers sei von Technologie im Bankwesen besessen gewesen, erklärt Jupiter-Fondsmanager Guy de Blonay. "In seiner Amtszeit bei ING drehte sich alles darum, wie das Bankgeschäft in zehn, 20 Jahren aussehen wird." Sein Ziel sei es gewesen, das Institut zu einer Tech-Firma mit einer Banklizenz zu machen. "Und das ist es, was die meisten Banken heute anstreben sollten", so de Blonay, der UBS, nicht aber ING in seinem Portfolio hält. "ING hat wahrscheinlich die beste IT Europas", sagt ein früherer Technologievorstand eines deutschen Instituts anerkennend.

Und während bei der UBS in der Ära Ermotti die Erträge zwar leicht stiegen, die Kosten aber ebenso, zeigte die ING Deutschland, wie es anders geht. Die vor allem im notorisch schwierigen deutschen Massengeschäft tätige Direktbank verdoppelte den Vorsteuergewinn in der Zeit auf 1,35 Milliarden Euro und verdient damit inzwischen mehr als Deutsche Bank und Commerzbank in dem Bereich. Der Abbau von Hierarchiestufen, Kooperationen mit Tech-Firmen wie Lendico oder Amazon sowie die zentrale Rolle der Informatik wirken dabei als Treiber.

Nun soll Hamers die UBS auf digital trimmen. Nach einer 15-monatigen Chef-Suche wurde der Verwaltungsrat fündig. Der Niederländer habe bei der ING sehr erfolgreich die erste Welle der Digitalisierung durchgezogen, so Axel Weber - Bezahlsysteme und das Kleinkundengeschäft. Jetzt folge die zweite und dritte Welle - die Digitalisierung des Geschäfts mit reichen Privatkunden und Profi-Anlegern sowie des Investmentbankings, ja des gesamten operativen Bankgeschäfts. Durch die Corona-Krise habe sich diese Entwicklung massiv beschleunigt. Innerhalb von Monaten seien digitale Vertriebskanäle im Geschäft mit Reichen breit akzeptiert worden. Und in Zukunft stünden Handelsterminals nicht mehr in Banken, sondern in Privathäusern der Händler.

Orangene Turnschuhe

All diese Entwicklungen spielen Hamers in die Karten. Und doch dürfte es für ihn bei der UBS kein Spaziergang werden. Ein Fondsmanager und ein Informatik-Berater werfen die Frage auf, ob die bestehende Backoffice-IT der UBS den zukünftigen Anforderungen genüge. Die Bank, die die Hälfte des jährlichen Technologie-Budgets von 3,5 Milliarden Dollar für den Betrieb der Systeme ausgibt, sieht sich dagegen gut aufgestellt.

Für Kritiker ist auch unklar, ob die Digitalisierung das Wachstum im Kerngeschäft Vermögensverwaltung so ankurbeln kann, wie sie das im Kleinkundengeschäft tut. Ausserdem ist die Frage, ob die Kundenberater, die etwa Milliardäre betreuen, Änderungen akzeptieren. Sie hätten viel Macht, weil sie oft problemlos zur Konkurrenz wechseln könnten, sagt ein Insider. Hamers, der bei der ING gerne mit Turnschuhen in der Firmenfarbe orange und im offenen Hemd auftrat, trifft bei der hierarchischen und konservativen UBS auf eine ganz andere Kultur. "Die Vermögensverwaltungsbranche kann im Vergleich zu Technologieunternehmen steif sein", so Fondsmanager de Blonay.

Und schliesslich ist da die Stellenfrage, die im Moment insbesondere viele Mitarbeiter in Atem hält. Ermotti verzichtete in seiner Zeit auf einen Kahlschlag, entsprechend stieg der Personalbestand auf fast 70'000. "Es gibt vermutlich ziemlich viel Fett", so ein dritter Fondsmanager mit Blick auf die komplexen Strukturen. Ein Abbau von zehn Prozent der Belegschaft wäre deshalb gut machbar, schätzt er. Dass Hamers vor solchen Schritten nicht zurückschreckt, hat er bei der ING mit der Streichung von über 10'000 Jobs bewiesen. Dennoch: Vor ihm liegen schwierige Etappen. Und das Sieger-Trikot wird er sich erst nach Jahren überstreifen können.

(Reuters)