Die Wohntraumstudie 2023 für die Schweiz spricht eine klare Sprache: Beim bevorzugten Immobilientyp verteidigt das freistehende Einfamilienhaus mit 52 Prozent der Befragten seinen unangefochtenen Spitzenplatz als beliebteste Wohnform. Und 57 Prozent der Mietenden träumen davon, einmal Wohneigentum zu erwerben. Ein Erbvorbezug kann diesen Traum ermöglichen, den man andernfalls gar nicht oder zu wesentlich teureren Konditionen hätte finanzieren müssen. Als Erbvorbezüge gelten Schenkungen, die sich die empfangende Person im künftigen Erbfall an den Erbteil anrechnen lassen muss.

Warum die Option des Erbvorbezugs beim Wohneigentum für viele immer relevanter wird, zeigt die Entwicklung des UBS Composite Index beispielhaft. Der Index basiert auf den Transaktions- und Angebotspreisindizes von Wüest Partner, IAZI und FPRE. Tatsächlich ist der Preis von Eigenheimen seit dem Jahr 2000 inflationsbereinigt um 95 Prozent gestiegen. Im Falle von Eigentumswohnungen betrug der Wertzuwachs 103 Prozent, während er bei Einfamilienhäusern bei 87 Prozent lag.

Erbvorbezug auch mit Nachteilen

Für den begünstigten Erben ist ein Erbvorbezug praktisch immer von Vorteil. Er kommt vorzeitig in den Genuss der Erbschaft, die ja bis zum Tod des Erblassers lediglich eine Anwartschaft darstellt. Rund ein Viertel des Schweizer Erbschaftsvolumens wird bereits zu Lebzeiten an die Nachkommen schenkungsweise weitergegeben. Dabei hat eine Person, solange sie voll geschäftsfähig ist und keine vertraglichen Bindungen wie durch einen Erbvertrag besteht, das Recht, über ihr Vermögen zu Lebzeiten frei zu verfügen. Man kann beispielsweise problemlos Immobilien auf die Kinder übertragen. Die Abrechnung erfolgt erst im Nachlass. Und will man trotz Übertragung weiterhin darin wohnen bleiben, hat man auch zwei Möglichkeiten: das Wohnrecht und die Nutzniessung.

Der Erbvorbezug für Wohneigentum bringt jedoch anderweitig Nachteile mit sich: «Für die schenkende Partei kann es nachteilig sein, wenn am Ende zu wenig Geld übrig bleibt, um die Lebenshaltungskosten zu decken», erklärt Roberto Fornito von der Anwaltskanzlei Bratschi auf Anfrage von cash.ch. Zudem kann der Vorbezug zu einer Ungleichbehandlung führen. Zum Beispiel, wenn es nur eine Immobilie gibt und diese vorzeitig an ein Kind übertragen werden soll. Ein Kind profitiert bereits heute, während sich das andere gedulden muss. Hier droht ein Familienstreit.

Auch monetär ist die Rechnung nicht so einfach, wie es scheint. Laut Gesetz sind Erbvorbezüge im Nachlass des Erblassers auszugleichen. Bei Sachschenkungen wie Wohneigentum ist nicht der Wert per Übertragungszeitpunkt massgeblich, sondern der Wert per Todestag. Angenommen, im Jahr 2004 wurde eine Immobilie an einen Sohn übertragen. Der damalige Marktwert betrug 1 Million Franken. Im Jahr 2024 ist dieselbe Immobilie aufgrund der Marktentwicklung doppelt so viel wert, also 2 Millionen Franken. «Der Sohn muss den Miterben die 2 Millionen Franken ausgleichen, sofern keine andere Vereinbarung getroffen wurde», erklärt Fornito.

Nominalwertprinzip bei Bargeldgeschenken

Bei Bargeldgeschenke gilt hingegen das Nominalwertprinzip. Wenn ein Kind einen Erbvorbezug von 100'000 Franken erhält, muss es den gleichen Betrag unabhängig von der Inflation im Erbe ausgleichen. Sofern keine andere Vereinbarung getroffen wurde, besteht auch keine Verpflichtung zur Verzinsung. Man kann den Anrechnungswert auch bei Sachgeschenken wie Immobilien festlegen, zum Beispiel auf 1 Million Franken, unabhängig von zukünftigen Wertveränderungen. Dies ist zulässig und unproblematisch, solange der Pflichtteil der anderen Erben eingehalten wird. «Die Person, die das Geschenk annimmt, trägt jedoch das Risiko, dass sie den Betrag von 1 Million Franken gegenüber den anderen Erben ausgleichen muss, selbst wenn das Wohneigentum erheblich an Wert verloren hat», merkt Fornito an.

Zudem kann es vorkommen, dass der Wert des Erbvorbezugs den tatsächlichen Erbteil des begünstigten Erben übersteigt. In diesem Fall muss er im Rahmen der Erbteilung die Differenz in den Nachlass zurückzahlen. Es kann jedoch auch vereinbart werden, dass der überschüssige Teil nicht ausgeglichen werden muss, sodass der begünstigte Erbe im schlimmsten Fall zwar nichts mehr aus dem Nachlass erhält, aber auch nichts an seine Miterben «aus eigener Tasche» zurückzahlen muss.

Manchmal sind auf beiden Seiten mehrere Personen beteiligt - der Erbvorbezug stammt von beiden Eltern oder die elterliche Immobilie wird zu einem Sonderpreis an den Sohn und die Schwiegertochter übertragen. In diesem Fall ist zu beachten, dass der Erbvorbezug proportional in beiden elterlichen Nachlässen ausgeglichen werden sollte und die Schwiegertochter oder der Schwiegersohn als Nichterben nicht zum Ausgleich verpflichtet sind. Um keine Überraschungen zu erleben, ist es wichtig, genau zu überlegen und zu vereinbaren, wer was und wann ausgleichen muss.

Schenkung ist nicht immer ein Erbvorbezug

Was viele wohl nicht wissen: Ein Erbvorbezug stellt immer eine Schenkung dar. Eine Schenkung ist jedoch nicht immer ein Erbvorbezug. «Die Person, die das Geschenk macht, kann bestimmen, ob die beschenkte Person die Schenkung im Erbe auf ihren Erbteil anrechnen muss (Erbvorbezug) oder ob die beschenkte Person die Schenkung zusätzlich zu ihrem Erbteil erhält (Vorvermächtnis)», erklärt Fornito.

Wenn man ein Kind von der Ausgleichung bei einer Schenkung befreit und gleichzeitig dem anderen Kind nichts schenkt, ist ein Erbstreit aufgrund der Ungleichbehandlung programmiert. Und falls der begünstigte Erbe das Erbe ausschlägt - beispielsweise weil sein Erbteil kleiner ist als seine Ausgleichungsverpflichtung -, entfällt die Ausgleichung, unabhängig von früheren Vereinbarungen. Solange keine Pflichtteile verletzt werden, müssen die Miterben die Ausschlagung akzeptieren. Ein Darlehen hat hierbei einen Vorteil, da es auch bei Ausschlagung weiterhin geschuldet bleibt.

Die Übertragung von Wohneigentum zum Marktwert ist dabei erbrechtlich unproblematisch. Es stellt sich dann nur noch die Frage, ob der Marktwert korrekt ermittelt wurde. Bei einer Übertragung unter Wert (reine Schenkung oder gemischte Schenkung) kann die übertragende Person frei entscheiden, ob und in welchem Umfang ein Erbe den Vermögensvorteil ausgleichen muss. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Ausgleichung gelten nur, wenn nichts anderes angeordnet oder vereinbart wurde. Es ist jedoch zwingend zu beachten, dass das Pflichtteilsrecht beachtet wird, sofern die pflichtteilsberechtigten Erben nicht darauf verzichtet haben.

«Idealerweise regelt man mit der Übertragung von Wohneigentum an ein Kind auch die mögliche Ausgleichungspflicht unter Einbeziehung aller Betroffenen. Für eine solche Ausgleichungsvereinbarung genügt grundsätzlich die einfache Schriftform», empfiehlt Fornito. Es wird festgehalten, welche Schenkung zu welchem Anrechnungswert wann und gegenüber wem auszugleichen ist. Falls Pflichtteilsansprüche von anderen Erben verletzt werden könnten - was zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht immer abschätzbar ist -, muss die Form eines Erbvertrags - öffentliche Beurkundung mit zwei Zeugen - eingehalten werden.

Ergänzungsleistungen können tangiert werden

Bei der Planung gilt es zu beachten, dass Erbvorbezüge und Schenkungen der Schenkungssteuer unterworfen sind, wobei der Kanton Zürich sowie die meisten anderen Kantone direkte Nachkommen von der Steuerpflicht befreien. Hingegen können möglicherweise Grundstückgewinnsteuern sowie in einigen Kantonen auch Handänderungssteuern anfallen. Hingegen werden Ergänzungsleistungen häufig tangiert. Lebzeitige Zuwendungen können dazu führen, dass kein Anspruch auf Ergänzungsleistungen besteht oder der Anspruch reduziert wird, da die Schenkung als freiwilliger Vermögensverzicht angerechnet wird. Bei der Prüfung des Anspruchs werden Schenkungen zeitlich unbegrenzt zum Vermögen der antragstellenden Person hinzugerechnet. Eine Reduzierung erfolgt nur bis zu einem Betrag von 10'000 Franken pro Jahr.

Weniger akut ist hingegen die oft diskutierte Verwandtenunterstützungspflicht: Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) hat diesbezüglich Richtlinien erlassen. Bei einem verheirateten Paar mit zwei Kindern im selben Haushalt besteht gemäss den SKOS-Richtlinien keine Unterstützungspflicht, wenn das monatliche Einkommen 18'400 Franken und das Vermögen 540'000 Franken nicht überschreitet. Entscheidend ist nicht, ob die unterstützungspflichtige Person ihr Einkommen und Vermögen durch einen Erbvorbezug erlangt hat. Allerdings kann ein Erbvorbezug dazu führen, dass eine Person die relevanten Einkommens- und Vermögensschwellen überschreitet.

ManuelBoeck
Manuel BoeckMehr erfahren