Investitionen in Schwellenländer sind nichts für schwache Nerven: Sobald es Anzeichen einer globalen Konjunktureintrübung oder schlechte Daten aus China gibt, ziehen Investoren ihre Gelder gleich in grossem Stil aus diesen Regionen ab - die Kurse fallen.
Herrscht aber wie aktuell Euphorie am Markt, ist genau das Gegenteil der Fall: Die Gelder fliessen zu, die Aktien steigen an. Und tatsächlich sind Schwellenländer-Aktien gemäss einer Statistik von Hinder Asset Management derzeit gefragt wie keine andere Anlageklasse: In diesem Jahr konnten sie bereits 26 Prozent zulegen. Knapp dahinter folgen mit plus 25 Prozent Schweizer Small Caps. Deutlich abgeschlagen sind hingegen Aktien Global (+12 Prozent).
Sollten Anleger nach diesem starken Anstieg die Finger von Schwellenland-Aktien lassen? Felix Brill, CEO vom Beratungsbüro Wellershoff & Partners, winkt ab: "Wir finden Schwellenländer-Aktien weiterhin interessant, die Bewertungen sind noch nicht zu hoch". Die Konjunkturindikatoren würden signalisieren, dass das globale Wachstum erstmals seit sechs Jahren wieder auf über 4 Prozent steigen wird. "Das gibt Rückenwind und spiegelt sich auch in den Unternehmensgewinnen wider."
Gutes Umfeld für Schwellenländer
Wie Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) von letzter Woche zeigen, werden Entwicklungs- und Schwellenländer in diesem Jahr mit 4,6 Prozent und 2018 mit 4,9 Prozent wachsen. Das ist deutlich mehr als die für Industrieländer prognostizierten 2,2 Prozent (2017) bzw. 2,0 Prozent (2018).
Claudia Bernasconi, Ökonomin und Schwellenland-Expertin bei Swiss Life Asset Managers, nennt gegenüber cash einige Punkte, die Schwellenland-Investments in diesem Jahr besonders in die Hände spielen: Tiefe US-Zinsen, ein schwächelnder Dollar, die generelle Risikofreude bei Investoren und eine Stabilisierung der Rohstoffpreise. Ausserdem seien auch grössere politische Unruhen ausgeblieben.
Hinzu kommt die in vielen Ländern stark rückläufige Inflation, so etwa gesehen in Brasilien und Russland. Das macht Zinssenkungen der Notenbanken wahrscheinlicher. Und tiefe Zinsen kommen - wie man derzeit in den Industrieländern sehr gut sieht - wiederum Aktieninvestments entgegen.
Positiver Zyklus für Schwellenländer
Doch nicht nur die von cash befragten Brill und Bernasconi zeigen sich optimistisch, unter Experten scheint allgemein ein breiter Konsens zu bestehen, dass Schwellenländer attraktiv bleiben: "Wir sind bullish für Schwellenländer", schreibt etwa Richard Turnill, globaler Chef-Investmentstratege bei BlackRock, in einem Kommentar.
Und die Reyl Bank berichtet von wiederkehrenden Performancezyklen in der Länge von fünf bis acht Jahren, in denen Schwellenländeraktien die Aktien von Industrieländern performancemässig überbieten. 2002 bis 2010 gab es zum Beispiel eine solche Phase, die Outperformance betrug damals beinahe 300 Prozent - trotz Finanzkrise. 2011 bis 2015 hingegen kehrte sich der Trend: Industrieländer übertrafen die Schwellenländer um fast 70 Prozent. Seit Anfang 2016 haben nun wieder die Emerging Markets die Oberhand, wie folgende Grafik zeigt:
MSCI Emerging Market Index (grün) vs. MSCI World Index (orange) seit Anfang 2016, Quelle: msci.com
Der MSCI Emerging Market Index - er beinhaltet Aktien aus 24 Schwellenländern - schlägt von Januar 2016 bis heute den MSCI World Index - der wiederum Aktien von 23 Industrienationen beinhaltet - um knapp 20 Prozent. "Das erste Quartal 2016 markiert einen Wendepunkt zu einer höheren Ertragsdynamik, die anhalten und die Phase der Outperformance von Schwellenländern stützen dürfte", ist im Reyl-Bericht zu lesen.
Chinas Parteitag als Unsicherheitsfaktor
Glaubt man dieser Zyklustheorie, stehen den Schwellenländern noch einige Jahre der Überperformance bevor. Doch gibt es auch Risiken: Neben geopolitischen Gefahren würde auch ein zu schneller Zinsanstieg in den USA, ein stark ansteigender US-Dollar oder ein erneuter Fall der Rohstoffpreise den Schwellenländern zusetzen.
Derzeit richtet sich das Interesse der Anleger auf ein ganz spezifisches Ereignis: Am 18. Oktober startet der mehrere Monate andauernde 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas. "Der Parteitag ist von höchster Relevanz, da er wichtige personelle Veränderungen in den obersten Führungsgremien mit sich bringt. Zudem wird der politische Bericht die Prioritäten der Parteispitze für die nächsten fünf Jahre aufzeigen", so Bernasconi von Swiss Life Asset Managers.
Weicht China von seinem Wachstumskurs ab, könnten die globale Konjunktur und speziell die Schwellenländer darunter leiden. Bernasconi glaubt jedoch, dass das Wirtschaftswachstum weiterhin prioritär bleibt und keine Kehrtwende in Chinas Politik eingeläutet wird.
Risiko minimieren, breit anlegen
So oder so: Schwellenland-Anlagen sind nie risikofrei, Rückschläge immer möglich. Die Performance einzelner Länder kann sehr unterschiedlich ausfallen (siehe Tabelle unten). So sind in diesem Jahr etwa die Börsen in China (+46 Prozent) und Südkorea (+38 Prozent) am stärksten unterwegs. Umgekehrt läuft es an Russlands (-2 Prozent) und Katars Börse (-18 Prozent) nicht wunschgemäss.
Gerade in Schwellenländern kann die Richtung des Aktienmärktes schnell drehen. "Anlagen in Schwellenländer sollten breit abgestützt sein, da einzelne Länder-Risiken nur schwer abschätzbar sind", sagt daher Brill von Wellershoff & Partners. Er rät, in breite Schwellenländer-Aktienindizes zu investieren und von Einzelinvestments abzusehen. Für Privatanleger sind solche Investments mit verschiedenen Schwellenland-ETF oder -Fonds möglich.