cash: Herr Hüfner, Sie haben schon manche Börsenwirren erlebt. Was sind die Gründe für die aktuellen Börsenturbulenzen?
Martin Hüfner: Die Turbulenzen waren weniger eine Reaktion auf steigende Löhne, steigende Inflation und die zukünftige Geldpolitik als vielmehr eine Schieflage des Risikomanagements. Klar, die Jobdaten vom Freitag waren der Auslöser. Aber einige Leute an den Finanzmärkten lagen schlichtweg falsch.
Können Sie das näher erklären?
In der Vergangenheit hatten Investoren mit Finanzprodukten auf eine sinkende Volatilität gesetzt und damit ganz gut verdient. Dann begann der Volatilitätsindex VIX dramatisch hochzugehen in einer Art und Weise, wie ich es noch nie erlebte. Das hat die Investoren überrascht. Ein solches Produkt, das in vermeintlich ruhigen Zeiten beliebt wurde, war jenes, mit dem Kunden von Credit Suisse eine Menge Geld verloren. Der Grund für den Absturz an den Börsen war also die hohe Risikoneigung bei einer Gruppe von Investoren.
Woher kam denn der plötzliche Anstieg des VIX?
Die Volatilität stieg schon in den letzten Januartagen an. Ich konnte es zuerst auch nicht verstehen. Es war auch nicht sehr stark. Es bedeutete aber, dass Investoren dort die ersten Verluste einfuhren. Dann kamen die Jobdaten hinzu, und am Montag hat es gekracht.
Wie ist es möglich, dass eine Gruppe von Investoren die Aktienmärkte weltweit in den Verkaufsmodus wechseln lässt?
Die Ansteckung fand statt über die Deckungsverkäufe der VIX-Investoren. Aber verglichen mit den heftigen Kursausschlägen des Volatilitätsindex haben die Aktienmärkte weltweit gar nicht so stark reagiert. Am stärksten war die Reaktion noch in den USA. Erstaunlich dabei: Die als riskant geltende Technologiebörse Nasdaq hat weniger reagiert. Interessanterweise ist auch der Schweizer Franken nicht merklich angestiegen.
Sind die aktuellen Turbulenzen also eine vorübergehende Korrektur und kein Beginn eines Bärenmarktes?
Wir haben eine Volatilitätskrise erlebt. Eine solche hat nichts mit der fundamentalen Situation und einem Ende des Aufschwungs zu tun. Es ist einfach für einige blöd gelaufen. Die haben sich verzockt, weil es an den Märkten lange Zeit so harmlos aussah.
In dem Fall steigen die Märkte bald wieder kräftig?
Dieser Ausrutscher hat schon eine Wirkung, vor allem auf die betroffenen Investoren. Denn es sind erhebliche Verluste gemacht worden. Es wird ein bisschen dauern, bis sich die Situation normalisiert. Das hängt mit dem hohen Risikogehalt der Märkte zusammen. Es sieht alles so harmlos aus, aber unter der Oberfläche befinden sich Glatteisflächen. Rutscht man einmal aus, ist man danach vorsichtiger. Es kann durchaus drei Monate dauern, bis sich die Märkte ganz erholt haben.
Sind die Aktienmärkte in den letzten Jahren generell anfälliger für solche heftigen Kursausschläge geworden?
Die Märkte haben eine ganz gute fundamentale Basis: gute Konjunktur, hohe Liquidität, niedrige Inflation. Die Bewertungen sind zwar etwas hoch, aber die Zinserhöhung im Januar haben die Märkte auch problemlos weggesteckt. Aber die ganzen Finanzmärkte sind auch geprägt durch eine zu hohe Risikobereitschaft. Das ist gefährlich, und ich gehe davon aus, dass sich das nun etwas normalisiert. Das gute Fundament aber bleibt erhalten.
Sie unterstützen die These also nicht, wonach die Aktienmärkte bereits einen konjunkturellen Abschwung in den USA vorausnehmen?
Es wird spekuliert, dass der Rückgang der Aktienkurse einen Effekt auf das Konsumverhalten haben könnte. Aber danach sieht es nicht aus. Die amerikanische Wirtschaft wird ganz besonders von der Steuerreform angetrieben und das Wachstum in den USA wird nur dank dieser Reform stark ansteigen. Die damit zusammenhängenden Auswirkungen werden die Unternehmen erst in diesem Jahr so richtig spüren.
Verstärken die vermehrt eingesetzten automatischen Handelssysteme die Ausschläge an den Börsen?
Ganz bestimmt. Ich war sogar überrascht, wie klein der Einfluss dieses Mal war. Auch am Volatilitätsmarkt spielen Algo-Trades eine grosse Rolle.
Wie sind die aktuellen Turbulenzen historisch einzuordnen?
Das war ein Ausrutscher. Kein grösser Einbruch und schon gar keine Trendwende. Im Sommer 2011 gingen die Märkte ebenfalls drastisch runter und stiegen danach trotzdem weiter an. Daran erinnert sich heute fast niemand mehr.
Wie wirken sich solche Börsenabstürze auf die Realwirtschaft aus?
Nicht sehr stark. In Europa besitzen die Menschen zu wenig Aktien, als dass es grössere Vermögenseffekte geben könnte. In den USA besitzen die Leute mehr Aktien. Der Konsum wird dort dementsprechend etwas mehr beeinträchtigt. Es könnte aber sein, dass Unternehmen ihre Investitionen in die Zukunft verschieben.
Zahlreiche Banken zögerten nicht, ihren Kunden bereits am Montag Anschlusskäufe zu empfehlen. Ein sinnvoller Ratschlag?
Mein Tipp lautet: Nicht einsteigen und erstmal abwarten. Klar gibt es jetzt auch Ausschläge nach oben. Aber das ist nur für Trader interessant. Privatanleger brauchen Geduld. Die Kaufgelegenheiten kommen schon noch.
Dr. Martin W. Hüfner (*1942) ist seit 2009 Chefökonom von Assenagon Asset Management. Zuvor war er unter anderem bei der Aquila-Gruppe, der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank und der Deutschen Bank tätig. Zudem leitete er fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefökonomen der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Der Deutsche ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem "Europa – Die Macht von Morgen" (2006), "Comeback für Deutschland" (2007), "Achtung: Geld in Gefahr" (2008), "Rettet den Euro!" (2011) und "40 Geld-Fallen, die Sie besser vermeiden – Warum alles falsch ist, was wir über Wirtschaft wissen" (2014).