"Grüner" Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft und Schlüssel für die Rettung des Weltklimas. Daher reissen sich Investoren um Firmen, die Brennstoffzellen-Antriebe herstellen oder Anlagen zur umweltfreundlichen Gewinnung dieses Gases anbieten.
Derzeit fliesse viel Geld spekulativ orientierter Anleger in die Branche, sagt Emmanuel Cau, Chef-Anlagestratege für europäische Aktien bei der Barclays Bank. Der neue US-Präsident Joe Biden heizte mit der Aussicht auf einen Schwenk in der Klimapolitik den Appetit auf "Öko"-Anlagen zusätzlich an.
So verdoppelte der Brennstoffzellen-Anbieter Plug Power seinen Kurs seit Jahresbeginn. Das Plus der vergangenen zwölf Monate summiert sich auf fast 1500 Prozent. Die Konkurrenten Ceres, Fuelcell oder Ballard vervielfachten ihre Kurse ebenfalls.
Eine Spekulationsblase können die Experten der Bank JPMorgan dennoch nicht erkennen. Sie raten stattdessen langfristig orientierten Anlegern, Kursrücksetzer zum Einstieg zu nutzen und die vergleichsweise hohen Kurse auf Sicht von mehreren Jahren zu ignorieren. Derzeit wird der britische Elektrolyseur-Anbieter ITM mit dem Siebenfachen seines Umsatzes des Jahres 2030 bewertet, rechnen die Analysten der Bank HSBC vor. Bei seinem norwegischen Konkurrenten Nel ist es "nur" das Dreifache.
Boom bei batteriegetriebenen Fahrzeugen
Einige Experten mahnen allerdings zur Vorsicht. Schliesslich sei der seit Jahrzehnten prophezeite Durchbruch von Wasserstoff als Energieträger alles andere als sicher. Zwar gibt es schon Brennstoffzellen-Autos zu kaufen. Wegen fehlender Wasserstoff-Tankstellen sind die Absatzzahlen bislang aber überschaubar.
Ein weiteres Hindernis sei der aktuelle Boom bei batteriegetriebenen Fahrzeugen, gibt Jonathan Bell, Chef-Anleger des Vermögensverwalters Stanhope, zu Bedenken. "Manchmal gewinnt bei zwei konkurrierenden Technologien nicht die bessere, sondern diejenige, die zunächst einmal Marktanteile erobert."
Ausserdem balge sich eine Menge Kapital um eine begrenzte Anzahl von Firmen, die in der Wasserstoff-Technologie aktiv seien, warnt Sean McLoughlin, Chef-Industrieanalyst für Europa, den Nahen Osten und Afrika bei HSBC. Zwar könne man die Bewertungen der Wasserstoff-Branche mit den billionenschweren Hilfsprogrammen zur Abfederung der Coronavirus-Folgen und mangelnden Anlage-Alternativen rechtfertigen. Die Gefahr von Kurseinbrüchen bleibe aber.
Deutschland will Wasserstoff-Land Nummer 1 werden
Wasserstoff ist das im Universum am häufigsten vorkommende Element. Wasserstoffgas wird bislang meist aus fossilen Energieträgern wie Erdgas gewonnen. Für "grünen" Wasserstoff wird dagegen Wasser mit Hilfe von Strom aus erneuerbaren Energien mittel Elektrolyse in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. In Brennstoffzellen wird die Elektrolyse quasi rückgängig gemacht und so Strom gewonnen. Die Abgase bestehen aus reinem Wasserdampf. Brennstoffzellen können zum Antrieb von Fahrzeugen oder in industriellen Anlagen genutzt werden.
Das Thema ist in aller Munde und jeder will ein Stück des Kuchens abbekommen: Die Bundesregierung will Deutschland weltweit zum Wasserstoff-Land Nummer 1 machen. Unter anderem soll Medienberichten zufolge das ehemalige Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg in eine Anlage zur Produktion "grünen" Wasserstoffs umgebaut werden.
Die EU fördert Wasserstoff-Technologie mit mehreren Hundert Millionen Euro. Auch für den neuen US-Präsidenten ist Wasserstoff ein Eckpfeiler seiner Klimapolitik, für die Billionen Dollar locker gemacht werden sollen. Noch sind Bidens Pläne größtenteils aber nicht in Kraft. Einige Anleger dürften bei dem momentanen Hype jedenfalls auf der Hut sein, denn ein ähnlicher Enthusiasmus hatte sich vor zwei Jahrzehnten schnell wieder verflüchtigt.
(Reuters)