cash.ch: Die Aktienmärkte erklimmen derzeit Höchststände, während die Renditen sich abwärts orientieren. Wie ist die Stimmung an den Märkten?
Robert Tipp: Die allgemein optimistische Einschätzung der Märkte ist insofern begründet, als dass in vielen Ländern das Wirtschaftswachstum weiter voranschreitet und die Inflation zurückgeht.
Was wird derzeit eingepreist?
Die Märkte erwarten von den grossen Zentralbanken in den nächsten Jahren Zinssenkungen von mehr als 100 Basispunkten.
Spiegeln die Markterwartungen bezüglich Geldpolitik und Konjunktur am Bondmarkt die Realitäten wider?
Mit Renditen, die so hoch sind wie seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr, ziehen Anleihen definitiv die Aufmerksamkeit der Anleger auf sich. Selbst wenn Aktien starke Gewinne erzielen und die Umkehr der Treasury-Kurve die Anleger dazu anregt, in Cash zu verharren. Im aktuellen Marktumfeld gibt es aus unserer Sicht überzeugende Argumente für eine Umschichtung in Anleihen.
Diese lauten?
Erstens werden Anleihen angesichts des hohen Renditeniveaus und des Höhepunkts der Zentralbankzyklen in den kommenden Jahren solide Renditen erzielen. Zweitens werden Anleihen, auf Basis historischer Erwartungswerte und angesichts der relativen Bewertungen von Aktien gegenüber Anleihen, auf absoluter und risikoadjustierter Basis wahrscheinlich überdurchschnittliche Renditen liefern. Und drittens haben Anleihen üblicherweise defensive Eigenschaften. Wenn Zentralbanken die Zinsen beispielsweise halten oder senken und Aktien einen starken Rückgang erleiden, werden Anleihen vermutlich eine gute Performance erzielen.
Welche geldpolitischen Schritte der Fed und der EZB erwarten Sie noch in diesem Jahr?
Wir erwarten sowohl von der Fed als auch von der EZB in diesem Jahr zwei Zinssenkungen, wobei das Pendel bei der Fed eher in Richtung weniger als mehr Zinssenkungen ausschlagen könnte.
Warum wirkt sich die straffere Geldpolitik nicht auf die Konjunktur aus?
Angesichts einer Reihe von Entwicklungen wie 'Friendshoring', starker Zuwanderung, positivem Wohlstandseffekt und Optimismus nach der Pandemie setzt sich das Wachstum fort. Es handelt sich dabei eher um ein beschäftigungs- als um ein kreditgetriebenes Wachstum, das daher weniger empfindlich auf das Zinsniveau reagiert.
In den letzten zwölf Monaten reduzierten die beiden Zentralbanken Fed und EZB kontinuierlich jeden Monat ihre Bilanzsummen. Warum hat dies keinen Einfluss an den Märkten?
Angesichts attraktiver Renditeniveaus und hoher Cashbestände bleiben die Renditen trotz Quantitative Tightening und grosser Haushaltsdefizite und damit hoher Emissionen von Staatsanleihen im Rahmen.
Was sind derzeit die grössten Marktgefahren?
Geopolitische Risiken könnten zu Inflationsdruck und Unsicherheit führen.
Inwiefern werden die US-Wahlen die Märkte beeinflussen?
Bestimmte Trends dürften sich mit beiden Kandidaten fortsetzen: Höhere Zölle, anhaltend hohe Defizite. Infolgedessen dürften die meisten Wahlausgänge bei sonst gleichen Bedingungen einen leichten Aufwärtsdruck auf die Renditen ausüben. Wir gehen davon aus, dass sich das Rennen zwischen den Kandidaten im Laufe des Sommers zuspitzen wird.
Welche Faktoren werden dabei eine Rolle spielen?
Der erste Faktor ist die Wahrnehmung der Wähler in Bezug auf die wirtschaftlichen Bedingungen, einschliesslich der Kosten für lebensnotwendige Güter, da die Preise für Lebensmittel, Miete, neue Fahrzeuge und Benzin gestiegen sind. Das Biden-Lager wird wahrscheinlich mit dem Argument des Anstiegs der Reallöhne reagieren. Der Arbeitsmarkt ist eine weitere wirtschaftliche Komponente, die viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird. Der zweite Faktor ist, ob Trumps mögliche strafrechtliche Verurteilungen für unentschlossene Wähler von Bedeutung sind. Der dritte Faktor ist, ob sich die globalen Unsicherheiten weiter ausbreiten. Die Biden-Administration wird versuchen, die globalen Krisenherde einzudämmen, während die US-Gegner darauf bedacht sein könnten, weitere Unruhe zu stiften, bevor sie möglicherweise nach der Wahl zu verhandeln versuchen.
Ein Trump-Sieg würde sicherlich mit weiteren Zollerhöhungen einergehen.
Unabhängig davon, ob der Senat an die Republikaner oder das Repräsentantenhaus an die Demokraten geht, wird die Regierung tief gespalten bleiben, was durch die Auswirkungen des Präsidentschaftswahlkampfes noch unterstrichen wird. Ein Wahlsieg Trumps könnte zu einem negativen Angebotsschock führen, da höhere Zölle gegenüber China und mögliche Einwanderungsbeschränkungen erwartet werden, was das Arbeitskräfteangebot verringern würde. Es könnte auch zu einem positiven Nachfrageschock aufgrund einer lockeren Fiskal- und Geldpolitik in Verbindung mit regulatorischen Erleichterungen kommen. Ein Wahlsieg Bidens könnte sich positiv auf die Angebotsseite auswirken, da verschiedene Initiativen wie die IRA- und das CHIPS-Gesetz fortgesetzt würden, aber weniger auf der Nachfrageseite, beispielsweise keine Steuersenkungen.
Wie sollten Anleger sich vorausschauend positionieren?
Ob man nun die letzten Jahre oder das letzte Jahrhundert betrachtet, Aktien wirken, als wären sie der 'Place to be'. Ungeachtet der hervorragenden Fähigkeit von Aktien, auf ultralange Sicht Vermögen aufzubauen, sollte man im aktuellen Kontext bedenken, dass die jüngste Neubewertung von Anleihen die Renditen auf ein generationenübergreifendes Hoch getrieben hat. Dasselbe kann man von den Aktienbewertungen nicht behaupten. Vergleicht man beispielsweise die Gewinnrendite des S&P 500 mit der Rendite 10-jähriger Staatsanleihen, so zeigt sich, dass Aktien ihren relativen Bewertungsvorteil gegenüber Anleihen verloren haben.
Was bedeutet dies für langfristig denkende Anleger?
Wenn wir die Vergangenheit als eine Art Prolog für die langfristige Entwicklung ansehen, werden sich diese Renditen wahrscheinlich in Erträge niederschlagen. Während Aktien gerade Rekordhöhen erreichen und die Leitzinsen der Zentralbanken am Gipfel sind, spricht dies für eine Diversifizierung in Anleihen aus mehreren Gründen: Die Cash-Renditen werden wahrscheinlich sinken, da die meisten grossen Zentralbanken ihre Politik normalisieren. Dies spricht verstärkt für eine Umschichtung in Anleihen, um die Rendite langfristig zu sichern. Die Aktienrallye hat möglicherweise zu einer Überbewertung der Aktien geführt, was einer gelbe Flagge, also einem Warnzeichen, für eine Übergewichtung von Aktien entspricht.
Sinkende Leitzinsen helfen auch...
Wenn die Anleiherenditen höher sind als die Ertragsrenditen, wie es derzeit der Fall ist, haben Anleihen in der Regel solide risikobereinigte Renditen geliefert. Angesichts der potenziellen Volatilität der Aktienkurse sind die defensiven Vorteile von Anleihen als Stossdämpfer bei starken Aktienverkäufen hervorzuheben - insbesondere in Zeiten wie jetzt, in denen die Zentralbanken ihre Geldpolitik beibehalten oder lockern werden.
Was sind ihrer Meinung nach die drei grössten Fehler, die Anleger begehen können?
Der Mangel an einem strategischen Überbau, also das Überspringen der Festlegung der Rahmenbedingungen, konkret etwa die angemessene Renditeerwartung, das akzeptable Volatilitätsniveau, der Anlagehorizont, der minimalen Prüfungsintervall sowie die Anlageklassen und deren Bandbreiten. Dann die Reaktion auf Ereignisse ohne Weitblick, wodurch man sich von den Grundsätzen des Strebens nach Rendite durch Wertsteigerung ebenso entfernt wie von dem strategischen Überbau. Schliesslich überstürztes Handeln sowie grosse Trades und Umschichtungen. Warum ist das schlecht? Betrachten wir dafür die Alternative: Ein zeitlicher Abstand zwischen Trades und Umschichtungen in der Vermögensallokation und eine Diversifizierung über einen längeren Zeitraum hinweg können die Ergebnisse glätten, die Konsistenz erhöhen und den eigenen Investitions-IQ verbessern.
Robert Tipp ist Managing Director und Chief Investment Strategist sowie Leiter des Bereichs Global Bonds bei PGIM Fixed Income.Tipp ist seit 1991 bei der Firma tätig und hatte verschiedene leitende Positionen als Investment Manager und Stratege inne. Vor seinem Eintritt in das Unternehmen war er Direktor in der Portfolio Strategies Group bei der First Boston Corporation. Dort entwickelte, vermarktete und implementierte er strategische Portfolio-Produkte für Vermögensverwalter. Zuvor war er Senior Staff Analyst im Allstate Research & Planning Center und verwaltete festverzinsliche Wertpapier- und Aktienderivatestrategien bei Wells Fargo Investment Advisors. Er hat einen Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaft und einen MBA von der University of California, Berkeley. Zudem ist er Inhaber des Titels Chartered Financial Analyst (CFA).
1 Kommentar
Grundsätzlich müssen sich die US Präsidentschaftskandidaten mit denselben Gegebenheiten auseinandersetzen. Die Rivalität der USA zu China ist in beiden politischen Lagern etwa gleich ausgeprägt. Insofern sind keine Unterschiede zu erwarten.
Ein Nachteil Trumps ist das dieser im Gegensatz zu Biden sehr häufig als Einzelgänger agiert und mögliche Verbündete nicht einbezieht.
Der grosse Vorteil eines Präsidenten Trump ist das dieser den "Klimawandel" aussetzt und die von Biden verfügten Regulierungen der Kohle-, Erdöl- und Erdgasindustrie aufheben wird. Trump wird die verfügten Regulierungen zu Autos, LKW, Kühlschärnken, Gasherden, Heizungen aufheben. Dadurch wird die Wirtschaft mittelfristig belebt.
Alte weisse Männer, in der Regel am besten gebildet, wählen Trump. Diese Personengruppe besitzt die grössten Vermögen in den USA. Damit liegt es nahe, dass eine Trump Präsidentschaft sich positiv für die Kapitalmärkte auswirkt.